Die Unparteiischen haben an diesem achten Spieltag der Fußball-Bundesliga nur wenige heikle Szenen zu bewerten. In München wird ein Tor für die Bayern nach einem Kopftreffer zu Recht aberkannt, in Köln kommt ein Spieler nach rüdem Einsteigen gnädig davon. Unsportliches Verhalten sanktioniert der Referee dagegen konsequent.
Für die Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga verlief die Saison bis zu diesem Wochenende ziemlich unruhig, so viel lässt sich wohl festhalten, ohne ungerecht zu sein. So gab es beispielsweise diverse Diskussionen über Entscheidungen, die das Thema Abseits betrafen, und zuletzt auch mal wieder über die Bewertung von Handspielen sowie über (Nicht-)Eingriffe der Video-Assistenten, die auch von der sportlichen Leitung der Referees als falsch eingestuft wurden. Hinzu kamen Debatten über die Altersgrenze für die Unparteiischen, über die interne Beurteilung von Schiedsrichterleistungen und darüber, wer aus welchen Gründen nicht mehr als VAR eingesetzt wird. Dass solche Baustellen nicht gerade stimmungs- und leistungsfördernd sind, liegt auf der Hand.
Am achten Spieltag jedoch gab es überhaupt nur wenige wirklich knifflige Szenen für die Referees. Eine davon trug sich am Freitagabend in der Auftaktpartie zwischen dem FC Bayern München und Bayer 04 Leverkusen (4:0) nach knapp einer Stunde zu. Bei einem Eckstoß für die Gastgeber schlug Joshua Kimmich den Ball hoch in den Strafraum der Gäste, der Münchner Mathijs de Ligt und der Leverkusener Odilon Kossounou sprangen zum Ball. Kossounou beförderte die Kugel mit dem Kopf aus dem eigenen Strafraum, de Ligt verfehlte sie und traf dafür einen Wimpernschlag später seinen Gegenspieler mit dem Schädel am Kopf. Kossounou ging zu Boden, Schiedsrichter Tobias Stieler ließ weiterspielen, und kurz darauf traf Sadio Mané ins Leverkusener Tor.
Bei solchen Kopfballduellen entscheiden die Unparteiischen häufig, dass lediglich ein unglücklicher Zusammenprall vorlag und keine Regelwidrigkeit. Dabei ist es nicht selten so wie am Freitagabend: Der eine Spieler hat das bessere Timing und erreicht den Ball mit dem Kopf, der andere kommt einen Tick zu spät und trifft nur das Haupt des Gegners. Ungewollt natürlich, aber regeltechnisch handelt es sich - da die Absicht hier nicht von Belang ist - letztlich genauso um ein Foulspiel wie in einer Situation, in der ein Akteur den Ball mit dem Fuß verpasst und dafür einen Gegenspieler trifft. Deshalb war es richtig, dass Video-Assistent Timo Gerach seinem Kollegen Stieler ein On-Field-Review empfahl, der Unparteiische anschließend das Tor für die Bayern annullierte und auf Freistoß für Bayer 04 Leverkusen erkannte.
Osmers konsequent bei unsportlichem Verhalten …
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Ein schwereres Amt als sein Kollege in München hatte Harm Osmers in der teilweise hitzigen Begegnung des 1. FC Köln gegen Borussia Dortmund (3:2). Sieben Gelbe Karten zeigte der Referee, fünf davon schon in der ersten Hälfte. Dabei setzte Osmers die vor Saisonbeginn kommunizierte Direktive der sportlichen Leitung der Unparteiischen, gegen unsportliches Verhalten konsequenter vorzugehen, geradlinig um: Er verwarnte Karim Adeyemi nach 23 Minuten, als der Dortmunder den Ball, den ein Mitspieler ins Seitenaus befördert hatte, aufs Feld kickte und so eine schnelle Einwurfausführung der Kölner verhinderte. Der Dortmunder Niklas Süle und der Kölner Denis Huseinbašić sahen später ebenfalls die Gelbe Karte, weil sie den Ball in einer Spielunterbrechung wegspitzelten und dadurch eine rasche Spielfortsetzung sabotierten.
Die übrigen vier Verwarnungen in dieser intensiven Partie gab es für Foulspiele, die Harm Osmers regeltechnisch als rücksichtslos bewertete. Eine davon hielten jedoch nicht nur die Dortmunder, sondern auch manche neutralen Beobachter für zu nachsichtig, nämlich die für Ondrej Duda nach 25 Minuten. Der Kölner hatte an der Seitenlinie gegen Salih Özcan den Ball verloren und seinen früheren Mitspieler dann von hinten zu Fall gebracht: Erst traf er ihn mit seinem rechten Fuß an der Außenseite von dessen rechtem Fuß, dann folgte ein Tritt mit dem linken Fuß in die Kniekehle. Eine realistische Möglichkeit, den Ball zurückzuerobern, hatte Duda dabei nicht, die Grätsche richtete sich nur gegen Özcan.
Wenn für ein Foulspiel eine persönliche Strafe in Betracht kommt, müssen die Unparteiischen vor allem zwei Parameter berücksichtigen: das sogenannte Trefferbild und die Intensität des Vergehens. Beim Trefferbild geht es darum, wie und wo der Gegner getroffen wird, bei der Intensität um die Heftigkeit und die Dynamik des Foulspiels. Beide Parameter helfen dem Referee bei der Einschätzung, ob ein Vergehen als gesundheitsgefährdend und damit als brutal zu bewerten ist oder lediglich als fahrlässig respektive rücksichtslos. Für ein fahrlässiges Foulspiel sieht das Regelwerk keine persönliche Strafe vor, für ein rücksichtsloses die Gelbe Karte und für ein brutales den Feldverweis.
… und zu milde bei Dudas Tackling gegen Özcan
In der Sendung "Doppelpass" begründete Osmers, warum er es bei einer Verwarnung für Duda belassen hatte. Das Tackling sei zwar von hinten erfolgt und "grenzwertig" gewesen, der Kölner habe keine Chance auf den Ball gehabt. Das seien "Kriterien, die sicherlich auch für Rot sprechen". Auf dem Spielfeld habe er "aber auch erkannt, dass die Dynamik und das Trefferbild nicht ganz so brutal sind", so der 37-Jährige weiter. "Daher habe ich am Ende auf Gelb entschieden, aber es ist sicherlich eine orange gefärbte Gelbe Karte und ein Stück weit mein Ermessen gewesen. Ich habe den Sachverhalt im Spiel aber deutlich erkannt, und deshalb war es auch kein Fall für den Video-Assistenten." Duda habe "den Tritt nicht mit der letzten Heftigkeit oder Brutalität" ausgeführt.
Tatsächlich handelte es sich um ein Foulspiel im Grenzbereich zwischen Gelb und Rot. Ein Treffer deutlich oberhalb des Knöchels, zumal im Bereich des Knies oder der Kniekehle, ist oftmals deutlich gefährlicher als einer am Fuß - das ist ein klares Argument für eine Hinausstellung. Dass es nicht zu einem intensiven Vollkontakt mit der offenen Sohle kam, minderte die Schwere des Vergehens allerdings etwas und verschaffte dem Schiedsrichter einen gewissen Ermessensspielraum. Eine Rote Karte sei die "Höchststrafe", sagte Osmers, deshalb gelte: "Wenn es Kriterien gibt, die dagegen sprechen, muss man wie vor einem normalen Gericht abstufen."
Ein Lehrbuchbeispiel für eine glasklar falsche Entscheidung, die den VAR zu einem Eingriff zwingt, war hier zwar nicht gegeben. Angesichts der Tatsache, dass Dudas Tackling nur dem Gegner galt, von hinten kam und in einem Tritt auf eine empfindliche Körperstelle endete, also von einiger Hinterhältigkeit gekennzeichnet war, wäre eine Rote Karte aber zumindest die um einiges bessere Entscheidung gewesen. Alleine die nicht ganz so dramatische Intensität des Treffers machte die Verwarnung gerade noch vertretbar. Auch verglichen mit den übrigen - allesamt vollauf angemessenen - Gelben Karten in diesem Spiel wirkte die Strafe gegen Duda als zu milde Sanktion.