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China-Handel: „Ein Teil der Eisernen Seidenstraße kommt heute vor den Grenzen Europas zum Halten“

Mit einer Bahnstrecke wollte Duisburg seine Verbindung nach China intensivieren. Doch der Bahntransport hat erheblich an Bedeutung verloren, sagt der China-Experte Markus Taube. Eine einseitige Abhängigkeit von Stadt und Hafen an Ruhr und Rhein habe es aber ohnehin nie gegeben

Prof. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft mit dem Schwerpunkt China an der Mercator School of Management der Universität Duisburg-Essen. Taube ist u.a. Vize-Direktor des Instituts für Ostasienwissenschaften und Ko-Direktor des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr.

Prof. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft mit dem Schwerpunkt China an der Mercator School of Management der Universität Duisburg-Essen. Taube ist u.a. Vize-Direktor des Instituts für Ostasienwissenschaften und Ko-Direktor des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr.

© Universität Duisburg-Essen

Herr Professor Taube, Duisburg ist mit dem größten europäischen Binnenhafen Endpunkt der chinesischen Eisernen Seidenstraße. Sie lehren an der Universität Duisburg-Essen. Wie chinesisch ist Duisburg heute?
MARKUS TRAUBE: Die Stadt war nie in besonderem Maße „chinesisch“ geprägt. Sie hat aber bereits seit vielen Jahre intensive Beziehungen nach China. Die erste deutsch-chinesische Städtepartnerschaft wurde in den 1980er-Jahren von Duisburg und Wuhan begründet. Der Duisburger Hafen (Duisport) ist seit vielen Jahren aktiv in der Abwicklung des Containerverkehrs zwischen Europa und China und betrieb schon vor der offiziellen Ausrufung der Neuen Seidenstraße in Kooperation mit anderen Partnern die ersten Direktzüge zwischen China und Deutschland.

Die Stadtregierung hat erst nach dem Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping 2014 versucht, die Aufmerksamkeit, die Duisburg in China erlangt hatte, auszunutzen. Ziel war es, die Geschäftsbeziehungen im Logistiksektor zu hebeln, um auch in anderen Bereichen China-orientiertes Geschäft zu etablieren. Chinesische, deutsche und europäische Unternehmen sollten ihr China-Geschäft aus Duisburg heraus betreiben. Die Vision hat sich aber nicht materialisiert. Es gab eine ganze Reihe von chinesischen Direktinvestitionen und Ansiedlungen. Diese waren aber fast durchgängig auf die Logistiksparte beschränkt. Im Endeffekt ist es nicht gelungen, das China-Geschäft als Katalysator für die wirtschaftliche Entwicklung in der Stadt und in der näheren Umgebung zu nutzen.

Noch vor zwei Jahren ernannte der Oberbürgermeister einen ehrenamtlichen China- Beauftragten und betonte, er möchte den Standort als China-Stadt stärken...
Ja. Die Stadt hat auch ein eigenes China-Referat eingerichtet, hat investiert und Strukturen geschaffen, um China-bezogene Investitionen anzuziehen – und versucht das weiterhin. Aber Fakt bleibt, dass der erhoffte „China-Effekt“ ausgeblieben ist. Dies liegt auch daran, dass in der Region eine gewisse Kannibalisierung unter den Standorten stattfindet. Unternehmen mit Geschäft in Duisburg siedeln sich im Zweifel eher 30 Kilometer entfernt in Düsseldorf an und nutzen die Infrastruktur der Landeshauptstadt. Die Wirkung ist leider zu Ungunsten Duisburgs.

Es hieß einmal, die Zahl chinesischer Unternehmen in Duisburg habe sich verdoppelt. Ist das nicht so?
Es gibt eine erhebliche Anzahl von Ansiedlungen, aber man kann nicht davon sprechen, dass chinesische Investoren einen substanziellen Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung oder den Wirtschaftsstandort Duisburg darstellen würden. Dass China-Geschäft ist ein Faktor für den Logistiksektor, aber auch da nicht dominierend.

Als Endpunkt der Eisernen Seidenstraße ist Duisburg aber auf jeden Fall ein strategisches Projekt der chinesischen Staatsführung, oder?
Duisburg ist definitiv kein Projekt des chinesischen Staates. Das Ganze ist entstanden als eine Geschäftsbeziehung der Hafengesellschaft, die sehr erfolgreich als Logistikdienstleister agiert. Etwa 30 Prozent der Containerfracht zwischen China und Europa wird über Duisport abgewickelt. Das ist eine kommerzielle Beziehung. Die Duisburger Hafengesellschaft ist ein Staatsunternehmen im Eigentum der Stadt Duisburg und des Landes Nordrhein-Westfalen. Und der chinesische Staat hat damit nichts zu tun.

Präsident Xi hat die Verbindung mit Duisburg durch seinen Besuch politisch aufgewertet? Ist das nicht strategisch?
Der Besuch Xi Jinpings war ein Versuch, die chinesische Initiative einer Neuen Seidenstraße im In- und Ausland zu promoten und Goodwill zu generieren. Die Duisburger Hafengesellschaft ist aber deshalb eine wichtige Endstation für den Schienenverkehr der Neuen Seidenstraße, weil sie der leistungsfähigste Logistikdienstleister ist, nicht weil irgendjemand in China Duisburg „auserwählt“ hat. 

Wie stark hat der Duisburger Hafen dann von dieser Beziehung profitiert?
Das müssen Sie den Hafenbetreiber fragen. Ohne Zweifel aber hat der Duisburger Hafen die Geschäfte entlang der Neuen Seidenstraße mit Gewinn betrieben. Meines Wissens stellt das China-Geschäft aber nur einen nachgeordneten Teil des Gesamtumsatzes des Unternehmens dar. Der Duisburger Hafen ist mit und ohne China der größte Binnenhafen Europas und hat ein sehr breit aufgefächertes Geschäftsmodell.

Ein Festakt 2013 im Hafen von Duisburg, den Güterzüge seit 2011 mit der Millionenmetropole Chongqing verbinden.

Ein Festakt 2013 im Hafen von Duisburg, den Güterzüge seit 2011 mit der Millionenmetropole Chongqing verbinden.

© picture alliance / dpa

Es ist auch von elf Prozent des Verkehrs zu lesen? Sie beobachten doch, wie die Beziehung sich entwickelt hat. Der Umsatz von Duisport hat sich seit 2013 auf rund 350 Mio. Euro mehr als verdoppelt. Und es gab einen Boom im Schienengüterverkehr zwischen Europa und China...
Wir haben durchaus gesehen, dass der Schienentransport entlang der Neuen Seidenstraße ein attraktives, innovatives Geschäftsmodell dargestellt hat. Das ist auch weiterhin der Fall. Das Geschäft auf der Neuen Seidenstraße hat seinen Höhepunkt aber mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs überschritten. Seitdem ist der Transit durch Russland und Belarus zwar nie komplett zum Erliegen gekommen, aber die Transportvolumina sind deutlich gesunken. Trotzdem, die Bahnverbindung zwischen Europa und China bedient einen Nischenmarkt, der für bestimmte Gütergruppen und Geschäftszweige eine interessante Erweiterung des klassischen Transports per See- und Luftfracht bietet.

Im Verhältnis zum gesamten Handelsvolumen ist die Verbindung also eher ein Zwerg?
Natürlich. Der Güterverkehr per Container über die Eisenbahn liegt im kleinen einstelligen Prozentbereich zwischen einem und maximal fünf Prozent.

In der Coronapandemie profitierte der Schienengüterverkehr zwischen Europa und China aber von Kapazitätsproblemen der maritimen Lieferkette. Korrekt?
Ja, im Endeffekt gab es ja kaum Alternativen. Durch die Hafensperrungen in China stand der Seeweg faktisch nicht zur Verfügung. Auch der Luftverkehr war massiv eingeschränkt. Wollte man Güter zwischen China und Europa transportieren, waren außer der Eisenbahn kaum Alternativen vorhanden. Das hat die Eiserne Seidenstraße stabilisiert.

Seitdem hat sich das deutsch-chinesische Verhältnis verschlechtert. Die geopolitische Situation hat sich mit einer zunehmend aggressiven chinesischen Außenpolitik gedreht. Was ist die Bedeutung für die Neue Seidenstraße?
Die Eiserne Seidenstraße ist im Endeffekt nur ein Teilbereich der Belt and Road Initiative (BRI). Mit dieser außenpolitischen Initiative zielte die chinesische Regierung darauf ab, eine internationale chinesisch geprägte Infrastruktur zu schaffen, politischen Einfluss zu gewinnen, chinesische Wirtschaftsinteressen zu stärken, chinesisch geprägte Technologiestandards und Geschäftsusancen global zu verbreiten, und anderes mehr. Durch die russische Invasion in der Ukraine ist die Eiserne Seidenstraße nun aber in ihren Grundfesten erschüttert worden und sind die Ziele der chinesischen Regierung auf diversen Ebenen nicht mehr realisierbar.

Wie macht sich das bemerkbar?
China fokussiert derzeit stark auf den Ausbau der Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten. Mit Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan werden auf allen Ebenen intensivere Kontakte geknüpft, werden die politischen und ökonomischen Beziehungen gestärkt, und es wird in Infrastrukturnetz, in Grenzübergänge, Bahnhofs- und Gleisanlagen investiert. Das führt dazu, dass Teile des Geschäftes, die im Transit zwischen China und Europa weggefallen sind, durch Transportdienstleistungen substituiert werden, die nicht mehr die gesamte Strecke fahren, sondern nur zwischen China und Zentralasien hin und her pendeln. Das ist eine wichtige Strukturverschiebung.

Bestätigt das Ihr Szenario, dass die Route im schlechtesten Fall zu einem Vehikel des bilateralen chinesisch-russischen Handels verkümmern könnte?
Tatsächlich sehen wir, dass ein Teil der Eisernen Seidenstraße heute de facto bereits vor den Grenzen Europas zum Halten kommt, weil China jetzt den zentralasiatischen Konnex sucht. Momentan ist China sehr engagiert, die zentralasiatischen Staaten zu hofieren und eigene Strukturen dort zu verankern. Die Eiserne Seidenstraße bleibt ein funktionierendes Geschäftsmodell, nur ist Europa zunehmend nicht mehr die Endstation und nicht mehr der zentrale Partner. Geopolitisch und geostrategisch ist das natürlich – auch für China – ein Verlust, weil die Konnektivität zwischen Europa und China stückweise verloren geht. Aber man ist sich in China durchaus bewusst, dass Zentralasien und Russland kein Substitut für Europas ökonomische Potenz, Innovationskraft oder technologische Kapazität bieten können. Die aktuelle Reorientierung schafft nur eine Second best-Lösung in einer vom Krieg in der Ukraine erschütterten Welt.

Ist der Schwund der Konnektivität bedingt durch chinesische Zurückhaltung oder durch westliche Kunden, die wegen Russlands Krieg die Route durch dessen Territorium meiden?
Beides. Viele Kunden, die vorher ihre Güter über die Route transportieren ließen und dann im ersten Schock des Krieges ihre Güter nicht mehr durch Russland führen wollten, sind mangels Alternativen wieder zurück. Andere, darunter die deutsche Automobilindustrie, nehmen aber weiter davon Abstand, Güter durch Russland zu befördern.

Wird das ein bleibender Trend bei europäischen Verladern, Russland in der einen oder anderen Art zu umfahren?
Umfahren ist auf Jahre hinaus meines Erachtens keine ernsthafte Option. Will man Russland umfahren, so können verschiedene Routen befahren werden, die aber alle in Hinblick auf die Schieneninfrastruktur marode und technisch veraltet sind. Da aufgrund der Sanktionen europäische Akteure ihre Güter auch nicht über den Iran leiten können, sind alle diese Verbindungen mit einer Überquerung des Kaspischen Meeres verbunden. Das bedeutet zwei zusätzliche Umladestationen, Engpässe im Fährverkehr, zusätzliche Kosten und unplanbare Zeitbedarfe. Nun sind nach Ende der chinesischen Zero-Covid-Politik die Häfen wieder offen, und die Transportvolumina teilen sich wieder auf Schiff- und Schienenverkehr durch Russland auf. Für die Süd-Route, die Russland umfährt, fällt kaum Geschäft ab.

Container aus China im Duisburger Hafen. Die schnellste Bahnverbindung zu chinesischen Metropolen dauert zehn Tage.

Container aus China im Duisburger Hafen. Die schnellste Bahnverbindung zu chinesischen Metropolen dauert zehn Tage.

© picture alliance / Rupert Oberhäuser

Wie sieht die Zukunft der Eisernen Seidenstraße auf längere Sicht aus?
Sie ist als Transportkorridor zwischen Europa und China nur von untergeordneter Bedeutung – ein kleiner einstelliger Prozentteil der Waren wird per Eisenbahn zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken transportiert. Diese Größenordnung würde auch in positiven Szenarien in näherer Zukunft kaum überwunden werden. Inwiefern es gelingen kann, die Eiserne Seidenstraße in ihrer Anbindung nach Europa zu revitalisieren hängt davon ab, wann die russische Aggression in der Ukraine zu Ende gebracht wird, was für ein Folgeregime wir in Russland sehen werden und wie China sich in einer veränderten Weltordnung positioniert. Ich glaube nicht, dass der europäisch-chinesische Gütertransport über die Eiserne Seidenstraße auf Null fallen wird. Aber ich sehe auch kein Nachkriegsszenario, in dem wir ein Wunder an Intensität erfahren werden.

Das Entscheidende ist aber, dass die Eiserne Seidenstraße in ihrer eigentlichen Konzeption viel mehr sein sollte als ein Transportkorridor zwischen Europa und China. Sie sollte Kristallisationspunkte für die Ausbildung neuer Industriezentren in Zentralasien schaffen und diese miteinander in Verbindung setzen. Tatsächlich sind derartige Zentren entlang der Neuen Seidenstraße entstanden. Mit dem Krieg ging aber die Verbindung nach Europa verloren, und viele dieser neu geschaffenen Industriezonen verkümmern wieder. Die russische und weißrussische Volkswirtschaft sind auf lange Zeit hinaus massiv geschwächt. Damit ist auch dieser Faktor, mit dem die Eiserne Seidenstraße jenseits des reinen Transits zwischen Europa nach China eine Existenzberechtigung hätte – nämlich die Verbindung zwischen diesen verschiedenen Industrie-Hubs untereinander und zu den Wirtschaftsmächten im Osten und Westen – auf absehbare Zeit weg und nicht wieder herstellbar. Diese Dimension der Neuen Seidenstraße ist verloren gegangen.

Das muss aber auch einen Standort wie Duisburg hart treffen, wenn diese Konnektivität wegbricht?
Nein. Wie gesagt, es ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein Bild entstanden, das Duisburg viel dichter an China herangerückt hat, als dies in der Realität jemals der Fall war. Es gab eine Zeit lang die Hoffnung, dass die Neue Seidenstraße eine Möglichkeit bieten könnte, über den China-Faktor in Duisburg Strukturwandel und wirtschaftliches Wachstum zu beschleunigen. Aber das hat sich nicht materialisiert. Es gab Impulse, aber nicht in einer Dimension, die ein Label „China-Stadt Deutschlands“ rechtfertigen würde. Und von daher ist die Abhängigkeit oder die Betroffenheit Duisburgs von allen Entwicklungen entlang der Seidenstraße deutlich geringer, als das manchmal in den Medien dargestellt wird. Duisburg wird weiterhin wirtschaftlich mit China in Verbindung stehen , aber es existiert keine einseitige Abhängigkeit von China. Selbst wenn der Duisburger Hafen sein Chinageschäft aufgeben müsste, würde dies das Unternehmen nicht in den Konkurs treiben.

Gab es da irgendwann auch einen Wendepunkt in den Beziehungen? Der staatliche chinesische Logistikriese Cosco war ja bis 2022 an Duisport beteiligt?
Der Ausstieg ist im Sommer 2022 erfolgt. Über die Hintergründe haben die Vertragspartner Stillschweigen vereinbart. Ich habe keine weiteren Informationen hierzu. Die Ernüchterung im Verhältnis Duisburgs zu China muss als ein längerer Prozess verstanden werden. Im Zuge der Veränderungen in China und der Re-Kalibrierungen im europäisch-chinesischen Verhältnis hat auch die Stadt ihre Politik gegenüber China neu überdenken und neu ausrichten müssen. Insofern China in Deutschland und Europa zunehmend als ein Systemrivale und weniger als ein Kooperationspartner wahrgenommen wird, musste auch die Stadt ihren strategischen Ansatz ändern. Dieser Prozess hat über Jahre von der Idee einer Win-Win-Partnerschaft zu einer graduellen Desintensivierung der Beziehungen geführt. Duisburg unterhält weiter seine Städtepartnerschaft zu Wuhan. Aber die Idee, sich über die  China-Verbindung ein neues Wachstums- und Entwicklungsmodell zu schaffen, ist in dieser Form gestorben.

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