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Analyseanbieter „AlleAktien“ – Große Versprechen, doch was steckt dahinter?

Wer bei Instagram, YouTube, Facebook oder TikTok unterwegs ist, stößt häufig auf Angebote, die verlockend klingen: vom Abnehmpulver bis zur lukrativen Geldanlage. In unserer Serie nimmt Reporterin Judith Henke diese Produkte in den Blick. Was steckt dahinter, wie seriös sind sie?

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Männliche Leser, die noch nach einem passenden Parfüm suchen – aufgepasst: Ich habe gehört, der Duft Ombre Nomade von der Marke Louis Vuitton soll gut sein. Woher ich das weiß?

Das hat Michael Jakob, der Chef des Aktienanalyseanbieters „AlleAktien“ auf dem Instagram-Profil seines Unternehmens verraten. Genauer gesagt verwendete er in besagter Instagram-Story die Worte „Ombre Nomade (Louis Vitton) ist ein Dosenöffner.“

Diese Formulierung – mit der er meint, das Parfüm käme bei Frauen gut an – ist etwas ungewöhnlich für eine Führungsperson eines Unternehmens, das für sich den Anspruch erhebt, professionelle Analysen zu verkaufen.

Ein etwas prolliges Lob für ein Parfüm

Ein etwas prolliges Lob für ein Parfüm

Quelle: www.instagram.com/alleaktien/

Doch vielleicht kann sich „AlleAktien“-Chef Michael Jakob diese Außendarstellung einfach erlauben. Schließlich scheint er ein genialer Anleger zu sein. Sein Depot, das er für Premium-Nutzer, die monatlich 29 Euro für die Aktienanalysen zahlen, offenlegt, scheint besser zu performen als das der meisten Profianleger.

Seit 2013 soll es pro Jahr um 26,5 Prozent gewachsen sein – das wäre, den Zinseszinseffekt eingerechnet, etwa eine Verachtfachung des Kapitals. Ich kann kaum glauben, dass das möglich ist – und habe deshalb Michael Jakob gebeten, mir diese Wahnsinns-Performance zu belegen. Eine Antwort blieb aus.

Doch vielleicht bin ich auch einfach zu skeptisch. Schließlich hat selbst die „WirtschaftsWoche“ schon über „AlleAktien“ geschrieben, das Unternehmen erstelle „Deutschlands beste Aktienanalysen.“ Damit warb zumindest „AlleAktien“ auf Instagram.

Dass sich ein renommiertes Wirtschaftsmagazin zu einem solchen Urteil hinreißen lässt, ist selten. Ich kann verstehen, dass „AlleAktien“-Chef Michael Jakob stolz darauf ist. Um zu schauen, in welchem Kontext dieses tolle Lob ausgesprochen wurden, habe ich das WirtschaftsWoche-Archiv durchsucht. Doch die Formulierung „Deutschlands beste Aktienanalysen“ konnte ich im Zusammenhang mit „AlleAktien“ nicht finden.

Habe ich einfach nicht gründlich genug gesucht? Ich frage sicherheitshalber direkt bei der „WirtschaftsWoche“ nach und erfahre: Der Grund, warum ich die Aussage nicht im Archiv finden konnte, ist, dass sie nie getätigt wurde.

Mehr als 86.000 Instagram-Follower

Was aber stimmt: Michael Jakob wurde von der „WirtschaftsWoche“ bereits interviewt, etwa für den Podcast „Money Mates“, wo er über die richtigen Kennzahlen und die passende Dividendenstrategie spricht. Auch WELT hat ihn bereits nach Einschätzungen gefragt, etwa dazu, welche Aktien am besten in ein Jugenddepot passen.

„AlleAktien“ kommt besonders bei jungen Anlegern gut an, die Unternehmensseite hat auf Instagram mehr als 86.000 Follower. Auf der Website des Unternehmens gibt es zu unzähligen Unternehmen Analysen. Zu Beurteilung, ob ein Unternehmen Zukunftspotential hat, hat „AlleAktien“ einen eigenen Score entwickelt. Das Research-Unternehmen wirbt damit, unabhängig zu sein – und will vor allem langfristigen Investoren bei ihren Anlageentscheidungen helfen.

Klingt nützlich – finden wohl auch einige Unternehmen. Das schreibt zumindest „AlleAktien“ auf seiner Website. „Mitarbeiter der besten Firmen setzen auf AlleAktien Premium“ heißt es dort. Doch um welche Firmen es sich handelt, erfahre ich derzeit nicht. „Die Liste wird fortlaufend aktualisiert“, steht nur darunter.

Vor knapp zwei Wochen sah das noch ganz anders aus. Zu diesem Zeitpunkt waren auf der Website noch 16 Firmen und Forschungseinrichtungen mit Logos zu sehen – darunter auch der „Axel Springer“-Verlag, zu dem auch WELT gehört.

Als ich die Aufzählung sah, habe ich mich gefragt: Warum heißt es „Mitarbeiter der besten Firmen“ und nicht einfach direkt „Firmen“? Heißt das, sobald irgendein Mitarbeiter einer riesigen Firma oder Forschungseinrichtung mal „AlleAktien“ genutzt hat, wirbt das Analyseunternehmen damit auf der Website? Wissen die Unternehmen überhaupt von ihrem Glück, dort zu Werbezwecken erwähnt worden zu sein?

Links: Werbung mit Firmenlogos. Rechts: Aktualisierungsvermerk nach Anfrage der Firmen

Links: Werbung mit Firmenlogos. Rechts: Aktualisierungsvermerk nach Anfrage der Firmen

Quelle: https://www.alleaktien.de/alleaktien-premium-b2b/

Ich habe einfach mal bei jedem einzelnen nachgefragt, insgesamt dreizehn – darunter auch „Axel Springer“ – haben mir geantwortet. Nur ein Unternehmen, die Volksbank Althausen, bejaht, dass es „AlleAktien“ nutze. Es diene „für interne Zwecke als ergänzende Informationsquelle“, so der Sprecher.

Doch der Tenor der anderen zwölf Unternehmen, die mir geantwortet haben, lautet: Eine offizielle Kooperation bestehe nicht, allenfalls würden es möglicherweise einzelne Mitarbeiter nutzen.

Ein paar der Sprecher verrieten mir, dass sie nun auch „AlleAktien“ kontaktiert und gebeten haben, ihr Logo von der Website zu nehmen. Und so wurde innerhalb von weniger als zwei Wochen aus einer illustren Aufreihung von Unternehmen und Universitäten ein knapper Aktualisierungshinweis.

Werbung mit BaFin-Überwachung

Wenn schon dieses Werbeversprechen überzogen ist – wie sieht es dann mit anderen Angaben aus, die „AlleAktien“ macht, um das Vertrauen der Kunden zu gewinnen?

Etwa dieser hier: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) würde „stichprobenartig“ die Aktienanalysen auf „Qualität, Korrektheit“ und „Einhaltung der höchsten professionellen Standards“ prüfen. Laut Paragraf 86 des Wertpapierhandelsgesetzes sei „AlleAktien“ nämlich ein professioneller Research-Anbieter. Damit wirbt „AlleAktien“ in einer Instagram-Story.

Ich bin begeistert: Dass die BaFin die personelle Kapazität hat, Analysen stichprobenartig zu überprüfen wusste ich bis jetzt gar nicht. Ich hatte bisher immer nur das geglaubt, was auf der Website der Aufsichtsbehörde selbst steht. Denn dort heißt es: „Im Gegensatz zu Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten hat der Gesetzgeber eine regelmäßige Prüfung der institutsunabhängigen Ersteller und/oder Weitergeber von Anlageempfehlungen nicht vorgesehen.“

Links: Werbung mit der stichprobenartigen BaFin-Prüfung. Rechts: BaFin sieht keine regelmäßige Prüfung vor

Links: Werbung mit der stichprobenartigen BaFin-Prüfung. Rechts: BaFin sieht keine regelmäßige Prüfung vor

Quelle: https://www.instagram.com/alleaktien/, https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/BoersenMaerkte/Marktmissbrauch/Anlagestrategie/anlagestr

Ist die BaFin-Website veraltet und ich habe nicht mitbekommen, dass es seit Neuestem diese stichprobenartigen Prüfungen von Analysen gibt? Ich frage sicherheitshalber bei der Aufsichtsbehörde nach, doch auch die verweist auf die Angaben ihrer Website, die mir bereits bekannt sind.

Die BaFin überwache aber, ob die Mindestanforderungen der Marktmissbrauchsverordnung und der Delegierten Verordnung eingehalten werden, so eine Sprecherin. Das heißt, die Analyseanbieter müssen Umstände offenlegen, die die Objektivität ihrer Empfehlung beeinträchtigen könnten und Interessenkonflikte geringhalten.

Wenn es also gar nicht so richtig stimmt, dass die BaFin die Analysen stichprobenartig prüft – darf „AlleAktien“ dann überhaupt damit werben? Ich frage Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Seine klare Antwort: „Ich halte die Werbeaussage für unlauter und damit rechtswidrig.“

Das träfe auch auf die Aussage zu, die WirtschaftWoche habe geschrieben, das Unternehmen erstelle die besten Aktienanalysen Deutschlands. Auch Franz Burchert, Anwalt für Wettbewerbsrecht bei Burchert und Partner, hält die BaFin-Aussage für fragwürdig, hier liege der Vorwurf einer irreführenden Werbung sehr nahe.

Werbung mit Renditen

Doch wer sich von sowas nicht abschrecken lässt, auf den warten hohe Renditen. Das zumindest verspricht „AlleAktien“ allen, die das „AlleAktien Dividendendepot“ nachkaufen. Das Musterdepot gibt es seit Dezember 2021, es sei laut Website „perfekt geeignet für Anfänger oder auch Fortgeschrittene, die weder auf Dividende noch auf Wachstum verzichten möchten.“

Das Ziel sei, 2,4 Prozent Dividendenrendite und mehr als 10 Prozent Gesamtrendite pro Jahr zu erzielen. Zum Vergleich: Anleger, die zwischen 2008 und 2021 auf den MSCI-World-Index setzten, erzielten eine Durchschnittsrendite von 9,8 Prozent.

„AlleAktien“ will mit seinem Dividendendepot also den Markt schlagen. In einer Tabelle, in der „AlleAktien“ die Performance eines durchschnittlichen Privatanlagerdepots mit der des „AlleAktien Dividendendepots“ vergleicht, sind sogar von 12 bis 15 Prozent jährlicher Rendite die Rede.

Sind solche Versprechen überhaupt angebracht? Auch hier frage ich Verbraucherschützer Niels Nauhauser. „Ein Renditeversprechen von 12 bis 15 Prozent ist ohne jeden Zweifel vollkommen unseriös“, sagt er. Es existiere schlicht keine Anlagestrategie, die eine derart hohe positive Mindestrendite zusichern kann.

Links: Werbung mit 12 bis 15 Prozent Rendite. Rechts: Warnung vor Werbung mit 12 bis 15 Prozent Rendite

Links: Werbung mit 12 bis 15 Prozent Rendite. Rechts: Warnung vor Werbung mit 12 bis 15 Prozent Rendite

Quelle: https://www.instagram.com/alleaktien/

Ironischerweise rät auch „AlleAktien“-Chef Michael Jakob in einer Instagram-Story dazu, bei Renditeversprechen zwischen 12 und 15 Prozent skeptisch zu werden. Dann sollte der Anleger unter anderem überprüfen, was die Person, die diese Versprechungen abgibt, vorher gearbeitet habe.

Dann mache ich das doch direkt mal: Michael Jakob hat nach eigenen Angaben vor der Gründung von „AlleAktien“ bei der Schweizer Bank UBS und dem Beratungsunternehmen McKinsey gearbeitet.

Ein beeindruckender Lebenslauf, vor allem für jemanden, der nicht einmal 30 Jahre alt ist. Der Gründer weiß das, wirbt damit sogar auf seiner Website. Doch ein Blick auf sein LinkedIn-Profil zeigt: Die Arbeitserfahrung bei der UBS war nur ein etwa halbjähriges Praktikum.

Worüber Michael Jakob weniger gerne redet

Über andere Stationen seiner Karriere schweigt Michael Jakob hingegen. So gründete er 2016 die Lernplattform „schweizerdeutsch-lernen.“ In einem Artikel der Schweizer Zeitung „Tagblatt“ erzählt er, wie ihm die Idee kam, als er selbst von Bayern für sein Studium in die Schweiz zog.

Die Lernplattform soll ein „Schweizerdeutsch-Hochdeutsch-Wörterbuch“ enthalten, das über 30.000 Einträge habe – laut Jakob das „umfangreichste im Netz“, wie die Zeitung schreibt.

Klingt doch beeindruckend – wieso wirbt er nicht damit auf seiner „AlleAktien“-Website? Die Antwort finde ich in einem weiteren Beitrag eines Schweizer Mediums – dieses Mal das Verbrauchermagazin „Espresso“ des TV-Senders SRF. „Schweizerdeutsch-Kurs entpuppt sich als Abo-Falle“, heißt es ganz groß in der Überschrift.

Oben: Der stolze Gründer eines Schweizerdeutsch-Kurses. Unten: Der Schweizerdeutsch-Kurs in der Kritik

Oben: Der stolze Gründer eines Schweizerdeutsch-Kurses. Unten: Der Schweizerdeutsch-Kurs in der Kritik

Quelle: https://www.tagblatt.ch/leben/gruuuuuzi-wie-ein-deutscher-student-seinen-landsleuten-mundart-beibringt-ld.1607208, https://www.s

Der Kurs sei von minderer Qualität, ganze Textpassagen seien aus Wikipedia abgeschrieben worden, so der Bericht. Eine Kundin, die für den Kurs 118 Franken gezahlt hatte, hat sich damals an den Sender gewendet – auch mir ist es gelungen, mit ihr zu sprechen.

Sie sei wegen der Liebe in die Schweiz gezogen, erzählt mir Lisa Schmidt, deren echter Name mir bekannt ist. Schnell habe sie gemerkt, dass es eine große Herausforderung sei, Schweizerdeutsch zu lernen. Also habe sie sich für die Lernplattform „schweizerdeutsch-lernen“ entscheiden. Ein Fehler, wie sie schnell merkte.

Kunden wollten ihr Geld zurück

Schmidt habe sich zwar über den Fehlkauf geärgert, aber da sie dadurch nur 118 Franken verloren habe, sei der Vorfall schnell vergessen gewesen. Doch ein Jahr später, im Dezember 2020, seien ihr erneut 118 Franken abgebucht worden. „Mir war nie bewusst gewesen, dass ich ein Abo abgeschlossen habe. Das war nicht transparent gemacht worden“, betont sie.

Also habe sie sich an den Betreiber der Website, Michael Jakob, gewendet – ohne Erfolg. Schmidt, die selbst Journalistin ist, nahm die Lernplattform noch einmal unter die Lupe und bemerkte: „Unter den Blogartikeln schrieben noch mehr verzweifelte Kunden, dass sie ihr Geld wiederhaben wollen.“

Als Lisa Schmidt bewusst geworden sei, dass sie nicht einzige Geschädigte ist, habe sie die „Espresso“-Redaktion des SRF kontaktiert. „Noch am Tag der Ausstrahlung wurde mir das gesamte Geld zurücküberwiesen und Herr Jakob schrieb mir eine reuevolle Email“, erzählt sie.

Damit sei die Sache für Schmidt erledigt gewesen – bis ich sie kontaktiert habe. Aus Neugierde habe Schmidt noch einmal geschaut, ob die Schweizerdeutsch-Lernen-Seite noch existiert. Und siehe da: nur die Domain sei eine andere, nicht mehr „ch“, sondern „com.“

Firmensitz in Singapur

Gibt es den Kurs also immer noch? Ich gehe selbst auf die Seite. Der Name von Michael Jakob taucht nirgendwo mehr auf, im Impressum steht eine Firma mit Sitz in Singapur – ein Land, das nicht gerade für seine Transparenz bekannt ist. Also frage ich Michael Jakob selbst, ob er die Plattform noch betreibt.

Doch eine Antwort erhalte ich auf meine Nachfragen nicht. Herr Jakob sei zeitlich durchgeplant, schreibt mir eine „AlleAktien“-Mitarbeiterin. Am nächsten Tag postet der zeitlich durchgeplante Michael Jakob wieder mehrere Instagram-Storys, darunter eine Art To-Do-Liste für seinen Tag. Bereits erledigt: Spaziergang und morgendliches Work-Out.