Eckhart Nickels doppelbödiger Schul- und Kunstroman „Spitzweg“

Wenn ein Roman aus dem Jahr 2022, der laut Klappentext davon handelt, ob die „Kunst es vermag, bessere Menschen aus uns zu machen“, den Titel „Spitzweg“ trägt, dann kann man das nur als Signal verstehen: Offenbar geht es hier um ein Ideal von Kunst, das dezidiert nicht das unserer Gegenwart ist. Bedeutsam ist die Referenz aber nicht bloß deshalb, weil der Biedermeier-Maler Carl Spitzweg für eine Zeit steht, die mit der Abkehr von der Politik und der Hinwendung zum Privatleben assoziiert wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die scheinbar idyllischen Szenen auf seinen Bildern sich oft als vielschichtig und doppelbödig erweisen. Man muss mehrmals hinsehen, um das Ironische, Widersprüchliche oder Abgründige in ihnen zu entdecken.

Um dieses Potential der Kunst, in der genauen, immer wieder neuen Beobachtung zu schulen, geht es in Eckhart Nickels zweitem Roman. Er erzählt von drei Abiturienten, die durch eine „unerhörte Begebenheit“ zusammengeführt werden. Die künstlerisch talentierte Kirsten, Mitschülerin und Angebetete des namenlosen Ich-Erzählers, erhält im Kunstunterricht für ihr Selbstporträt von der Lehrerin das ambivalente Lob, „Mut zur Hässlichkeit“ bewiesen zu haben. Um diese „Beleidigung“ zu bestrafen, heckt der neue Mitschüler Carl, ein meisterhafter Kenner der Kunstgeschichte, der in mehrfacher Hinsicht „aus der Zeit gefallen“, ja ein „halbes Fabelwesen“ ist, einen Racheplan aus: Kirsten soll zum Schein verschwinden, bis die Lehrerin ihr pädagogisches Fehlverhalten einsieht. Der Plan geht allerdings nur kurzzeitig auf, denn als Kirsten ihr Selbstporträt, das Carl nach dem Unterricht heimlich entwendet hatte, in dessen Kommode wiederentdeckt, ist sie auf einmal wirklich weg. Die vom Erzähler und Carl initiierte Suche nach der Verschollenen mündet nach bizarren Begegnungen mit Kirstens Mutter und einem rätselhaften Greis in einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd im Museum.

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Doch diese Handlung bildet nur den äußeren Rahmen für die großen Themen, mit denen sich die Protagonisten beschäftigen. Auch wenn „Spitzweg“ kein typischer Coming-of-Age-Roman ist, steht die Frage nach der eigenen Identität und Selbstvergewisserung durchweg im Zen­trum der Geschichte. Die Kunst erweist sich als Vehikel der Identitätsstiftung insofern, als sie die Möglichkeit bietet, durch Interpretation und eklektizistische Aneignung etwas Neues zu produzieren. So zeichnet sich Kirsten, um einen Hinweis auf ihren vermeintlichen Suizid zu geben, als John Everett Millais’ Ophelia – allerdings nicht ohne dem Original einige selbstgewählte Details hinzuzufügen. Und Carl interpretiert Spitzwegs Darstellung des Hagestolz, mit dem er im Roman mehrfach verglichen wird, nicht als einsame und unglückliche, sondern als souveräne, alles überblickende Figur.

So wie Millais und Spitzweg stammen viele der kunsthistorischen Vorbilder und Referenzen, auf die sich die drei Abiturienten beziehen, aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass der Roman im 21. Jahrhundert spielt, zeichnet er sich auf durch eine demonstrative Gegenwartsferne aus: Wenn der Erzähler etwa dem Deutschlehrer „Dr. Fant“ einen Hausbesuch abstattet, dabei dessen Frau, die soeben der Braten verkohlen ließ, mit Blumen beschenkt und sich am Ende mit einer „tiefen Verbeugung“ verabschiedet, fühlt man sich an die Pennälerfilme der Sechzigerjahre erinnert.

Eckhart Nickel: „Spitzweg“. Roman. Piper Verlag, München 2022. 256 S., geb., 22,– €. : Bild: Verlag

Auch die Sprache ist an vielen Stellen atavistisch: Künstler sind durchweg „schöpferische Geister“ oder „Malerfürsten“, statt Freude empfinden die Figuren „Wonne“, und die Beschreibung von Kirsten könnte unmittelbar aus Schneewittchen stammen: Aus ihrem „zarten Hals“ erwächst ihr „ebenmäßiges Antlitz“ wie „der Blumenstrauß aus einer alabasternen Porzellanvase“. Die Sprache der Gegenwart kommt ausschließlich als Parodie vor, etwa wenn einer der verhassten Mitschüler sagt: „Alter Falter, der ranted ja stabil wie im Fülm.“ Vor allem aber gibt es an vielen Stellen Polemiken gegen eine Kultur, in der jeder nur den „eigenen Standpunkt“ hinausschreie, das „Ego“ dominiere, die Fähigkeit abhandengekommen sei, sich zurückzunehmen oder zuzuhören, und in der allem sofort ein „Stempel“ aufgedrückt werde.

Obwohl oder gerade weil Sprache und Motivik des Romans alles andere als gegenwärtig sind, lässt sich der Roman als fortlaufender Kommentar zur Gegenwart lesen. „Spitzweg“ ist ein Plädoyer für eine Kunst, die durch ihre Vieldeutigkeit zur genauen, wiederholten Betrachtung zwingt und zugleich die Lizenz erteilt, vorgefundenes Material eigenwillig anzueignen – so wie Nickel, der in dieser Hinsicht ganz Popliterat geblieben ist, in der Komposition seines Romans mit Zitaten aus der Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte verfährt.

Möglicherweise erklärt die Sehnsucht nach diesem Kunstverständnis in Zeiten, in denen Romane mit Triggerwarnungen ausgestattet und literarische Texte zunehmend an ihrem politischen Aussagegehalt gemessen werden, auch die emphatischen Rezensionen der vergangenen Wochen. Der Roman wäre seinen eigenen Prämissen allerdings stärker gerecht geworden, wenn der dozierende Gestus in den Reflexionen über das Wesen der Kunst sowie die veraltete, mitunter zum Kitsch tendierende Sprache etwas zurückgenommen worden wären. Der Autor hätte getrost darauf vertrauen dürfen, dass die großartig erzählte Geschichte von der Freundschaft zwischen den drei ungleichen Schülern für sich selbst spricht. Auf die Lektionen über die „Autonomie“ der Kunst, über „Poesie“ und „Müßiggang“ könnte man verzichten.

Eckhart Nickel: „Spitzweg“. Roman. Piper Verlag, München 2022. 256 S., geb., 22,– €.


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