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Bernd Ziesemer: Deutschlands irrer Umgang mit der Rüstung

Kolumne

Bernd Ziesemer Deutschlands irrer Umgang mit der Rüstung

Bernd Ziesemer

Bernd Ziesemer

© Martin Kress

Wenn die Bundeswehr Panzer oder Flugzeuge bestellt, gelten die normalen Gesetze industrieller Logik nicht. Das muss sich ändern

Ein kleines Gedankenexperiment, um eine große Misere in Deutschland zu verstehen. Ein Fuhrparkleiter braucht Dienstwagen für sein Unternehmen. Weil ihm die Technik von Mercedes gut gefällt, aber das Design von Audi besser, ordert der Manager eine Mischung aus einer C-Klasse und einem A4. Bei der Bestellung bleibt offen, ob der Fuhrpark am Ende nur 30 oder 100 Autos abnimmt. Und ein paar Monate nach dem Auftragseingang verlangt der Kunde einen neuen Antriebsstrang, weil die neuen Dienstwagen nach einer plötzlichen Idee seines neuen Chefs geländegängig sein sollen. Wie teuer wären wohl solche Autos, wann wären sie fertig und vor allem wie zuverlässig wären sie?

Irre – oder etwa nicht? Ungefähr so, wie in diesem Beispiel beschrieben, funktioniert das Beschaffungswesen der Bundeswehr. Oft liest man in diesen Wochen, deutsche Bürokraten seien schuld, warum wir uns nicht schneller auf die „Zeitenwende“ des russischen Angriffskriegs einstellen. Doch die ausufernden Behördenprozesse sind nur ein Teil des Problems, wenn es um die schnellere und bessere Ausrüstung der Bundeswehr und die militärische Hilfe für die Ukraine geht. In Wahrheit fehlt es zuallererst an politischer Führung und einer normalen industriellen Logik. Ohne klare Entscheidungen an der obersten Spitze geht es nicht. Die Beschaffungsbürokratie ist nur so mächtig wie es ein schwacher Bundesverteidigungsminister zulässt.

Deutschland verfügt über eine äußerst leistungsfähige Rüstungsindustrie. Aber sie kann ihre Stärken nicht ausspielen, weil sie nur im Zusammenwirken mit einem fähigen Verteidigungsministerium richtig funktionieren kann. Und weil nichts so hierarchisch organisiert ist (und auch sein muss) wie dieses besondere Ressort, kommt es stärker als in jedem anderen Ministerium auf den Mann oder die Frau an der Spitze an. Mangelnde Kompetenz sorgt in Friedenszeiten vor allem für Chaos bei der Beschaffung, in Kriegszeiten für viele Tausend sinnlos gefallene Soldaten.

Schnelligkeit zählt mehr denn je

Es ist kein Wunder, dass bisher nur ein einziger Rüstungsgroßauftrag unter Dach und Fach ist, obwohl das Sondervermögen für die Bundeswehr doch gewaltigen Schub bringen sollte. Deutschland bestellt 35 Tarnkappen-Kampfflugzeuge F-35 so wie sie bereits fliegen in den USA – ein Auftrag „aus dem Regal“ fertiger Waffen. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius betonte jedoch bei einem seiner ersten Auftritte, vieles lasse sich eben nicht einfach in den Einkaufswagen der Armee legen wie im Supermarkt. Wohl wahr. Aber wahr ist auch: Wenn sich Pistorius auf die alte Logik „perfekter“ Lösungen einlässt, scheitert der SPD-Politiker genauso wie seine Vorgängerinnen.

Schnelligkeit zählt mehr denn je. Nie war die militärische Bedrohung Deutschlands höher als jetzt. Wladimir Putins Russland ist zu allem fähig und deutlich weniger berechenbar als die Sowjetunion zu ihren aggressivsten Zeiten. Vieles, was die Bundeswehr dringend braucht, werden wir wahrscheinlich nur aus dem Ausland bekommen können – vor allem aus den USA. Aber anderes eben auch von deutschen Konzernen. Deshalb muss der neue Verteidigungsminister schnell auf die Rüstungsindustrie zugehen und einen neuen Umgang mit ihr finden. 

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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