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Analyse: Die von Antisemitismus-Skandalen überschattete Ausstellung verlor viel von dem Gewicht, das sie einst hatte
von Michael Huber
Mit dem heutigen Sonntag geht nach den traditionellen 100 Tagen Laufzeit die documenta fifteen zu Ende – und alle sind beleidigt: Betrachter und Kritiker, die sich „Kunst“ erwarteten und einen überdehnten Kunstbegriff serviert bekamen. Das Kuratorenteam „ruangrupa“, das nun denkt, ihr gut gemeintes, kollektiv organisiertes Kunst-Event sei von der Abwehrhaltung eines kolonialistisch und rassistisch gestimmten Establishments zermahlen und „gecancelt“ worden. Und viele Künstlerinnen und Künstler, die mit Antisemitismus nichts am Hut haben und ihre Teilnahme an der „Weltkunstschau“ nun als Makel in ihrem Lebenslauf betrachten.
Tatsächlich blendete der mediale Fokus auf Antisemitismus alle anderen Aspekte der documenta aus: Eine Karikatur, erst am Ende der Eröffnungstage enthüllt und schnell wieder abgebaut, schien Vorwürfe zu bestätigen, wonach die Kuratoren und viele der geladenen Kollektive israelfeindliche Einstellungen an den Tag legten. Es blieb nicht bei einem Fall: Erst kürzlich empfahl ein „Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung“, eine Reihe palästinensischer Propagandafilme nicht mehr zu zeigen. Die sogenannte „lumbung Community“ rund um das indonesische Kuratorenteam sah darin Zensur.
Wenn nicht Kunst, was dann?
Das Grundproblem aber war, dass die Veranstaltung sich selbst den Boden der Auseinandersetzung entzogen hatte: Die Idee einer autonomen Kunst galt den Machern stets als überkommene westliche Erfindung, auch eine „Ausstellung“ wollte die documenta nicht wirklich sein. Eine Alternative ließ sich aber nicht blicken. Trotz des Geredes um „sichere Räume“ fehlte jene als Kunst ausgewiesene Sphäre, die spielerisches Austesten ermöglicht, wie der ZEIT-Kritiker Hanno Rauterberg treffend anmerkte: Jedes Symbol, jedes Motiv stand dann gleich für eine ganze Welthaltung oder Ideologie, Ablehnung bezog sich immer gleich auf eine ganze Gemeinschaft und wurde entsprechend beleidigt aufgenommen.
Abseits der organisatorischen Neuordnung der documenta muss sich die Kunstwelt nun klar werden, auf welcher Basis sie künftig über Bilder und Deutungen verhandeln will. Bei der documenta ist die Idee, durch gemeinsames Abhängen ("Nongkrong") und Beschwören eines Gemeinschaftsgeistes ließen sich die Gräben zwischen eklatant unterschiedlichen Lebenswelten überbrücken, gescheitert. Dabei bräuchte die Welt solche Orte des Austauschs dringender denn je.
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