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WM-Fiasko in Katar: Wie viel Schaden wird Fifa-Boss Infantino noch anrichten?

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

zum ersten Mal habe ich das Vergnügen, den Tagesanbruch für Sie zu schreiben – und muss Ihnen leider gleich zum Start in den Freitag schwer Verdauliches kredenzen (nicht nur mein missglücktes Autorenfoto). Denn wie t-online exklusiv erfahren hat, wird die Fifa an diesem sechsten Tag der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, die sich so gar nicht wie eine richtige WM anfühlt (anfühlen kann, darf und muss), noch einmal richtig durchgreifen. Was an diesem Vormittag bekannt gegeben werden soll – das muss man dem Fußball-Weltverband lassen –, stößt noch einmal in eine ganz neue Dimension von Irrsinn vor:

Und? Haben Sie alles geglaubt, was Sie gerade gelesen haben? Dann kann ich Sie beruhigen: Natürlich stimmt nichts davon. Manuel Neuer und seine Teamkollegen dürfen weiterhin inbrünstig versuchen, Fallerslebens Hymne textsicher und synchron zu intonieren, Senegals Zeugwart muss keine Überstunden schieben, um hastig neue Trikots mit "Idrissa" zu beflocken, und Klebeband findet sich an den Körpern der Spieler weiterhin nur über nicht abgelegten Preziosen.

Erlauben Sie mir aber die Vermutung: Sie haben es tatsächlich für möglich gehalten, dass die Fifa in einer neuerlichen Volte derart verquere Beschlüsse auf den Weg gebracht hat. Richtig?

Mit schwer erträglicher Dreistigkeit drückt Infantino schon seit seinem Amtsantritt 2016 Entscheidungen durch, mit denen er sich in einem ewigen Geben und Nehmen die offenkundig korrupten, meist älteren Chefs nationaler Fußballverbände und Fifa-Delegierten gefügig macht. Gleichzeitig sieht er die Fifa als Wegbereiterin der Globalisierung. Das illustriert folgende Beispielrechnung: Mehr WM-Teilnehmer – ab dem kommenden Turnier wird das Championat auf 48 Teilnehmer aufgebläht – gleich mehr Geld für die Fifa, gleich mehr Geld für die Verbände, gleich dankbare Stimmen bei der nächsten Fifa-Chefwahl. Ein unaufhörliches Quidproquo, das im Fußball – im richtigen Fußball, wohlgemerkt, dem Fußball mit Bier, Bratwurst und Begeisterung, dem Fußball mit echten Fans, echten Emotionen, echter Kultur, dem Fußball, mit dem Sie, ich, wir aufgewachsen sind – mindestens für Kopfschütteln, wenn nicht gar zu einem anhaltenden Brechreiz führt, im schlimmsten Fall sogar zur Abwendung von diesem schönen Sport.

Auf Infantinos Geheiß entschied die Fifa dieser Tage: Das Tragen der "One Love"-Armbinde, mit der die Kapitäne mehrerer Länder, darunter auch Deutschland, auflaufen wollten, um ein Zeichen für Menschenrechte und Gleichberechtigung zu setzen, wurde untersagt – obwohl das etwas aseptisch daherkommende Stück Stoff doch eigentlich dafür erdacht wurde, um die in bestimmten Kulturkreisen verpönte Regenbogenbinde zu ersetzen. Eine dem Vernehmen nach vage Drohung mit "Konsequenzen" reichte aus, um den DFB als größten Einzelsportverband der Welt und sechs weitere Großverbände bis ins Mark vor möglichen Strafen erzittern und flugs vom noblen Ansinnen absehen zu lassen. Mein Kollege Andreas Becker fand in seinem Kommentar zum schnellen Einknicken das richtige Wort: jämmerlich. So sehr sich die DFB-Kicker dann mit ihrer ungelenken "Protestaktion" vor dem WM-Auftakt gegen Japan auch verstiegen haben mögen, sollte auch nicht vergessen werden, wer diese für alle missliche Lage überhaupt erst verursacht hat: Infantino.

Ob er jetzt in Gang kommt, der Strudel, der Infantino und seine verschworene Clique windiger Geschäftemacher in den Abgrund reißt? Waren die letzten Aufreger die ein, zwei, drei Aufreger zu viel? Ist das der Anfang vom Ende für Infantino? Für den Fußball abseits der Fifa-Zentrale in Zürich steht weit mehr auf dem Spiel als nur dieser eine Funktionär. Es geht um das letzte bisschen Glaubwürdigkeit, die sich die protestierenden Verbände noch bewahrt haben. Wenn sie jetzt nicht handeln, droht ein irreparabler Schaden. Noch ist er abwendbar: mit einer geschlossenen Reaktion der europäischen Fußballgrößen. Sie sollten dem Fifa-Chef ein Ultimatum stellen: Entweder er tritt nach dieser WM ab oder die Uefa-Verbände treten alle aus der Fifa aus.

Die große Angst

Was aber tun, wenn es auch sportlich nicht läuft? Spiel eins bei dieser WM geriet für die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick zum Debakel: 1:2 hieß es am Ende gegen Japan. Gegen einen Gegner, der zeitweise klar unterlegen schien, trotzdem aber stets im Spiel zu bleiben vermochte, dank geschlossener Teamleistung, einem besonders in der letzten halben Stunde überragenden Torwart – und am Ende abgebrühter Angreifer. Erinnerungen an die verkorkste WM 2018 werden wach ob der allen Torchancen zum Trotz merkwürdig blutleeren deutschen Vorstellung. Mein Kollege Noah Platschko, in Doha vor Ort, schreibt von der "großen Angst", die nun im deutschen Team umgeht.