Sonntagabend in Berlin-Neukölln, ein Mann bestellt sich in einem Lokal in der Schillerpromenade ein Bier. Der 34-jährige Deutsche ist kein Muslim, trägt aber eine islamische Gebetsmütze als modisches Accessoire. Plötzlich treten zwei Männer an ihn heran. Einer der beiden entreißt ihm die Kopfbedeckung, fordert ihn auf, sich vorher zu überlegen, welche Mütze er trägt – und schlägt ihm mit der Faust mehrfach ins Gesicht.
Davon geht die Berliner Polizei nach bisherigem Ermittlungsstand aus, wie sie am Montag meldete. „Gestern Abend wurde in Neukölln ein Mann offenbar aus religiösen Gründen krankenhausreif geschlagen“, heißt es in der Polizeimeldung über eine „Körperverletzung mit religiösem Hintergrund“. Der 34-Jährige sei von Rettungskräften mit einer gebrochenen Nase, einer Platzwunde an der Lippe und einem gelockerten Zahn ins Krankenhaus gebracht worden. Der Polizeiliche Staatsschutz im Landeskriminalamt ist eingeschaltet.
Aus der Meldung wird deutlich: Zwei muslimische Fundamentalisten hielten wohl nichts davon, dass ein Nichtmuslim eine islamische Gebetsmütze trägt – und schlugen deshalb mehrfach zu. „Offenbar aus fanatisch-religiösen Gründen“, berichtete der „Tagesspiegel“. Im „Spiegel“ hieß es lediglich, dass ein Mann „offenbar wegen seiner islamischen Gebetsmütze“ verprügelt worden sei.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hatte schnell nach den ersten Meldungen eine eigene Interpretation. Von einem „klassisch islamfeindlichen Akt“ schrieb er auf der Plattform X (vormals Twitter). Das Opfer sei schließlich „muslimisch gelesen“ worden. „Wer das nicht versteht; erst nachdenken, dann schreiben“, schrieb Mazyek weiter – und setzte den Hashtag #AntimuslimischerRassismus.

Der inzwischen gelöschte Tweet von Aiman Mazyek
Quelle: X /@aimanMazyek/Screenshot WELT
Der Islamverbandsfunktionär macht aus einem möglicherweise islamistisch motiviertem Übergriff eine antimuslimische und rassistische Gewalttat – und instrumentalisiert den Vorfall damit für seine Interessen. Mazyek postete dazu den Text aus dem „Spiegel“, aus dem die Hintergründe ebenfalls nicht klar hervorgehen. Vor seiner deutlichen Einschätzung sah er sich aber offensichtlich weder die Originalquelle – also die Pressemeldung der Berliner Polizei – an, noch hielt er es für möglich, dass es sich bei den Tätern um fundamentalistische Muslime handelt.
Gründungsmitglied und größter Mitgliedsverband des Zentralrats der Muslime ist die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib), die vom Bundesamt für Verfassungsschutz den türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfen zugerechnet wird.
Mitglied in Mazyeks Zentralrat ist auch das Islamische Zentrum Hamburg, laut Verfassungsschutz ein „bedeutendes Propagandazentrum des Iran in Europa“. Sogenannte legalistische Islamisten nutzen tatsächliche Diskriminierungserfahrungen von Muslimen in Deutschland als Mobilisierungsthema für ihre Propaganda.
„Dann hat Mazyek Täter und Opfer umgekehrt“
Die Autorin Sineb El Masrar, die sich in ihrer Arbeit seit vielen Jahren kritisch mit konservativ-orthodoxen Islamverbänden beschäftigt, kritisiert Mazyek deutlich. „Obwohl bei diesem furchtbaren Vorfall noch einiges unbekannt ist, werden gerade in islamistischen und dem Islamismus gegenüber unkritischen Kreisen die Opfer von schwerer Gewalt für unseriöse Kampagnen im Namen des sogenannten antimuslimischen Rassismus instrumentalisiert“, sagte El Masrar WELT. „‚Erst nachdenken, dann schreiben‘, das sollte Herr Mazyek einfach selbst beherzigen.“
Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) verweist im Gespräch mit WELT darauf, dass allein in den vergangenen Wochen in Berlin neben der aktuellen Gewalttat gegen den Mann mit der Gebetsmütze ein Hebräisch sprechender Tourist, ein lesbisches Paar und ein schwuler Mann brutal zusammengeschlagen wurden. „Das ist eine erschreckende Gewaltserie, die zeigt, dass freiheitliche Werte im Alltag regelmäßig angegriffen werden“, sagte Hikel. „Jedem Neuköllner muss klar sein, dass in einem freiheitlichen Land die individuelle Freiheit und Lebensführung der Einzelnen nicht angegriffen werden dürfen.“
Der Kommunalpolitiker übt ebenfalls Kritik an der Instrumentalisierung der neuen Gewalttat. „Sollte die Darstellung der Polizei zutreffen und die Täter waren tatsächlich muslimische Fundamentalisten, hat Aiman Mazyek mit seiner voreiligen Stellungnahme Täter und Opfer umgekehrt“, sagte Hikel. „Ich plädiere nach solchen Vorfällen für Besonnenheit, wenn man sich verantwortungsvoll äußern will.“
Mazyek löschte nach einer WELT-Anfrage sein Online-Posting, reagierte aber nicht auf Fragen hierzu. Auf der Plattform X stellte er seine Falschbehauptung nach der Löschung nicht klar und postete auch keinen Kommentar zu dem möglicherweise islamistisch motivierten Angriff.
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