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Ampelstreit bei Anne Will: "Klimaschutz gemeinsame Aufgabe der Koalition"

Während sich die Ampelkoalition am Sonntagabend zu einer Klausur im Kanzleramt trifft, ist sie auch in der ARD-Talkshow Anne Will Gesprächsthema. Es geht um den Streit zwischen den Koalitionären, und hier besonders um ein Thema: Die Energiewende.

Es sollen mehr als dreißig Themen sein, über die sich die Ampelkoalition zurzeit streitet. Das schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Auch wenn diese Zahl leicht übertrieben scheint - Fakt ist: Der Haussegen hängt schief. Wäre die Koalition eine Familie, müssten zwei zur Eheberatung, der Dritte müsste ins Heim, mindestens aber zur Oma. Das geht nicht, und darum hat sich die Ampelkoalition am Sonntagabend im Kanzleramt getroffen, auf dass danach wieder Frieden herrsche - für ein paar Tage.

Zur gleichen Zeit trifft sich auch Anne Will mit ihren Gästen in der ARD. Und die können erst einmal über eine positive Nachricht reden: Bundesregierung und EU-Kommission haben sich am Freitag über das Aus von Autos mit Verbrennermotor geeinigt. Die dürfen auch nach 2035 zugelassen, aber nur mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden. Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist glücklich, spricht von Energieoffenheit und hält die Einigung juristisch für wasserdicht. In Brüssel spricht man von Energieneutralität, und ob die Sache wirklich so wasserdicht ist, wird von Experten bezweifelt. Die EU hatte eigentlich vor, ab 2035 keine Autos mit Verbrennermotoren mehr zulassen wollen.

Vom Tiger zum Bettvorleger

"Die FDP hat erreicht, dass eine zusätzliche Technologie für den Klimaschutz zur Verfügung steht", freut sich der stellvertretende FDP-Chef Konstantin Kuhle bei Anne Will. Man sei sich sicher in der Ampel: E-Mobilität werde im Zentrum der Verkehrswende stehen. Synthetische Kraftstoffe werden nach Kuhles Ansicht jedoch weiter gebraucht werden, und zwar für die Schifffahrt, für Flugzeuge und für die Bestandsflotte. Wolle man den Klimaschutz, "Dann gehören alle Technologien auf den Tisch, und dazu gehören auch synthetische Kraftstoffe."

Kuhles Freude kann Petra Pinzler nicht verstehen. "Wissing ist als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet", sagt die Redakteurin der Zeitung "Die Zeit". Sie glaubt, dass es 2035 ein Luxus-Segment mit Verbrennungsmotoren geben werde. So habe Porsche bereits ein entsprechendes Modell in Petto. Zudem sei der nächste Streit schon vorprogrammiert: Finanzminister Lindner habe für diese Luxusautos schon mal Steuervergünstigungen angekündigt.

Grünen-Politiker Jürgen Trittin ist froh, dass der Streit nun beigelegt ist. "Wir tun gut daran, uns auf das zu konzentrieren, was wir zu tun haben: unseren schrecklichen Nachholbedarf, den wir beim Klimaschutz und bei der Elektromobilität haben, endlich anzugehen." Das sei auch im Interesse der deutschen Autoindustrie. Deutschland müsse eine Dekarbonisierung, also eine Verminderung des CO2-Ausstoßes, auch in den Bereichen hinbekommen, die bisher vom Erdgas abhängig seien, sagt Trittin. "Dazu zählt unsere Chemieindustrie, und dort werden wir prioritär E-Fuels einsetzen müssen." Es werde schwierig sein, die für den Erhalt der Chemieindustrie nötigen Mengen an Wasserstoff zu produzieren. Wichtiger sei es, sich im Verkehrsbereich auf E-Mobilität zu konzentrieren, denn dabei hinke Deutschland der Entwicklung zum Beispiel in China sieben Jahre hinterher.

Jens Spahn von der CDU glaubt, dass die meisten KFZ-Hersteller auf E-Mobilität setzen würden, vor allem in Europa. Seiner Ansicht nach sei es aber falsch, nicht weiter auf Verbrennermotoren zu setzen, denn da sei Deutschland führend. Ihm sei auch bewusst, dass die Produktion von E-Fuels aktuell sehr teuer sei. Aber man wisse doch nicht, ob nicht vielleicht in sieben Jahren eine völlig neue Erfindung die Produktion dieser Treibstoffe revolutionieren werde.

Energiewende mit falschem Ansatz

Irgendwie hat man das alles schon gehört. Doch dann kommt Lamia Messari-Becker zu Wort. Die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik war von 2016 bis 2020 Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen bei der Bundesregierung. Auch sie sei für Technologieneutralität. Für sie sei sinnvoll, dass die Menschen schnell und günstig von einem Ort zum anderen kommen, sagt sie. "Und da spielt ganz bestimmt der Ausbau des ÖPNV eine sehr große Rolle." Die Debatte auf E-Fuels und E-Mobilität zu beschränken hält sie für falsch. "Wir müssen schauen, dass wir vom Verkehrsaufkommen runterkommen. Das geht zum Beispiel mit der Stadt der kurzen Wege." Damit meint sie Städte und Stadtteile mit kompakten Strukturen, einer Nutzungsmischung - also Wohn-, Shopping- und Freizeitmöglichkeiten auf engem Raum - und möglichst kurze Strecken zu Job, Kitas oder Schulen, die man zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen kann.

Gleichzeitig kritisiert sie, dass die Bundesregierung sowohl im Verkehrsbereich mit E-Mobilität und E-Fuels als auch bei der Wärmegewinnung mit Wärmepumpen vor allem auf Technologien setzt, die Strom fressen. "Wir brauchen Optionen, damit jeder Mensch seinen Beitrag am Klimaschutz leisten kann. Es gibt nicht die eine Lösung, die für alle Häuser Funktioniert. Für den einen sind es Wärmepumpen, für den anderen Fernwärme und Geothermie. Was wir jetzt machen ist eine stromfokussierte Energiewende", kritisiert die Wissenschaftlerin. Das neue Gebäudeenergiegesetz müsse deswegen nicht nur Technologieneutral sein, es müsse auch ernsthafte Optionen für die Menschen schaffen.

Um dieses Gesetz hatte es in den letzten Wochen heftige Diskussionen gegeben. Es regelt, dass Hauseigentümer ab 2024 keine neuen Gas- und Ölheizungen mehr einbauen dürfen. Auch darüber hatte es in der Ampelkoalition heftigen Streit gegeben. Einen Streit, der in der Nacht beigelegt werde, hofft Konstantin Kuhle am Sonntagabend. "Wir kriegen das hin", sagt er. "Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe der Koalition."