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WM 2022: Wie die Fifa und Katar die Welt für dumm verkaufen wollen

Nachhaltigkeit sei ein zentraler Aspekt der WM, sagt Katar. Der Wüstenstaat und die Fifa haben ein klimaneutrales Turnier ausgerufen. Kann das wirklich sein?

Es ist warm in Katar, obwohl es Winter ist. Um die 30 Grad sind es in Doha – jedenfalls dort, wo es keine Klimaanlagen gibt. Das allerdings ist fast überall der Fall, selbst im Freien sind einige Bereiche mit Kühlsystemen ausgestattet. Rund 60 Prozent der katarischen Energie werden für die Klimatisierung verbraucht, quasi ausschließlich erzeugt aus Öl und Gas.

Die diesjährige WM soll klimaneutral werden. Im Vorfeld berechnete eine Schweizer Agentur im Auftrag der Fifa: 3,6 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verursache das Turnier, hauptsächlich durch Reisen, den Bau von Stadien, Trainingsanlagen und Unterkünften. Strom und Kühlung hingegen sollen für gerade einmal ein Prozent der Emissionen verantwortlich sein – glaubt man der Fifa. Doch kann man dem Weltfußballverband und dem Staat Katar bei seinen Klimaberechnungen überhaupt glauben?

Was heißt "klimaneutral"?

Klimaneutralität bezeichnet ein Gleichgewicht aus Emissionen und aus der Atmosphäre entnommenen Treibhausgasen. Konkret heißt das: Verursachte Emissionen werden ausgeglichen, indem etwa in Projekte für den Klimaschutz investiert wird. Klimaschützer weisen jedoch darauf hin, dass die Vermeidung von Emissionen an erster Stelle stehen sollte – die Kompensation sei nur für den nicht vermeidbaren Rest eine Lösung.

Diese 3,6 Millionen Tonnen Treibhausgase sollen vollständig ausgeglichen werden, durch die Förderung von Projekten für den Klimaschutz an anderer Stelle. Abgewickelt wird dies über Zertifikate – eines pro Tonne soll gekauft werden. Doch hier fangen die Probleme an.

Klimakompensation "made in Qatar"

Die katarischen WM-Organisatoren wollen die Hälfte des errechneten Gesamtbedarfs vom Global Carbon Council erwerben. Dieser wurde 2016 in Katar gegründet – mithilfe der Regierung. Als Klimaschutzprojekte genehmigt wurden bislang unter anderem eine Wasserkraftanlage in der Türkei und ein Windpark in Serbien.

Doch derartige Projekte für die CO₂-Kompensation zu nutzen wird kritisiert. Denn sie sind wirtschaftlich rentabel und hätten daher auch ohne die finanzielle Förderung entstehen können. Dadurch erhalten Klimaschutzprojekte, die tatsächlich auf diese Fördermittel angewiesen sind, weniger Geld. Andere Zertifikat-Organisationen verzichten aus diesen Gründen darauf, wirtschaftlich rentable Projekte zu fördern.

Wie unabhängig ist der Global Carbon Council?

Dazu kommt: Nach Recherchen des BR spielen zwei Mitglieder des Global Carbon Council fragwürdige Doppelrollen. Die Firma "Energy Changes", die den Windpark in Serbien betreibt, soll etwa mit veralteten Daten geworben haben. Tatsächlich soll der Anteil an der gesamten serbischen Windkraft aber höher sein als angegeben. Somit hätte der Park für die Förderung auch nach den Regeln des Global Carbon Council nicht infrage kommen dürfen.

Ebenfalls Fragen wirft die Rolle des österreichischen "Energy-Changes"-Geschäftsführers Clemens Plöchel auf. Dem BR zufolge sitzt er auch im Lenkungsausschuss des Global Carbon Council – dem Förderer seines Windparks. Dort ebenfalls anzutreffen: der Deutsche Werner Betzenbichler, der sich als Zweitgutachter mit dem Windpark befasst hat. Beide weisen Vorwürfe, ihre Doppelrolle ausgenutzt zu haben, von sich – doch ein bitterer Beigeschmack bleibt.

Die Fifa teilte auf Anfrage des BR mit, im Gegensatz zu Katar bei Global Carbon Council keine Zertifikate kaufen zu wollen. Doch fallen dem Verband und der Veranstalterorganisation Q22 nur 10 Prozent der Emissionen zu. Die restlichen 90 Prozent soll Katar kompensieren. Auf kritische Nachfragen antwortet das katarische Organisationskomitee lediglich mit allgemeinen Nachhaltigkeits-Beteuerungen.

200.000 Tonnen CO2 – oder 1,4 Millionen?

Ohnehin scheint die Berechnung, nach welcher unter dem Strich null Emissionen stehen sollen, Augenwischerei. Die Brüsseler NGO Carbon Market Watch kritisiert beispielsweise die veranschlagten Emissionen für den Neubau der Stadien. 200.000 Tonnen CO₂ sollen dadurch entstanden sein, so der Fifa-Bericht. Tatsächlich könnte der CO₂-Fußabdruck wohl achtmal höher sein, berichtet die Organisation. 1,4 Millionen Tonnen seien unterschlagen worden.

Sechs der acht Stadien in Katar wurden für die WM neu gebaut, eines renoviert, eines aus Schiffscontainern temporär errichtet. Für die sieben permanenten Stadien legt die Fifa die Emissionen jedoch auf 60 Jahre um – und nur 70 Tage davon (die WM plus zwei Club-Weltmeisterschaften) fließen in die WM-Bilanz mit ein. Das Argument: Die Spielstätten würden danach weiter genutzt. Doch ohne die Weltmeisterschaft hätte das Land mit nur rund 2,7 Millionen Einwohnern und ohne größere einheimische Fußballtradition wohl nie derart viele derart große Stadien gebaut.