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Auch für Russland verheerend: Was passiert, wenn Putin Atomwaffen einsetzt

Russland besitzt die meisten Atomwaffen weltweit. Im Ukraine-Krieg droht der Kreml immer wieder damit, sie einzusetzen. Auf dem Schlachtfeld würde Kremlchef Putin damit auch seiner eigenen Bevölkerung schaden. Und eine weltweite Eskalation wäre vorprogrammiert.

"Russland hat das Recht, Atomwaffen einzusetzen, wenn es nötig ist." Das hat Dmitri Medwedew Ende September bei Telegram geschrieben. Russlands Ex-Präsident ist heute stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates.

Damit hat Medwedew konkret gemacht, was der russische Präsident Wladimir Putin eine Woche früher in einer Fernsehansprache nur angedeutet hat. Putin hatte indirekt damit gedroht, Nuklearwaffen einzusetzen. In der Rede, in der er auch die Teilmobilisierung angekündigt hat. Putin sagte, dass Russland alle "verfügbaren Mittel" einsetzen wird, um sein Territorium zu schützen. Damit sind auch die vier von Russland annektierten Gebiete in der Ukraine gemeint.

Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger beschreibt bei ntv den Grund für die nukleare Drohung: "Momentan ist eine Lage entstanden, in der Russland kaum mehr die Möglichkeit hat, den Krieg konventionell zu gewinnen und auch die Gebiete, die es eingenommen hat, konventionell zu halten."

Atomangriff in der Ukraine? Fallout bis nach Russland

Wie schlimm wäre es wirklich, wenn Russland eine Atomwaffe im Ukraine-Krieg einsetzen würde? Als Beispiel nehmen wir eine Atomwaffe mit der Größe von zehn Kilotonnen. So groß ist Russlands kleinste Atomwaffe. Und das ist etwa die Größe der Atombombe, die die USA 1945 über Hiroshima abgeworfen hatten.

Würde ein Sprengkopf dieser Größe in Charkiw gezündet werden, der zweitgrößten ukrainischen Stadt, würden nach den Berechnungen der Atombombensimulation "Nukemap" schätzungsweise rund 25.000 Menschen sterben und 63.000 Menschen verletzt werden. Der Fallout, der radioaktive Niederschlag, könnte je nach Windrichtung in einem Streifen von 100 Kilometern fallen, bis in den russischen Ort Karaichnoe im Oblast Belgorod.

Bei einer Luftdetonation über Charkiw, die wahrscheinlichere Variante, wenn Städte mit Nuklearwaffen angegriffen würden, gäbe es mehr Opfer, rund 48.000 Menschen würden sterben und 158.000 verletzt.

"Städte in Schutt und Asche legen"

In beiden Fällen wäre innerhalb des Feuerballs alles verglüht. Innerhalb eines bestimmten Radius wäre die Stadt komplett zerstört. Die Folgen solch eines Atomangriffs wären zwar verheerend, aber auch lokal begrenzt.

Zudem sind die ersten Stunden nach einem Atomschlag entscheidend. Die Gefahr einer Strahlenbelastung sinkt nach Angaben des Johns Hopkins Center for Health Security eine Stunde nach der Explosion um 55 Prozent, nach 24 Stunden um 80 Prozent.

"Das, was Kernwaffen gut können, ist, Städte in Schutt und Asche legen", sagt Moritz Kütt im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Kütt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Atomwaffen militärisch einzusetzen, mache keinen Sinn, so Kütt. "Das ist wirklich nur noch ein Einschüchterungsversuch am Ende eines Krieges. Das trifft weder gegnerische Kräfte noch die gegnerische Industrie, sondern vor allem die gegnerische Bevölkerung."

Moskau würde taktische Waffen einsetzen

Russland sitzt auf einem riesigen Atomwaffenarsenal. Die größte Atommacht der Welt hat laut der Federation of American Scientists knapp 6000 Atomwaffen. Rund 1600 davon sind strategische Waffen, dazu kommen noch rund 1000 strategische Atomsprengköpfe. Außerdem besitzt Moskau rund 2000 taktische Atomwaffen, 1500 Nuklearwaffen sind nicht einsatzbereit. Die Atomwaffen unterscheiden sich vor allem darin, wie sie eingesetzt werden: Die strategischen Waffen werden für längere Strecken eingesetzt, montiert auf Interkontinentalraketen zum Beispiel. Sie sind eher als Abschreckung gedacht.

Die taktischen Atomwaffen können auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden, für direkte Angriffe, beispielsweise auf Militärstützpunkte. Ihre Reichweite ist nicht ganz so hoch, sie liegt etwa bei bis zu 100 Kilometer, je nachdem, von wo sie abgefeuert werden. "Die können als Bomben von Flugzeugen abgeworfen werden, die sitzen auf Kurzstreckenraketen, die können als Wasserbomben von Schiffen im U-Boot-Kampf abgeworfen werden. Es gibt Torpedos, es gibt Marschflugkörper und es gibt Minen", beschreibt Moritz Kütt die verschiedenen taktischen Waffen.

Die taktischen Waffen sind so groß wie normale Bomben, sagt Kütt. Sie können unter anderem eine zylinderartige Form haben, mit einer Länge von ein bis zwei Metern und einem Durchmesser von 30 bis 40 Zentimetern. "Es braucht dafür keine LKW, um die irgendwo hinzubringen." Der Experte vermutet, dass Moskau im Krieg wahrscheinlich diese Atomwaffen einsetzen würde.

Russland könnte mit nuklearem Angriff überraschen

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei Audio Now, Apple Podcasts und Spotify. "Wieder was gelernt" ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Das Problem ist: Würde Russland im Krieg solche Atomwaffen zünden, wäre nicht nur die Ukraine betroffen. Auch die russische Armee wäre gefährdet, und auch die Bewohner der annektierten Gebiete in der Ukraine könnten etwas abbekommen. Und wenn der radioaktive Staub bis über die Grenze zieht, auch die russische Zivilbevölkerung. "In der Ukraine weht der Wind oft auch von West nach Ost. Wenn es einen nuklearen Fallout geben würde, würde der eher in Richtung Russland und russische Truppen gehen", erläutert Kütt im Podcast.

Sollte Russland eine Atomwaffe zünden, gäbe es vorher kaum Anzeichen dafür, meint Moritz Kütt. Zwar müssten die Russen ihre Sprengköpfe zu den Trägersystemen transportieren. "Die taktischen Kernwaffen der Russen liegen alle in separaten Lagern und werden auf Trägersysteme montiert oder zum Flugfeld gebracht, wo die Flugzeuge stehen."

Doch da diese auch sehr klein sein können und auf einen LKW passen, würden wir keine große Kolonne sehen, die durch das Land zieht. Wie im Frühjahr, als sich ein kilometerlanger Militärkonvoi auf die ukrainische Hauptstadt Kiew zubewegt hat. "Es kann sein, dass es die Russen versteckt schaffen, eine Kernwaffe aus ihrem Lager herauszuholen und dann einzusetzen."

Wenige Minuten bis zur Detonation

Würden die Warnungen der Geheimdienste rechtzeitig eintreffen, hätten wir im Idealfall bis zu vier Tage Zeit, uns auf den Atomangriff vorzubereiten. So lange dauert es, eine taktische Atomwaffe von den zentralen Lagern zu den Flugzeugen, Raketen oder Marschflugkörpern zu bringen, erklärt Moritz Kütt.

Der tatsächliche Start geht dann aber blitzschnell: "Nehmen wir mal an, es ist eine Kernwaffe auf einer Kurzstreckenrakete. Dann ist die Zeit wenige Minuten." Das gelte auch für eine Bombe, die von einem Flugzeug abgeworfen werde. "Es ist jetzt nicht so, dass man sagen kann: Okay, wir räumen jetzt die Ostukraine, das ist absolut unmöglich, selbst wenn wir Warnungen hätten."

Auch die strategischen Raketen, die von den USA nach Russland fliegen können oder umgekehrt, würden etwa nur eine halbe Stunde fliegen. "Da ist auch nicht wirklich Zeit, sich in Sicherheit zu bringen oder noch viel zu verändern."

Gerüchte über Atom-Zug

Noch haben die westlichen Geheimdienste nicht beobachtet, dass Russland seine Kernwaffen bereitmacht. Es hatte zwar Berichte gegeben, dass ein russischer Militärzug mit Kernwaffen auf dem Weg in die Ukraine ist. Allerdings soll der Zug nur mit dem Hauptdirektorat des russischen Verteidigungsministeriums in Verbindung stehen, das auch für die Bereitstellung von Atomwaffen zuständig ist.

Unklar ist, wie man am besten auf einen russischen Angriff reagieren sollte. Feuern die USA oder die NATO mit Kernwaffen zurück, würden Europa, Russland und die USA sehr wahrscheinlich zerstört werden. Das hat Moritz Kütt zusammen mit anderen Wissenschaftlern simuliert. In dem Atomkrieg würden sofort 34 Millionen Menschen sterben und es gäbe über 57 Millionen Verletzte.

Eine nukleare Reaktion auf einen russischen Atomangriff wäre also der falsche Weg. "Es gibt schon seit Hiroshima und Nagasaki ein Tabu, diese Waffen einzusetzen", erläutert Kütt im Podcast. "Das wäre dann gebrochen und dann müsste man versuchen, es möglichst schnell wieder herzustellen." Dann seien die Staaten gefragt, das zu verurteilen.

Kreml könnte Atomangriff vor Russen nicht geheim halten

Auch im eigenen Land hätte ein Nuklearangriff für den Kremlchef direkte Folgen. "So ein Atomwaffenangriff auf die Ukraine kann die russische Regierung vor der russischen Bevölkerung nicht geheim halten. Die Leute würden das mitbekommen. Und dann ist die Frage, wie weit die Zustimmung der Bevölkerung zu Putins Krieg dann sinkt."

Hans Kristensen, der Direktor des Nuclear Information Project sieht im "Standard" noch eine andere mögliche Reaktion auf einen russischen Atomschlag. Für ihn ist es wahrscheinlich, dass der Westen mit einer totalen wirtschaftlichen Isolation reagiert, mit massiven Cyberattacken - oder, dass die NATO Truppen in die Ukraine schickt.

Allerdings will es die NATO bisher vermeiden, in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden. Dann könnte der Krieg eskalieren, über die Grenzen der Ukraine hinaus.

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