Liechtenstein
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Marlen Reusser auf Abwegen

Disziplinenübergreifende Wechsel haben im Radsport kein Seltenheitswert, Multitalente wie Mathieu van der Poel sind das beste Beispiel dafür. Auch bei Swiss Cycling gibt es diese Durchlässigkeit. So holte sich unter anderen Mountainbike-Olympiasieger Nino Schurter einst an der Tour de Suisse die nötige Rennhärte. International erfolgreiche Beispiele im ständigen Wechsel zwischen Strasse und Bahn sind der Italiener Filippo Ganna, Zeitfahr-Weltmeister und Bahn-Olympiasieger, oder bei den Frauen Lotte Kopecky, eine belgische Teamkollegin von Marlen Reusser bei SD Worx.

Auch die Schweizer Zeitfahr-Spezialistin bringt vieles mit, um auf anderem Terrain schnell zu sein. Die Idee, einst auch auf der Bahn Höchstleistungen zu erbringen, ist deshalb nicht neu. "Das Bahn-Thema hatte ich schon länger im Kopf", sagt Reusser im Gespräch mit Keystone-SDA. Konkret wurde es im letzten Sommer, als Swiss Cycling bei der Bernerin anklopft. Reusser sicherte dem 2021 lancierten Bahnvierer-Projekt der Frauen ihre Unterstützung zu.

EM-Start lange auf der Kippe

Das Fahren auf der Bahn ist für Reusser zwar nicht neu, war sie zu Trainingszwecken oder für Aerodynamik-Tests doch immer Mal wieder im Velodrome. Auf viele Trainingstage auf dem Holzoval kam sie zuletzt jedoch nicht. "Ich war im November, Dezember länger krank", berichtet Reusser über das Ende ihres "Jammer-Jahres" 2022, das geprägt war von zahlreichen gesundheitlichen Rückschlägen.

Eine Covid-Erkrankung, Gehirnerschütterung, Handverletzung und mehrere grippale Infekte warfen sie in den letzten Monaten immer wieder zurück. Dem gegenüber standen aber auch sportliche Erfolge wie ein Etappensieg an der Tour de France Femmes, die erfolgreiche Verteidigung des EM-Titels im Zeitfahren und der Gewinn von WM-Bronze in ihrer Paradedisziplin.

Aus dem geplanten trainingsintensiven Winter im Hinblick auf die bevorstehenden Klassiker im Frühling wurde wegen der Krankheit nichts. Aufgrund ihres Trainingsrückstandes stand zuletzt sogar zur Diskussion, dass Reusser auf eine EM-Teilnahme verzichtet und stattdessen mit ihrem Strassen-Team ins Trainingslager fährt. Auch wenn sie der Bahn keine Priorität einräumt, fiel der Entscheid letztlich Pro Heim-EM.

Ein "Riesen-Gewinn" fürs Team

Damit kommt Reusser am Mittwoch in der Mannschaftsverfolgung zu ihrer Wettkampf-Premiere auf der Bahn. Drei gemeinsame Vormittags-Einheiten Ende Januar auf Mallorca und ein zweitägiger Feinschliff in Grenchen müssen reichen, um als Team bereit zu sein.

Für Swiss Cycling geht es primär darum, im Hinblick auf künftige Grossanlässe eine Standortbestimmung vorzunehmen. Laut Edi Telser, dem langjährigen Nationaltrainer von Reusser, ist die Quereinsteigerin für das Team ein "Riesen-Gewinn". Mit ihrem grossen "Motor" ist sie in der Lage, an der Spitze Tempo zu bolzen.

Respekt hat Reusser vor dem Start, weil es ihr im Vergleich zu ihren Bahnkolleginnen an der nötigen Schnellkraft fehle, um aus den Blöcken zu kommen. "Für mich ist es jeweils schwierig, in der ersten Runde dranzubleiben." Kommt sie jedoch einmal in Fahrt, müssen die anderen schauen, dass sie ihr Hinterrad halten können.

Genau darin liegt für Reusser der Reiz am Bahn-Radsport. "Ich mag es, im Team zu arbeiten, wenn man überlegen muss, wer, wo, welche Stärken hat und es darum geht, sich gegenseitig zu unterstützen, um maximal schnell zu sein. Das finde ich eine sehr spannende Aufgabe."

Fehlendes Puzzleteil?

Der Abstecher auf die Bahn wertet Reusser als "spannenden Ausflug", von dem sie und ihr Trainer-Team sich auch einen positiven Effekt für die Strasse erhoffen. "Für das Zeitfahren sind die Bahn-Einsätze von grossem Wert, die Schnellkraft kann mir in den Eintagesrennen helfen", so Reusser. Ihr Nationaltrainer Edi Telser spricht davon, dass sich die Athletin vor allem "technisch weiter entwickeln kann", dies mit Blick auf die Olympischen Spiele in Paris und die Heim-WM 2024 in Zürich.

Ein WM-Titel oder Olympiasieg fehlt noch im Palmarès der Späteinsteigerin, die erst seit rund fünf Jahren ernsthaft Leistungssport betreibt. Vielleicht berichtet die 31-jährige studierte Ärztin dereinst, das entscheidende Puzzleteil auf der Bahn gefunden zu haben.

(sda)