Zum fünften Mal steigt der FC Schalke 04 aus der Bundesliga ab. Doch diesmal ist es anders. Statt der Enttäuschung überwiegt der Glaube an die Mannschaft, an den Trainer. Und so bleiben eine königsblaue Hoffnung und viel Arbeit.
Sie waren zu Zehntausenden gekommen, um das Wunder möglich zu machen. Sie schrien im Stadion und davor, weil RB Leipzig eine Invasion in der eigenen Arena verhindert hatte, durch strenge Kartenregeln. Sie gaben alles, so wie die Fußballer des FC Schalke 04. Doch am Ende war es vergebens. Auf den letzten Metern seiner furiosen Reise brach sich der Riese aus Gelsenkirchen doch noch die Beine - und steigt direkt wieder aus der Bundesliga ab.
Mit dem 2:4 gegen Leipzig endete eine Rückrunde, die allein sie nah an den Europapokal geführt hatte. Doch die Hypothek aus der Hinserie war zu groß. Schalke verliert erneut den Kampf um den Klassenerhalt. Und es war wie so oft in dieser Saison: Die Königsblauen lagen auch gegen RB hinten, kämpften sich zurück, glichen aus und verloren am Ende doch. "Ich kann meiner Mannschaft keinen Vorwurf machen", sagte der sichtlich niedergeschlagene Trainer Thomas Reis. "Die Art und Weise, wie wir zurückgekommen sind, die Mentalität, mit dem Glauben daran, dass wir vielleicht Unmögliches noch erreichen - das habe ich gesehen."
Doch anders als beim Abstieg vor zwei Jahren ist die Stimmungslage nicht schlecht. Ja, die Enttäuschung ist groß. Aber noch größer ist der Glaube daran, dass in den nächsten zwölf Monaten alles wieder gut werden wird. Keine Wut, keine erschreckenden Jagdszenen von ausgerasteten Idioten am Stadiongelände. "Ein komisches Gefühl, wir steigen ab und werden vor den Fans gefeiert", sagte Schalke-Idol Gerald Asamoah. Reis begründete die Stimmung mit den "Malocher-Qualitäten" seiner Spieler und sprach von den "Champions-League-Niveau" bei den Fans. In den TV-Interviews der Spieler flossen Tränen.
Schon woanders eine Traumehe
Die Mannschaft hatte sich schließlich gnadenlos aufgeopfert, diese Schalker waren echte Schalker und die Fans stolz. So nehmen sie beste Erinnerungen mit in den Fahrstuhl ins Stockwerk tiefer. So erinnern sie sich an das Derby gegen den BVB, als sie niemals aufgaben, als der unwahrscheinliche Held Henning Matriciani die Dortmunder mit seiner Leidenschaft fraß, als der längst abgeschriebene Kenan Karaman per Kopf traf und als sie nach dem Schlusspfiff ehrfürchtig vor der Tribüne standen, dem "Mythos vom Schalker Markt" lauschten und die ganze Kraft dieses Giganten spürten.
Auf den muss die Bundesliga nun vorerst wieder verzichten. Dafür bekommt sie den SV Darmstadt 98 zurück, vielleicht den 1. FC Heidenheim und vielleicht auch den Hamburger SV. Aber in Gelsenkirchen sind sie bester Hoffnung, dass die zweite Ehrenrunde so gut genutzt wird, dass wieder etwas Nachhaltiges entstehen kann. Und ihr größter Hoffnungsträger ist Thomas Reis, der Trainer. Als verscheuchter Held, beschuldigt der Lüge, wechselte er nach seinem Aus beim VfL Bochum blitzartig zum FC Schalke 04. Die verspätete Umsetzung eines Plans, der schon länger und von beiden Parteien (Reis und Schalke) gefreit sein soll. Doch es brauchte erst einen kolossalen Fehlstart mit dem VfL und die Trennung, ehe die neue Traumehe geschlossen werden konnte.
In Bochum möchte das niemand hören. Zu sehr schmerzt die Erinnerung an die erfolgreiche Zeit und zu groß war die Enttäuschung, dass es mit Reis nicht zu einer Ära gereicht hat. Freiburg und Christian Streich hatten doch das Vorbild sein sollen. In guten wie in schlechten Zeiten. Und womöglich mag es auch Menschen außerhalb von Gelsenkirchen befremdlich erscheinen, wenn man von einer Traumehe trotz Abstieg spricht. Aber Reis hat diesen Klub, diese Stadt in sich aufgesaugt. Der Mann, der als Spieler schon ein knüppelharter Malocher war, kann sich mit den zugeschriebene Attributen der darbenden Industriemetropole voll identifizieren. Vor wenigen Tagen, mitten im Abstiegskrimi, grillte er mit seiner Frau für Obdachlose. Die Aktion bezahlte er selbst. "Weil er sich in der Stadt tierisch wohlfühlt" und "etwas zurückgeben" wolle.
Und jetzt? Viel Arbeit
Reis trägt Gelsenkirchen in sich und Schalke steht's an sich. Wie schon zu Bochumer Zeiten ist er Label-Model für die aktuellen Fan-Kollektionen. Cleveres Marketing, aber auch Zeichen der maximalen Identifikation. Reis bleibt, aber was wird aus all den anderen Helden, denen das Happy End verwehrt blieb? Die starke Rückrunde hat ihren Preis für Schalke. Marius Bülter, die offensive Lebensversicherung, hat sich äußerst interessant gemacht. Auch der ausgeliehene Innenverteidiger Moritz Jenz. Völlig unbekannt kam er von Celtic Glasgow und spielte sich mit herausragenden Leistungen als Stabilisator der wackeligen Abwehr in den Vordergrund. Auch die spielstarken Abräumer Tom Krauß (RB Leipzig) und Alex Kral (Spartak Moskau) werden nach ihren Leihen nur ganz schwer zu halten sein. Zu gut und jung sind sie, als dass sie noch einen Entwicklungsschritt in Liga zwei gehen müssen.
Bei anderen Helden sieht die Lage besser aus: Matriciani etwa hat das Potenzial, eine ähnliche Kultfigur zu werden, wie einst Yves Eigenrauch. Rodrigo Zalazar, der bisweilen geniale Spielmacher, kann auch wichtiger Teil einer neuen Achse werden. Und Ralf Fährmann, der schon x-Mal versenkte Torwart, darf darauf hoffen, seine Auferstehungsgeschichte weiterzuschreiben. In Schalke fragen sie sich noch immer, was möglich gewesen wäre, hätte sich der kultige Keeper mit der Kuchenliebe nicht gegen Hertha BSC verletzt. Sein Stellvertreter Alexander Schwolow patzte am 33. Spieltag ganz bitter, ein Sieg gegen Eintracht Frankfurt wäre möglich gewesen und dass Schalke nicht als Tabellen-17., sondern als 15. in den finalen Showdown marschierte. Mit allen Optionen. Jeder wusste um die vergebene Chance, die Wut einiger Spieler entlud sich gegen Schwolow.
Doch aus Glaube allein erwächst kein neuer Riese. In Schalke müssen sie harte Arbeit am Kader leisten. So wie in der Winterpause, als die großen Fehler des Sommers bei der Zusammenstellung des Aufgebots korrigiert worden waren. "Der Abstieg wurde nicht heute besiegelt, jetzt müssen wir Wunden lecken und gestärkt daraus hervorgehen", sagte Reis.