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"Collinas Erben" werten aus: Kimmichs Platzverweis folgt aus Qual der Wahl

Die Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga greifen nach der Winterpause bei unsportlichem Verhalten konsequenter durch, was auch Freiburgs Trainer Christian Streich zu spüren bekommt. Im Spiel zwischen Wolfsburg und den Bayern stellen Joshua Kimmich und Maximilian Arnold den Referee vor eine unangenehme Alternative.

In der Winterpause versammelten sich die Bundesliga-Referees zu einem mehrtägigen Trainingslager in Portugal, und dort verständigten sie sich - wie schon drei Jahre zuvor - noch einmal darauf, unsportlichem Verhalten von Spielern und Teamoffiziellen konsequenter zu begegnen. Hintergrund war die WM in Katar, bei der der Umgang miteinander zwar "überwiegend von Respekt geprägt und im Sinne des Fairplay" gewesen sei, wie Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich sagte. Es habe jedoch auch einige Spiele gegeben, "in denen heftiges und deutlich außenwirksames Reklamieren nach einer Schiedsrichterentscheidung, Provokationen unter Spielern, unsportliches Verhalten in der technischen Zone und deutliches Zeitspiel" zu beobachten gewesen seien. Dem will man entschlossen entgegentreten.

Den Verantwortlichen der Bundesliga- und Zweitligaklubs stellte die sportliche Leitung der Unparteiischen diverse Videoclips mit Spielszenen zur Verfügung, die exemplarisch zeigen, welche Formen von Unsportlichkeiten von den Schiedsrichtern geahndet werden sollen. Vier Spieltage und eine halbe Pokalrunde später lässt sich festhalten: Die Referees setzen die Vorgaben erkennbar um. Derzeit erfolgt etwa jede vierte Verwarnung wegen unsportlichen Verhaltens, auch die Trainer werden nicht verschont: Der Leipziger Coach Marco Rose bekam nach der Winterpause schon zweimal die Gelbe Karte, sein Mainzer Kollege Bo Svensson sah wegen Schiedsrichterbeleidigung im DFB-Pokal-Spiel gegen den FC Bayern München sogar den Roten Karton.

Streich: Erst die Unparteilichkeit infrage gestellt, dann hämisch applaudiert

Am Samstag traf es auch den Freiburger Übungsleiter Christian Streich, der in der Partie seiner Mannschaft bei Borussia Dortmund, die mit 1:5 verloren ging, nach 77 Minuten die Bank räumen musste. Schiedsrichter Robert Schröder und der Vierte Offizielle Patrick Ittrich hatten bereits zuvor versucht, mäßigend auf den Trainer der Gäste einzuwirken. Dann aber gab es eine Situation, in der "erneut vehement protestiert und abgewinkt wurde", wie Schröder nach dem Spiel erklärte. Der Referee verwarnte Streich, doch dann habe dieser "hämisch applaudierend diese Karte beklatscht, und das ist halt eine weitere Unsportlichkeit". Dafür gab es Gelb-Rot.

Der Coach habe vor seiner ersten Gelben Karte zum Vierten Offiziellen gesagt, "wir sollen uns ein gelbes Trikot anziehen", also jenes der Gastgeber. Streich stellte mithin die Unparteilichkeit der Unparteiischen infrage, und dadurch habe er "die Schwelle zwischen Emotion und Unsportlichkeit einfach überschritten", wie Schröder nachvollziehbar befand. Das sah auch Streich ein. "Das darf mir nicht passieren", sagte er. "Es war meine Dummheit und hilft der Mannschaft nicht. Ich ärgere mich maßlos über mich selbst." Der 57-Jährige fand jedoch auch, der Schiedsrichter habe in seiner Spielleitung die "Verhältnismäßigkeit" vermissen lassen. Was gleichwohl kein unsportliches Verhalten legitimieren kann.

Allemal berechtigt war jedenfalls die frühe Dezimierung der Freiburger schon nach etwas mehr als einer Viertelstunde. Kiliann Sildillia hatte sich innerhalb weniger Minuten gleich drei Fouls geleistet - für das erste war er von Referee Schröder ermahnt und für das zweite verwarnt worden, das dritte führte zu Gelb-Rot. Das Vergehen, das die Hinausstellung begründete, war zwar kein rücksichtsloses, es handelte sich um ein Halten gegen Karim Adeyemi. Doch weil der Dortmunder daran gehindert wurde, auf der Außenbahn mit dem Ball am Fuß in den Strafraum zu laufen, lag das vor, was man regeltechnisch als "Unterbindung eines aussichtsreichen Angriffs" bezeichnet und landläufig "taktisches Foul" nennt. Dafür sieht das Regelwerk eine Verwarnung vor.

Kimmich und Arnold stellen den Referee vor die Qual der Wahl

Mit Gelb-Rot den Platz verlassen musste auch Joshua Kimmich in der Partie zwischen dem VfL Wolfsburg und dem FC Bayern München (2:4) nach 54 Minuten. Die erste Verwarnung durch Schiedsrichter Harm Osmers nannte der Mittelfeldspieler des Rekordmeisters in selbstkritischer Absicht "absolut dumm" - er hatte sie bekommen, weil er Mattias Svanberg völlig unnötig weggeschubst hatte. Die zweite Gelbe Karte gab es aus dem gleichen Grund wie bei Sildillia, nämlich für die Unterbindung eines aussichtsreichen Angriffs. Zuvor hatten die Bayern im Strafraum der Gastgeber den Ball verloren, und als die Wolfsburger kontern wollten, ging Maximilian Arnold nach einem Armeinsatz von Kimmich zu Boden.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Sein Gegenspieler habe "natürlich gewusst, dass ich schon Gelb habe", sagte der Münchner nach dem Spiel. "Er nimmt das Tempo etwas raus und will, dass ich auflaufe. Ich selbst sehe nicht, dass ich ihn am Trikot oder am Arm gezogen habe. Es war schon sehr wenig." Tatsächlich nahm Arnold die Kontakte am Oberarm eher dankend an, als dass sie wirklich ausschlaggebend für seinen Sturz waren. Gewiss spekulierte er darauf, dass eine fast 40-minütige Überzahl seines Teams mehr Erfolg versprechen würde als der Konter in dieser Situation. Referee Osmers hatte nur die Qual der Wahl, entweder weiterspielen zu lassen, was Proteste der Wolfsburger zur Folge gehabt hätte, oder Kimmichs Einsatz als Foulspiel zu bewerten und dann zwangsläufig mit Gelb-Rot zu ahnden, womit die Bayern nicht einverstanden waren.

Osmers' ungewöhnlicher Entschluss

Ungewöhnlich war Osmers' Vorgehen in der 84. Minute beim vermeintlichen Anschlusstor der Hausherren zum 3:4. Im Münchner Strafraum gingen Leon Goretzka und Ridle Baku nach einem Zweikampf zu Boden, der Unparteiische ließ erst weiterspielen und entschied, als Yannick Gerhardt den Ball ins Tor schoss, unverzüglich auf Freistoß für den FC Bayern. Er hatte ein Foulspiel von Baku an Goretzka wahrgenommen. Bei dieser Entscheidung blieb es auch nach der Überprüfung durch Video-Assistent Felix Zwayer.

Üblicherweise warten die Schiedsrichter und ihre Assistenten nur in knappen Abseitssituationen mit dem Fahnenzeichen sowie mit dem Pfiff, bis der jeweilige Angriff abgeschlossen ist oder der Ball im Tor liegt. Denn in diesen Situationen geht es oft um wenige Zentimeter, und meistens gibt es keinen Ermessensspielraum. Angriffe sollen nicht durch frühzeitige, potenziell falsche Abseitsentscheidungen unwiderruflich zerstört werden, der VAR soll im Falle einer Torerzielung die Möglichkeit bekommen, eine Überprüfung vorzunehmen.

Eher ein Foul von Baku an Goretzka als umgekehrt

Bei Foul- und Handspielen dagegen pfeifen die Referees in aller Regel sofort, denn anders als beim Abseits sind die Kriterien subjektiv, also nicht faktisch und damit nicht mit kalibrierten Linien messbar. Dennoch kann es auch in solchen Situationen dazu kommen, dass der Referee es für geboten hält, den Abschluss des Angriffs abzuwarten, bevor er eine Entscheidung trifft. In diesem Fall hatte weder Goretzka noch Baku den Ball gespielt, der Münchner war aber näher am Ball und hatte ihn vor dem Wolfsburger abgeschirmt. Der Kontakt, zu dem es anschließend kam, war eher ein Foulspiel von Baku an Goretzka als umgekehrt.

In jedem Fall war es eine äußerst knifflige, nicht ganz eindeutige Situation, bei der es verständlich und sinnvoll war, dass Harm Osmers sich entschloss, nicht sofort zu pfeifen, sondern erst nach dem Abschluss des Angriffs - um dem VAR je nachdem die Möglichkeit der Überprüfung zu geben. Der Unparteiische aus Hannover wirkte dabei keineswegs zögerlich und unentschlossen, sondern er strahlte im Gegenteil aus, ganz bewusst so gehandelt zu haben. Seine Entscheidung war dann auch zumindest nicht klar und offensichtlich falsch. Dass der VAR kein On-Field-Review empfahl, war somit folgerichtig.