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34 Prozent „gefühlte Inflation“ – Deutschland droht gefährliche Dynamik

Auf zehn Prozent ist die Inflation in Deutschland im September im Durchschnitt gestiegen. Das ist die höchste Preissteigerung seit dem Jahr 1951, in dem die Inflationsrate in der Bundesrepublik bei 10,5 Prozent lag. Bei den Verbrauchern wird aber eine ganz andere Preissteigerung registriert. Laut einer Umfrage der Internationalen Hochschule (IU) mit Sitz in Erfurt liegt die gefühlte Inflation bei den Deutschen bei 34,2 Prozent.

Der Grund für die große Differenz zwischen offiziell gemessener und individuell wahrgenommener Inflation: „Wir nehmen Inflation immer dort wahr, wo wir Konsumausgaben haben“, sagt Johannes Treu, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der IU. Den Menschen interessiere es, was er täglich zahlen muss, um seine Grundbedürfnisse zu erfüllen.

„Wenn wir jedes Mal beim Einkaufen merken, dass der Warenkorb teurer wird, neigen wir dazu, die reale Steigerung im Gesamten zu überzeichnen“, sagt der Ökonom. Die Preise für alltägliche Dinge wie Strom, Tanken und Lebensmittel seien den Menschen viel bewusster.

Für die offizielle Statistik werden die Preise in einem definierten und über längere Zeit unveränderten Warenkorb erfasst, in dem verschiedene repräsentative Güter und Dienstleistungen enthalten sind. Das garantiert die Vergleichbarkeit, hat aber den Nachteil, dass im Warenkorb auch Posten enthalten sind, die man individuell gar nicht oder nur sehr selten kauft. Aber bei Dingen, die man täglich besorgt, wird die Preissteigerung sehr genau registriert. Bei den explosiv steigenden Preisen für Lebensmittel, Treibstoff oder Energie ist es also wenig überraschend, dass die Inflationsempfindung dreimal so hoch ist wie die amtliche Statistik.

Bei den Frauen liegt die empfundene Preissteigerung sogar bei 39,3 Prozent. Männer registrierten dagegen nur eine Preissteigerung von 29 Prozent. Die repräsentative Umfrage fand Mitte September statt. Damals lag die Inflationsrate, die das Statistische Bundesamt für August auswies, bei lediglich 7,9 Prozent.

Ob sich mit dem Anstieg auf zehn Prozent auch die gefühlte Inflation weiter erhöht hat, ist noch nicht bekannt. Doch es dürfte wahrscheinlich sein. Denn vier von fünf Befragten sieht bei der aktuellen Inflation noch kein Ende. Konkret: 86 Prozent der Frauen und 79 Prozent der Männer erwarten, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen im Oktober „viel höher“ oder „höher“ liegen als im September.

Eine selbsterfüllende Prophezeiung

Die steigenden Preise bereiten 92 Prozent der Befragten Sorgen, mehr als jeder Zweite nennt sogar große Sorgen. „Wenn ich das Gefühl habe, die Inflation ist hoch, erwarte ich automatisch, dass es noch teurer wird“, erklärt Treu. Das machten sich Unternehmen zunutze, denn wegen dieser Erwartungen würden sie die Preise noch mehr erhöhen und Gewerkschaften dann auch höhere Tarife fordern.

Doch solche Erwartungen können eine klassische Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Laut der Kerstin Bernoth, Forscherin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), basiert dieser Effekt weniger auf tatsächlichen strukturellen Faktoren als auf einer psychologischen Dynamik. Würden die Verbraucher, aber auch die Unternehmen davon ausgehen, dass die Preise weiter so steigen, würden die Menschen Käufe vorziehen und höhere Löhne fordern.

Die Unternehmen wiederum würde ihre Preise erhöhen, wenn sie damit rechnen, höhere Löhne und höhere Erzeugerpreise zahlen zu müssen. „Höhere Inflationserwartungen können zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden und die tatsächliche Inflation ankurbeln“, so Bernoth.

In ihrer Befragung wollte die IU auch wissen, wo die Deutschen den Gürtel deutlich enger schnallen – und wo weniger. Vier von fünf Befragten schränken sich demnach vor allem stark oder immerhin etwas bei den Energiekosten ein, rund ein Viertel bei der Anschaffung neuer Haushaltsgegenstände sowie bei Reisen und Hotels. Am wenigsten wird laut der Umfrage bei der Bildung gespart.

Auch wenn es um Unterhaltung und Genuss geht, ist das Haushalten weniger stark ausgeprägt: 24 Prozent der Befragten verzichten demnach weder bei Medien und Unterhaltung noch bei Alkohol und Tabakwaren (21 Prozent) ein. Doch über welchen Ausgabenbereich auch gefragt wurde, eine Konstellation blieb stets unverändert: Frauen schränken sich stärker ein als Männer.

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