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Bayerns schaurigste Morde: „Auf der Straße ist es sicherer als daheim“

Von: Cornelia Schramm

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Mit einem Hammer erschlagen: Kriminalhauptkommissar Ludwig Waldinger zeigt eine Waffe aus einem historischen Mord.
Mit einem Hammer erschlagen: Kriminalhauptkommissar Ludwig Waldinger zeigt eine Waffe aus einem historischen Mord. © Oliver Bodmer

Kriminalhauptkommissar Waldinger hat in seinem Berufsleben schon viel gesehen. So viel, dass er sogar Autoren bei ihren Büchern hilft.

München – Ludwig Waldinger ist Kriminalhauptkommissar im Landeskriminalamt. Ein Traumjob für den 55-Jährigen, der auch großer Krimi-Fan ist. Deshalb berät er auch Krimi-Autoren, damit ihre Romane möglichst realistisch sind.

Welcher Fall hält Sie bis heute nachts wach?

Waldinger: Es gibt viele Fälle, die mir immer wieder in den Kopf schießen. Der Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum ist für mich noch immer unfassbar. Jeder Münchner weiß, was er am 22. Juli 2016 getan hat und das Landeskriminalamt hat der Fall lange beschäftigt. Ich habe nicht ermittelt, war als Teil der Sonderkommission aber für die Flut von Presseanfragen zuständig.

Ein absoluter Sonderfall. Wie viele Morde passieren denn pro Jahr in Bayern?

Waldinger: Etwas mehr als 100 Tötungsdelikte, wozu Morde und Mordversuche zählen. Die Zahl der Messerdelikte etwa steigt seit Jahren. Es gibt vermehrt Menschen, die Messer dabeihaben, um sie gezielt einzusetzen. Zu den häufigsten Mordwaffen zählen Messer aber nicht. Schusswaffen auch nicht. Eines steht jedoch fest: Die meisten Delikte passieren im häuslichen Bereich. Dramatisch gesagt: Auf der Straße ist es sicherer als daheim – und das war schon vor hundert Jahren so.

Haben Sie ein Beispiel?

Waldinger: Am 2. Februar 1942 fand eine Magd namens Cäzilie Bauer auf einem Hof bei Wasserburg eine Leiche. Es handelte sich um den 60-jährigen Knecht Leonhard Eder. Er war mit Schnittwunden übersät. Die 25-Jährige gab an, Eder habe Selbstmord begangen. Aber stimmt das? Oder hat sie ihren angeblichen Liebhaber ermordet?

Was ist mit ihr passiert?

Waldinger: Durch ein Gerichtsurteil starb Bauer im selben Jahr durch das Fallbeil. Ob das rechtens war, werden wir nie erfahren. Geschweige denn ihr Motiv, sollte sie die Tat wirklich begangen haben. Es ist aber spannend, was alte Akten hergeben. Originalquellen wie Zeugenaussagen, die Anklageschrift, das Urteil und Briefe, die Cäzilie Bauer aus dem Gefängnis an ihre Eltern geschrieben hat. Ich selbst habe die Akten nicht gewälzt, die Münchner Autorin Ulrike Claudia Hofmann hat sie ausgegraben und damit ihr Buch „Die Ermittlungsakte Cäzilie Bauer“ geschrieben.

Was fasziniert Sie am Fall Cäzilie Bauer?

Waldinger: Ich frage mich, wie die Ermittler 1942 vorgegangen sind. Wie war die Polizei damals aufgestellt? Es gab ja die Schutz- und die Sicherheitspolizei, wobei letztere aus Gestapo und Kriminalpolizei bestand. Viele Polizisten waren im Krieg an der Front, um etwa gegen „Kriegsverbrechen“ wie Desertation vorzugehen. Wieso konnte damals bei der Obduktion nicht festgestellt werden, ob es Selbstmord war oder nicht? Mit der Aufklärung eines „so einfachen Mordfalls“ auf dem Land konnte sich vielleicht niemand verdient machen. Hofmanns Buch ist ein Tatsachenbericht. Beim Lesen laufen einem Schauer über den Rücken – weil man weiß, dass alles echt ist. True-Crime aus Bayern! Da fühlt man sich als Leser wie ein Ermittler.

Der Fall Walter Sedlmayr ist ja aufgeklärt – wieso fesselt er uns noch immer?

Waldinger: Eben, weil wir alle sein Gesicht kennen. Der Sedlmayr ist doch der Vorzeige-Münchner. Gerade hatte er noch vom Werbeplakat gelacht – dann war er plötzlich tot. Mit einem Hammer erschlagen. Aber auch hier: Petra Cichos, die Autorin von „Mordakte Walter Sedlmayr“, hat für ihr Buch nichts erfunden. Alles hat sich genau so ereignet. Auch hier ist die Seite der Ermittler wieder interessant. Bei so einem Fall ist der Druck aus der Öffentlichkeit enorm. Wie sind die Ermittler damit umgegangen?

Was hat sich in den letzten 30 Jahren verändert?

Waldinger: Viel. Als ich 1984 angefangen habe, gab es noch keine DNA in der Kriminalistik. Später brauchte man einen fünf Mark großen Blutfleck, um DNA gewinnen zu können. Heute reichen kleinste Partikel. Zudem steht uns meist Videomaterial, etwa von Handys oder Überwachungskameras, zur Verfügung. Geräte lassen sich orten. Bei Kapitalverbrechen kommen Vermessungstechniker an den Tatort und erstellen virtuelle 3D-Räume, die Richter oder Zeugen mit VR-Brillen betreten können. Früher gab es nur Lichtbildmappen.

Krimis haben in Deutschland Tradition. Gibt es eine bayerische Krimi-Kultur?

Waldinger: Je regionaler, desto beliebter scheinbar. Wer die Drehorte kennt, findet die Geschichte viel nahbarer. Dialekt und Heimatliebe spielen auch eine Rolle. Der Bulle von Tölz, die Rosenheim-Cops und Franz Eberhofer aus Niederkaltenkirchen – Figuren, die jeder kennt. Ich schaue selbst gerne „Hubert mit und ohne Staller“ oder lese Krimis.

Das sind aber keine echten Fälle...

Waldinger: Natürlich nicht, ich will ja unterhalten werden. Realistisch ja, wahr nein. Rita Falk, die Autorin der Eberhofer-Krimis, habe ich schon beraten. Meist wollen Autoren wissen, wie sich Ermittler organisieren. Natürlich muss das Ermittler-Duo beim Showdown das Gebäude stürmen, in dem sich der Mörder aufhält. In Wirklichkeit macht das das SEK. Außerdem ermitteln nicht zwei, sondern eher ein 20-köpfiges Team. Aber das alles ist völlig okay.

Die Lesung „Mord“

findet am 21. Mai 2022 um 14 Uhr im Staatsarchiv München statt. Der Eintritt ist frei. Der Schauspieler Winfried Frey liest aus den Büchern „Die Ermittlungsakte Cäzilie Bauer“ (2019) von Ulrike Claudia Hofmann , „Stenz – Die Lust des Südens“ (2013) von Thomas Grasberger und „Mordakte Walter Sedlmayr“ (2018) von Petra Cichos vor.

Interview: Cornelia Schramm

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