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Auf Wahlkampftour in Neukölln: Merz verharrt im "Wir und die Ausländer"-Schema

Nach der krawallreichen Silvesternacht kocht die Migrationsdebatte hoch - mittendrin: Friedrich Merz. Nun ist der CDU-Chef und "Kleine Pascha"-Kritiker dort zu Gast, wo es zum Jahreswechsel mit am übelsten rund ging. In der Berliner Gropiusstadt macht er Wahlkampf, begleitet von Querschüssen der Regierenden Bürgermeisterin Giffey.

Ein Hinterhalt wird Friedrich Merz nicht gelegt, als er in der Berliner Gropiusstadt eintraf. 16 Kilometer oder 17 U-Bahnstationen liegt die Großsiedlung vom Bundestag entfernt, wo der CDU-Partei- und Fraktionschef seinen Arbeitsplatz hat. Rund um Brandenburger Tor und Hotel Adlon ist Berlin eine andere Welt als weit im Süden Neuköllns zwischen den Hochhäusern der Gropiusstadt. Dort also, wo in der Silvesternacht Jugendliche Feuerwehrleute in einen Hinterhalt lockten und mit Eisenstangen angriffen - und nicht nur Böller, sondern auch die nächste Migrations- und Integrationsdebatte explodieren ließen.

Merz in der Gropiusstadt, das ließ natürlich auch ein Nachspiel zu seiner "Kleine Paschas"-Debatte erwarten, die er mit einem Auftritt bei Markus Lanz ausgelöst hatte. Offiziell macht er Wahlkampf für die Berliner CDU. Deren Spitzenkandidat Kai Wegner hofft, nach der Wiederholungswahl am 12. Februar Regierender Bürgermeister der Hauptstadt zu werden - und Amtsinhaberin Franziska Giffey von der SPD zu beerben. In Umfragen liegt er in Führung.

Vielleicht war es das, was Giffey verleitete, auf Twitter heftig gegen die Veranstaltung zu schimpfen: "Was Friedrich Merz und die Berliner CDU seit Wochen veranstalten, ist populistisch und durchschaubar. Die Masche ist bekannt: Erst spalten und hetzen, dann wieder relativieren. Mit diesem Muster macht die CDU Positionen der Rechten salonfähig."

Berliner CDU wollte Vornamen der Verdächtigen

Bei Lanz hatte Merz "kleine Paschas" kritisiert, die ihren Grundschullehrerinnen keinen Respekt zeigten. Er schimpfte auf Jugendliche "aus dem arabischen Raum", die Spaß daran hätten, den Staat herauszufordern. Die hätten "in diesem Land nichts zu suchen". Dabei sind viele der Tatverdächtigen in Deutschland geboren und haben einen deutschen Pass. Einfach abschieben wird man das Problem nicht können.

Die Berliner CDU setzte noch eins drauf, indem sie forderte, die Vornamen der Verdächtigen freizugeben. Sie wollte wohl mögliche rot-rot-grüne Hemmungen ausnutzen, über die Probleme in den Brennpunkten zu reden. Doch stattdessen teilte sie Deutsche in solche mit richtigen und falschen Vornamen ein und machte einen Migrationshintergrund zum Verdachtsmoment. Statt eine inhaltliche Analyse abzugeben, verhedderte sich die Politik in einer Rassismus-Debatte. Wie man Kinder mit schweren Erziehungsdefiziten auf die richtige Spur bringt oder Jugendliche davon abhält, an Silvester Einsatzkräfte anzugreifen, wurde fast schon wieder Nebensache. Bei seiner Rede im Gemeinschaftshaus in der Gropiusstadt behauptet Spitzenkandidat Wegner, er habe die Namen wissen wollen, um Präventionsmaßnahmen besser zuschneiden zu können.

Als Merz in dem gepflegten, modernen Saal des Gemeinschaftshauses eintrifft, umringen ihn Journalisten, Fotografen und Kameras. Laute Technobässe wummern, die überwiegend älteren Herrschaften in den gut gefüllten Reihen erheben sich und klatschen rhythmisch mit. Doch als der Stargast ans Rednerpult tritt, wird er plötzlich immer leiser. Er erzählt von der Gedenkstunde zur Auschwitz-Befreiung im Bundestag. Von einer Frau, die als Baby von ihren Eltern an eine holländische Familie gegeben wurde, bevor die selbst in ein Konzentrationslager mussten. Fast versagt ihm die Stimme.

"Rassistische Scheiße"

Der CDU-Chef fängt sich wieder und sagt, er habe dann gedacht, wie stolz er auf die "Geschichte unseres Landes" sei. Wobei er mit "unserem Land" die Bundesrepublik meint, die er als eines der "freiheitlichsten und schönsten Länder der Welt" beschreibt. Aus dem Publikum sagt plötzlich ein junger Mann: "Diese rassistische Scheiße gebe ich mir nicht", steht auf und marschiert Richtung Ausgang. Merz reagiert schnell: "Wenn Sie glauben, dass das rassistische Scheiße war, dann sehen Sie, welches Problem wir in einem kleinen Teil Deutschlands haben!" und sichert sich den Applaus. Das war es dann aber auch mit der Action. Um neue Schlagzeilen à la "kleine Paschas" zu produzieren, ist Merz nicht gekommen.

Der 67-Jährige beschwert sich darüber, dass sein Auftritt bei Lanz immer auf einen kleinen Ausschnitt reduziert werde, nennt das eine Manipulation. Merz bekennt sich dann klar zu Asyl für Schutzsuchende und Zuwanderung wegen des Fachkräftemangels. Später, als Fragen gestellt werden dürfen, grenzt er sich leidenschaftlich von der AfD ab. Es geht an diesem Abend auch nicht nur um Migration oder Integration. Der Oppositionsführer redet ausführlich über den Ukraine-Krieg, rechtfertigt die Panzer-Lieferungen. Und natürlich feuert er genüsslich gegen den rot-rot-grünen Senat in Berlin, der, so die Kurzfassung, nichts geregelt kriege.

Aber er geht auch nochmal auf die Silvesternacht ein. "Man löst Probleme nicht, indem man sie verschweigt", sagt er. Und: "Die Schwachköpfe links und rechts werden die Oberhand gewinnen, wenn wir keine Lösungsansätze präsentieren." Er spricht von Willkommenskultur, Freundschaft und Kollegialität. Dabei verharrt er in einem "Wir und die Ausländer"-Schema. Er sagt zwar nicht mehr, "die" hätten hier nichts zu suchen. Aber zum Beispiel, dass nach Silvester auch ein in der Türkei geborener Metzger "sich für seine Landsleute" geschämt habe. Dass "die", auch wenn sie Idioten oder gar Straftäter sind, trotz Migrationshintergrund auch ein Teil von "uns" sind, das kommt in Merz' Worten nicht vor.

Bis ganz zum Schluss. "Wann wird aufgehört, von Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund zu reden?", fragt jemand. Merz sagt: "Wir tun es, jetzt sofort."