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500 Millionen Euro pro Jahr: Warum alle Steuerzahler die Kirche finanzieren

Trotz knapper Kassen überweist Deutschland den Kirchen jedes Jahr eine halbe Milliarde Euro. Grund dafür ist ein ungeklärter Streit über Entschädigungszahlungen trotz eines über 100 Jahre alten Verfassungsauftrags. Warum ist das Problem nicht längst gelöst? Und warum haben die Kirchen überhaupt Anspruch auf eine Ablösung? Fragen an den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci.

n-tv.de: Über 500 Millionen Euro zahlen alle Steuerzahler - auch die konfessionslosen - jedes Jahr an die Kirche. Ist das fair?

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Lars Castellucci (SPD) arbeitet mit an der Ablösung der Staatsleistungen.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Lars Castellucci: Das ist fair, weil es um Enteignung geht. Und dafür sind Entschädigungsleistungen vereinbart worden, die die Kirche in die Lage versetzen sollen, weiter Geld zu erwirtschaften, das sie vorher aus den enteigneten Gütern erwirtschaftet haben. Meinem Vermieter kann ich ja auch nicht nach 10 oder 20 Jahren die Miete verweigern, weil ich meine, genug gezahlt zu haben. Es gibt nun den Verfassungsauftrag, diese Leistungen zu beenden. Die Lösung ist es nicht, mit den Zahlungen aufzuhören, sondern es braucht zur Beendigung eine Ablösesumme.

Es geht um Enteignungen von 1803, und den Verfassungsauftrag gibt es bereits seit der Weimarer Verfassung von 1919. Aber keine Regierung hat sich dazu durchgerungen, diesen umzusetzen. Was ist schiefgelaufen?

Es geht um ordentliche Beträge. Wir reden von einer Ablösesumme von etwa 10 Milliarden Euro, die die Bundesländer zahlen müssten. Das ist aus einem laufenden Länderhaushalt nicht zu leisten. Gleichzeitig gab es in der Vergangenheit Stimmen, die gesagt haben, dass die Ablösung ein Angriff auf die Kirche sein könnte. Heute sind wir da etwas nüchterner und sehen die Ablösung als Durchsetzung unseres Religionsverfassungsrechtes, das aus der Weimarer Republik stammt. Wir wollen also die Trennung von Staat und Kirche im Bereich der Finanzierung klar ziehen. Und trotzdem können wir mit den Kirchen kooperativ verbunden bleiben, weil sie viele Aufgaben im Land wahrnehmen und weiter wahrnehmen sollen.

Sie und die SPD haben 2021 einen Gesetzesentwurf von Grünen, FDP und der Linken abgelehnt und auch keinen eigenen Entwurf eingebracht. Und das, obwohl Sachverständige und Kirchenvertreter die Ablösesumme von etwa 10 Milliarden Euro als angemessen bewertet haben.

Der Entwurf hatte große Defizite: Er ist allein im Bundestag entstanden. Es fehlte eine ordentliche Einbeziehung von Kirchen und insbesondere Ländern. Wir als SPD haben sogar im Hintergrund mitgewirkt und ich hatte selber einen Entwurf in der Tasche - es ist kein Hexenwerk, das zu verfassen. Aber es geht eben auch darum, dass man das im Dialog erarbeitet. Dass man den Ländern, die letztlich allein zahlen müssen, das Problem aus Berlin nicht vor die Füße kippt. Abgesehen von diesen Mängeln hatten wir als damalige Groko einen Koalitionsvertrag, als Regierungspartei schert man nicht einfach aus und stimmt dem Oppositionsantrag zu. Dann ist das Vertrauen in einer Koalition schnell hin.

Die verfassungsrechtlich vorgesehen Ablösung war also mit der Union nicht zu machen?

Ja, es war klar, dass man das mit der Union nicht machen kann. Deswegen wird manchmal an guten Lösungen gearbeitet, die man erst umsetzen kann, wenn es eine andere Regierungsmehrheit gibt. Es ist anstrengend, neben der Regierungsarbeit noch für den Tag danach zu arbeiten, aber das ist uns an ganz vielen Stellen gelungen. Und jetzt konnten wir die Ablösung unkompliziert mit den Grünen und der FDP im Koalitionsvertrag festhalten und sind da auch schon dran.

Gerade laufen erste Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Kirche. Sie sagten, die Kosten zahlen letztlich die Bundesländer, wobei diese von Land zu Land stark variieren - und entsprechend variiert auch die Bereitschaft, die Ablösung zu zahlen. Bei welchen Ländern hakt es noch?

Es gibt Bundesländer, die wirtschaftlich schwächer sind. Aber die Frage, wie viel Ablösesumme pro Land anfällt, hängt ja auch mit der Frage der Kirchengüter zusammen, die dort mal vorhanden waren und dann enteignet wurden. Gerade im Süden Deutschlands, in Bayern und Baden-Württemberg, die zu den wirtschaftlich stärkeren Ländern gehören, kommen da große Summen zusammen. Und da rechnen wir auch mit Widerständen.

Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Kirchenmitglieder rapide abnimmt, wäre eine Ablösesumme von 10 Milliarden Euro sehr viel Geld.

Wenn die Kirchen an Kraft verlieren, ist das keine gute Nachricht für das Land. Innerhalb der Kirchen entfaltet sich sehr viel Engagement, ohne das unser Land kälter dastehen würde. Grundsätzlich geht es jetzt einfach um eine Bereinigung, damit der bayerische Landeshaushalt nicht mehr für den Bischof aufkommen muss. Aber das ist nicht gegen die Kirchen gerichtet.

Neben den Staatsleistungen steht auch die Kirchensteuer in der Kritik, auch wenn sich der Staat die Eintreibung vergüten lässt. Warum lehnen Sie eine striktere, laizistische Trennung von Staat und Kirche ab?

Schauen Sie in unser Grundgesetz, da steht: "Es besteht keine Staatskirche". Die Trennung von Staat und Kirche haben wir also. Laizismus hingegen ist die Verbannung von Religion in den privaten Bereich. Das würde auch bedeuten, dass es keinen Religionsunterricht mehr gibt, sondern jede Religionsgemeinschaft das in Hinterhöfen macht. Wenn Religion öffentlich, transparent und in einem ordentlichen Rahmen stattfindet, halte ich das für besser. Ich kann mit Leuten, die ihre Nichtreligiosität zur Ersatzreligion machen und dann zum Kampf gegen die Kirchen aufrufen, gar nichts anfangen.

Wann muss die Kirche auf eigenen Beinen stehen?

Die Kirche steht auf eigenen Beinen. Kirchensteuermittel, also eine Art Mitgliedsbeitrag, sind der eigentliche Finanzierungsschwerpunkt. Aber durch sinkende Mitgliederzahlen sinken die Einnahmen auch hier. Und wenn man dann noch an anderer Stelle bei den Staatsleistungen eine dauerhafte Einnahmequelle rausnimmt, dann steht irgendwann die gesamte Finanzierung der Institution in Frage.

Die Grundfinanzierung für kirchliche Krankenhäuser wird aber gar nicht und die von Kindergärten nur zum Bruchteil aus Kirchengeldern bezahlt.

Kritisieren kann man immer viel. Aber wenn man jedem Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft einen privaten Anbieter überstreifen würde, dann wären die Gesundheitsversorgung und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in unserem Land nicht besser. Ich finde, die Kirche sollte bei wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben genauso mitwirken wie andere Verbände auch.

Wird die aktuelle wirtschaftliche Situation dazu führen, dass die Koalition das Vorhaben auf Eis legt?

Auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, wäre keine gute Idee. Den gibt es nämlich nicht. Und wenn der "richtige" Zeitpunkt da wäre, Geld auszugeben, dann gäbe es immer viele andere Vorstellungen, was man mit diesem Geld stattdessen machen könnte. Wir sollten die Durchsetzung unserer Verfassung nicht von solchen Überlegungen abhängig machen.

Mit Lars Castellucci sprach Martin Schmitz