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Finanzminister Christian Lindner (FDP) präsentiert Steuerschätzung – Kommentar

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

manchmal wirkt es in diesen Tagen, als gäbe es keine Überraschungen mehr in der Politik. Es läuft, wie es eben läuft, wenn in einer Koalition regiert wird: Die einen (SPD) stellen den Kanzler und begnügen sich als Partei offenbar damit. Die anderen (Grüne) wollen Familien entlasten, Migration erleichtern und lieber etwas mehr Geld ausgeben. Und die dritten (FDP) reden gern über Digitalisierung, wollen mehr Freiheiten für die Bürger und generell lieber weniger Geld ausgeben. Entsprechend werden die Statements abgegeben, Woche für Woche. Keiner will seinen Markenkern verlieren.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist nicht die Aufgabe von Politik, zu überraschen. Doch wenn die Rollen so festgefahren sind, dass Ideologie wichtiger wird als eine gute Lösung, hat der Staat ein Problem. Und gerade besteht diese Gefahr. Heute präsentiert Finanzminister Christian Lindner die Ergebnisse der sogenannten Steuerschätzung. Drei Tage lang beugte sich ein Kreis aus Ministerien von Ländern und Bund, von Statistischem Bundesamt, Kommunen und dem Sachverständigenrat über die Zahlen. Die Frage ist, wie viel Geld der Staat auf den verschiedenen Ebenen über Steuern einnimmt.

Das Ergebnis dieser Beratungen ist dann die Basis für die heiße Phase der Haushaltsverhandlungen, die in diesen Wochen ansteht. Mitte November findet die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses statt – bis dahin wird gerechnet, gerundet und gefeilscht. Es geht für den Bund bei der Steuerschätzung vor allem darum, ob man nun weiterhin sparen muss. Oder ob es Spielräume gibt, mehr Geld auszugeben.

Zwar sind heute keine allzu großen Überraschungen bei der Steuerschätzung zu erwarten. Gerade deshalb ist die Gefahr, dass die Ideologie um sich greift, besonders groß. Im allgemeinen Zank um die Haushaltspolitik wird schnell scharf geschossen. Das war bereits im Sommer beim Gerangel um die Kindergrundsicherung so und bei der Kürzung des Elterngeldes nicht anders.

Finanzminister Christian Lindner könnte sich also heute bestärkt fühlen: Wo wenig Einnahmen sind, ist wenig Geld auszugeben, könnte er argumentieren. Damit hat Lindner recht. Doch mancher bei den Liberalen überspannt den Bogen und verweist schon jetzt darauf, dass der Eintritt der Babyboomer ins Rentenalter künftige Haushaltskalkulationen belasten werde – wegen Zuschüssen zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei ist das noch ferne Zukunft, die Finanzplanung dafür noch zu unkonkret. Es ist der große Song des Sparens, der bei der FDP schnell ein wenig zu laut gesungen wird – und damit von den echten Möglichkeiten des nächsten Jahres ablenkt.

Die Grünen wiederum dürften dagegenhalten, der Bund könne doch einfach zusätzliche Schulden aufnehmen, wenn über die Steuer nicht so viel Geld hereinkomme. Das habe ja beim Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr schon geklappt. Das stimmt zwar, doch auch die Schulden aus den Sondertöpfen müssen teilweise schon ab 2028 zurückgezahlt werden – was die künftigen Haushalte ganz sicher einschränken wird. Das Produkt aus den zusätzlichen Schulden und den steigenden Zinsen führt dazu, dass bald ein Zehntel des Haushalts für die Schuldenfinanzierung gebraucht wird.

Bei den anstehenden Verhandlungen muss also ein Kompromiss gefunden werden. Es muss viel ermöglicht werden – aber nicht so viel, dass es das Land überfordert. Die Projektion für den Herbst sieht vor, dass das nominale Wachstum 0,4 Prozentpunkte stärker ausfällt, als bei der letzten Steuerschätzung im Mai angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt soll demnach in etwa 40 Milliarden Euro höher sein. Es wäre ein gesamtes Steuerplus von etwa 10 Milliarden Euro, auf den Bund würden etwa vier Milliarden entfallen. Das ist wenig – aber es ist nicht nichts.

Die Parteien, FDP und Grüne, tun gut daran, in den Verhandlungen verbal abzurüsten. Zu sehr auf dem Sparen zu beharren und zu sehr für hohe Schulden zu argumentieren, verhärtet nur die politischen Fronten. Eine der großen Verhandlungsmassen ist dabei die Entfristung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes in Restaurants von sieben Prozent. Ob das so bleiben kann, sollte mindestens zur Verhandlungsmasse werden.

Auch über generelle zusätzliche finanzielle Ausgaben sollte geredet werden: Da ist zum einen der brutale Angriff der Hamas auf Israel, der noch geopolitische Folgen haben dürfte, und zum anderen die aktuelle Debatte in der Migrationspolitik, wo die Bundesländer auf mehr Geld vom Bund hoffen dürften.

Dabei muss bis zur Bereinigungssitzung Mitte November und auf Basis der heutigen Steuerschätzung sorgsam abgewogen werden, was nötig – und was klug ist. Doch Extrempositionen in der Haushaltspolitik schaden am Ende nur dem politischen Diskurs. Und bringen keine guten Lösungen für das Land – das ohnehin gerade durch eine Zeit der Krisen geht.

Was steht an?

Das Ergebnis, wie viel Geld nun genau der Staat aufgrund der Einnahmen durch Steuern zur Verfügung hat, erfährt die Öffentlichkeit heute um 15 Uhr. Dann tritt Finanzminister Christian Lindner in der Wilhelmstraße 97, wo das Finanzministerium steht, vor die Presse. Es wird interessant.

Spannend wird es in Brüssel. Dort beginnt an diesem Donnerstag der zweitätige EU-Gipfel, zu dem verschiedene Staats- und Regierungschefs erwartet werden. Es könnte eine Bestandsaufnahme über die Krisen der Welt werden: Der Konflikt im Nahen Osten, Putins Krieg gegen die Ukraine sowie der Kampf gegen unerwünschte Migration wird zwischen den Staatschefs diskutiert werden. Und sie werden darüber sprechen, welche Konsequenzen sich daraus ableiten.

Gerungen wird dagegen in Berlin. Es geht dabei um die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Bundesländer. Schon ab 8.30 Uhr gibt es eine Kundgebung in der Hauptstadt – der Druck dürfte entsprechend groß sein.

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