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Belarus' Rolle im Ukraine-Krieg: Stellt Lukaschenko Putin eine Falle?

Belarus unterstützt Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine, geht einer militärischen Invasion aber aus dem Weg. Ein schwieriger Balanceakt, den Machtinhaber Lukaschenko weiter aufrechterhalten muss, um bei Putin nicht in Ungnade zu fallen. Der FSB wirft Lukaschenko vor, den Kreml "reingelegt" zu haben.

Seit acht Monaten schafft es Belarus Machtinhaber Alexander Lukaschenko, sich von einer direkten Beteiligung am Krieg gegen die Ukraine fernzuhalten und gleichzeitig dem Kreml seine Unterstützung zuzusichern. Im Februar bestritten russische Streitkräfte ihren erfolglosen Marsch von belarussischem Territorium nach Kiew. Seitdem, und wie bereits in den Jahren zuvor, ist Belarus ein enger Verbündeter des Kremls im Krieg gegen die Ukraine.

Vor wenigen Wochen schien es, als ließe sich Belarus in den Krieg gegen die Ukraine hineinziehen. Mitte Oktober verkündete Lukaschenko eine "gemeinsame Militärgruppe". Kurz sah es so aus, als könnte Belarus aktiv in den Krieg gegen die Ukraine mit einsteigen. "Kurze Zeit war es wirklich heiß", sagt der Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung, Jakob Wöllenstein. Ein militärischer Angriff vonseiten Belarus blieb jedoch aus.

"Lukaschenko hat sich nach der Wahl von 2020 selbst von Putin abhängig gemacht, quasi auf Leben und Tod. Im Gegenzug für die politische Rückendeckung und Kredite unterstützt er Putins Angriffskrieg - mit der wichtigen Ausnahme der Bereitstellung eigener Kampftruppen - umfassend", sagt Wöllenstein ntv.de. Dazu gehört vor allem die logistische Unterstützung, die Minsk seit dem Einmarsch in die Ukraine bereitstellt: medizinische Versorgung von russischen Soldaten, Lieferung von Panzern und Munition und die Nutzung von Infrastrukturen innerhalb des Landes.

"Belarussische Armee ist vor allem ein Schreckgespenst"

Für einen aktiven Angriff sei Belarus jedoch viel zu schwach aufgestellt, so Wöllenstein. Das sei auch die Einschätzung der Ukrainer. Für Putin erfüllt Minsk daher eine andere Rolle. "Ein erneuter Großangriff auf Kiew mit aktiver Beteiligung der belarussischen Armee ist vor allem ein Schreckgespenst, das Angst machen und ukrainische Kräfte im Norden binden soll, das aber weit davon entfernt ist, wirklich eine Bedrohung darzustellen", beschreibt er den Nutzen, den der Kreml mit dem Land erfüllt.

Eine militärische Offensive sei zudem weder im Sinne des Regimes, noch der Bevölkerung. Meinungsumfragen zufolge sprechen sich rund 90 Prozent der Bürger in Belarus gegen eine militärische Beteiligung am Krieg gegen die Ukraine aus, so Wöllenstein. Die stille Unterstützung der russischen Invasion ist hingegen weitaus höher: Rund 50 Prozent befürworten den Krieg im Allgemeinen und schließen sich der Kreml-Propaganda gegenüber der Ukraine an, erklärt der Experte.

Auch die Führung in Minsk selbst hat nur wenig Interesse daran, sich dem Krieg aktiv anzuschließen. Zwar sind die Beziehungen zum Westen seit den Wahlen im Jahr 2020, als sich Lukaschenko mit gefälschten Wahlergebnis wieder seine Macht sicherte und Proteste brutal niederschlagen ließ, größtenteils abgebrochen. Dennoch wolle es sich Minsk mit dem Westen nicht endgültig verscherzen. Gleichzeitig ist Lukaschenko auf die Unterstützung Russlands angewiesen und darf seinen großen Bruder nicht verärgern.

FSB überzeugt von absichtlicher "Falle"

Mit seiner Haltung macht Lukaschenko angeblich aber genau das: Der russische Geheimdienst (FSB) macht dem Diktator schwere Vorwürfe. Laut einem Brief, den ein russischer Whistleblower verfasst haben soll und von Igor Sushko von der Denkfabrik "Wind of Change Research Group" veröffentlicht wurde, stuft der FSB Lukaschenko nicht mehr als vertrauenswürdig ein. Lukaschenko habe die Russen "vorsätzlich reingelegt", weil diese angeblich unwissentlich geheime Pläne über militärische Angriffe durchsickern ließ.

Nach Ansicht des Whistleblowers hat Lukaschenko Anfang März auch bewusst eine Karte der russischen Militäraktivitäten öffentlich gezeigt, die Pläne zu einem Vorstoß nach Transnistrien und Moldawien enthüllte. Der FSB sei davon überzeugt, dass Lukaschenko "uns absichtlich eine Falle gestellt hat, indem er angeblich unwissentlich geheime Pläne durchsickern ließ". Seine Absicht sei offenbar gewesen, dass Moskau sich nach dieser "Unzuverlässigkeit" mit Informationen gegenüber Minsk zurückhielt - was Belarus half, nicht in den Krieg hineingezogen zu werden.

Auch habe Moskau Lukaschenko wohl unterschätzt und zunächst als "leichtes Ziel" angesehen. "Auf allen Abteilungsebenen dachte man, es sei nicht schwer, ihn dazu zu bringen, nach unseren Regeln zu spielen", heißt es. Doch bereits nach dem dritten Kriegstag, nach dem ersten Scheitern der Russen, "begann Lukaschenko außer Kontrolle zu geraten, und es lag nicht in der Macht unseres Systems, ihn einfach zu entfernen". Seitdem seien alle Versuche, Lukaschenko zu überlisten, gescheitert: "Drohungen und Tricks haben nicht funktioniert", auch Bestechung funktioniere nur zu 50 Prozent.

"Geheimnisverrat gegenüber Russland zu hohes Risiko"

Sushko gilt laut Wöllenstein in Russland und den dortigen Diensten als gut vernetzt. Seit Kriegsbeginn hatte er auf seinem Twitterkanal regelmäßig Leaks aus russischen Insiderkreisen präsentiert - teils mit spektakulärem Inhalt. "Schon Anfang März war dort ausführlich zu lesen, dass in den Führungskreisen des russischen Militärs regelrechte Panik herrsche aufgrund der katastrophal schlechten Vorbereitung und dem Verlauf des Angriffs." Gleichzeitig habe es damals aber auch öffentliche Kritik anderer Russlandexperten gegeben, dass die Darstellungen "sehr geglättet" wirkten.

Die Vorwürfe kommen zu einer ungünstigen Zeit für Lukaschenko. Nach dem plötzlichen Tod des belarussischen Außenministers Wladimir Makej vor wenigen Tagen soll der Diktator aus Angst vor einer Vergiftung sogar seinen eigenen Koch gewechselt haben, wie unter anderem die BBC berichtet.

Belarus-Experte Wöllenstein ist den konkreten Vorwürfen des FSB gegenüber zwar skeptisch. Verifizieren lassen sich solche Berichte letztlich nicht, aber "ein so offener Geheimnisverrat gegenüber Russland birgt ein zu hohes Risiko." Zu sehr ist Lukaschenko auf das Geld aus Moskau angewiesen, zu sehr vom Westen abgeschnitten und mit Sanktionen belegt. Plausibel sei jedoch, dass er alles daransetze, zu verhindern, die Armee in den Krieg schicken zu müssen. Sich der direkten Kontrolle des Kremls zu entziehen, bilde seit Jahrzehnten die Grundlage seines politischen Überlebens. "Ihm geht es nicht um die Ukraine, sondern seinen persönlichen Machterhalt."