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Biden: Der alte Mann kann doch noch mehr

Nach diesem Auftritt traut man Joe Biden ohne weiteres eine zweite Amtszeit zu. Seine republikanischen Gegner reagieren ungewöhnlich.

Schon bei diesen ersten drei Worten, mit denen Joe Biden seine Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress in Washington einleitete, konnte einen so ein Gedanke durchzucken:

"Oje. Gleich passiert es wieder. Gleich verheddert und verhaspelt sich. Gleich ruft er womöglich einen seit Jahren toten Senator beim Namen und fragt, wo der denn stecke."

Solche Momente kennen Bidens Mitarbeiter im Weißen Haus und vor allem die amerikanische Bevölkerung seit jetzt zwei Jahren sehr gut: Der 80 Jahre alte US-Präsident ist dafür bekannt, dass man ihm besser jedes Wort aufschreibt, weil das sonst ganz schnell in einer Kommunikations-Katastrophe endet.

Dieses Mal war aber alles anders. In der alljährlichen sogenannten "State of the Union"-Rede strotzte Joe Biden vor Kraft und Klarheit. Selbst sein ihn seit jeher begleitendes Stottern schien ihm kaum Probleme zu bereiten. Wie beim wahren Höhepunkt des amerikanischen Superbowls, dem Saisonfinale im Football, lieferte Biden eine grandiose politische Halbzeitshow.

Auch die Republikaner applaudieren

Seit zwei Jahren ist er inzwischen der amerikanische Präsident. So kraftvoll, schnell und deutlich konnte man ihn aber seit langem nicht mehr sprechen hören. Das ist bemerkenswert: Da redete einer, der nochmal will und der auch nochmal sollte. Denn was Biden mit Amerika vorhat, kann für dieses Land nur gut sein, das seine besten Jahre hinter sich hat.

"Wir haben gerade erst angefangen!" schleuderte Biden seine Worte dann aber in den Saal, in dem es ihm Dienstagnacht gelungen ist, selbst die Republikaner immer wieder von den Stühlen zu holen, um ihm zu applaudieren.

Das taten die nicht nur aus Höflichkeit. Was Joe Biden sonst oft fehlt, was ihn stets ein wenig senil erscheinen lässt, das strahlte er heute aus. Es ist das, was Amerikaner von ihrem Präsidenten erwarten: Er soll ihnen Stärke vermitteln. Dass sie stolz auf ihr Land sein können und dass eine glorreiche Zukunft vor ihnen liegt.

Der Auftritt in Amerika muss stimmen

Die sogenannte Performance muss wohl in keinem anderen Land der Welt so stimmen, wie hier in den USA. Davon lebt diese demokratische Nation, in der es auch ohne großen Sozialstaat irgendwie gehen muss. Für viele Millionen Amerikaner aber geht es eben schon lange nicht mehr. Biden adressierte seine Rede an den verloren gegangenen Stolz der amerikanischen Mittelschicht

Sicher: Nur gut gehaltene, aber bloße Reden reichen natürlich nicht aus. Aber Joe Biden liefert jetzt seit zwei Jahren. Seine Agenda, die einst als "Build Back Better" bezeichnet wurde, trägt erste Früchte. Die Umfragewerte spiegeln das derzeit noch nicht wider. Aber auch, weil es eben oft an seiner Performance mangelt. Unterm Strich aber kann Biden insbesondere auf dem Arbeitsmarkt Erfolge vermelden, wie sonst kaum ein Präsident zuvor.

Patriotismus ohne große Feindschaften

Bidens Programm für die in den USA so bitter nötige Umverteilung ist lang: Preise für Medikamente, höhere Steuern für Unternehmen und Reiche, finanzielle Hilfen für Studenten und vieles mehr. Vieles davon spüren die Menschen hier tatsächlich in der eigenen Tasche.

Auf Russland und China ging Biden verhältnismäßig selten ein. Die "State of the Union" ist eine Rede, die sich nach innen richtet. Dennoch fiel auf, wie sehr der amtierende US-Präsident die innere Einheit beschwört, ohne besonders viel auf äußere Feinde zu verweisen. Bei Trump klang das noch deutlich anders. Da wurden selbst die Verbündeten als bloße Schmarotzer vorgeführt.

Dann ist alles möglich

Auch inhaltliche Kniffe sind Biden in seiner Rede gelungen – etwa bei einem scheinbar langweiligen Thema wie Baumaterialien. Ja, tatsächlich, Baumaterialien. Joe Biden versprach sie für sein viele Milliarden Dollar schweres Infrastrukturpaket. Es geht um den Ausbau von Autobahnen, Brücken, Eisenbahnen, Tunneln, Häfen und Flughäfen und Highspeed-Internet.

"Unter meiner Aufsicht werden amerikanische Straßen, amerikanische Brücken und amerikanische Autobahnen mit amerikanischen Baumaterialien gebaut", rief Biden. Der Saal vor ihm tobte. Es ist America First, aber ohne den Hass auf andere. Biden klang in diesem Moment eher wie der alte US-Präsident Dwight D. Eisenhower. In den Fünfzigerjahren hat dieser das riesige Interstate-Schnellstraßen-System in den USA initiiert. Eisenhower hat sich damit unsterblich gemacht.

Womöglich kann das auch Joe Biden gelingen. Wenn er die Chance auf eine zweite Amtszeit bekommt. Dass er sie nutzen will, hat er in dieser Nacht mit einer fulminanten Halbzeitshow gezeigt. Eine einzelne Rede reicht dafür natürlich nicht. Die kommenden Monate werden seine entscheidenden. Wenn Biden diese Performance durchhält, ist alles möglich.