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Corona-Pandemie, Masken und Eigenverantwortung: Was drüberziehen, um auf Nummer sicher zu gehen

Mit Maske beim Friseur: In anderen Bereich klappt es doch auch

Mit Maske beim Friseur: In anderen Bereich klappt es doch auch

Foto:

Kim Kyung Hoon / REUTERS

Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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In den ersten Januartagen fuhr ich mit der Deutschen Bahn von München nach Zürich. Etwa auf Höhe des Bodensees machte der Schaffner eine Durchsage: »Liebe Zuggäste, ich weiß, es ist müßig. Ab dem 1. Februar fällt die Maskenpflicht in Zügen. Aber reißen wir uns doch bitte noch die letzten Tage bis dahin zusammen. Bitte, ziehen Sie Ihre FFP2-Masken auf.«

Ich sah mich um. Blickte in bare Gesichter. Im lose belegten Abteil war ich die Einzige mit einer Maske. Ihr Tragen war schon Wochen vor Ablauf der Pflicht zur ultimativen lahmen Ente verkommen.

Das ist doch nichts Neues, werden Sie sagen. Wissen doch alle: Die Maske, dieses Signalfähnchen der vergangenen drei Jahre, dass etwas nicht stimmt, dass man sich in Acht nehmen muss, ist Teil der Vergangenheit. Die Pandemie: vorbei! Der Stofflappen: vom Gesicht gerissen wie ein drückender Schuh vom Fuß.

Der Impfpass liegt wieder in der Krimskramskiste – und die Maske?

Mir ist die Sache im Zug neulich so deutlich aufgefallen, weil ich normalerweise in Thailand lebe. Dort gilt die Pflicht zur Maske auch längst fast nirgends mehr. Im Unterschied zu Deutschland tragen sie die Menschen dennoch weiterhin. Freiwillig. Ich finde das ziemlich klug. Die Maske ist praktisch.

Dieser kleine Text soll kein Rückgriff auf hinter uns gelassene Debatten sein. Wir sind alle überall auf der Welt mehr oder weniger orientierungslos durch die vergangenen drei Jahre getapst, mal in die richtige Richtung, mal in die falsche. Alle teilten wir die eine Sehnsucht: dass es bitte, bitte bald vorbei sein möge.

Nun ist es so weit. In Deutschland fallen die allermeisten Beschränkungen. Der Impfpass ist wieder in dieser einen Krimskramskiste verschwunden, in der wir ihn nie finden. Die WHO hat den »Notstand von internationaler Tragweite« wegen Corona zwar gerade noch mal verlängert, so richtig überzeugt klangen die Expertinnen und Experten aber nicht. Die Demokratie ist in der Zwischenzeit nicht untergegangen. Die Apokalyptiker sind jetzt – ja, wo eigentlich?  Es gibt neue Probleme und neue Bedrohungen.

Ich verstehe den Fall der Maskenpflicht als freundliche Einladung zum freiwilligen Tragen. Wer das tut, hat verstanden, was Eigenverantwortung bedeutet. Was es heißt, sich selbst und andere zu schützen. Denn nur, weil das Coronavirus seinen größten globalen Schrecken verloren zu haben scheint, bedeutet das nicht, dass niemand mehr in Gefahr wäre. Die Möglichkeit, einer infizierten Person im Bus oder im Büro gegenüberzusitzen, gibt es ja nach wie vor. Es stecken sich weiter viele Menschen an, es leiden weiter viele an gesundheitlichen oder finanziellen Folgen des Virus. Halbe Abteilungen müssen sich krankmelden, Arbeit bleibt liegen. Es trauern weiter viele um jene, die im Zuge einer Infektion gestorben sind.

Vorbild Thailand

In meinem Umfeld in Thailand verstehen das die meisten Menschen. In der dicht gedrängten Schlange vor der Supermarktkasse sieht man kaum jemanden ohne Maske. In Aufzügen, Museen, Kinos. Auf Flughäfen.

Taxifahrer tragen eine, und wer auf der Rücksitzbank Platz nimmt, meist auch.

Kellner in den Restaurants und ihre Gäste, bis sie sich an den Tisch setzen.

Kolleginnen und Kollegen im Büro, wenn sie eine Konferenz abhalten, bei der sich viele Menschen in einem Raum versammeln.

Die Masseurinnen in den Spas tragen einen Mund-Nase-Schutz. Leider viel zu selten die Touristen, die auf den Liegen Platz nehmen.

Neulich war ich in Bangkok im Fußballstadion. Das Spiel fand im Freien statt, aber auf der dicht bestuhlten Tribüne zogen viele eine Maske auf.

Das Angenehme daran ist: Die Maske ist überhaupt kein Thema. Sie ist ein Ding des Alltags, nicht der Rede wert. Wie die Serviette, die man im Restaurant gereicht bekommt, um sie sich auf den Schoß zu legen, damit die Currysoße nicht direkt auf der neuen Jeans landet.

Vor ein paar Wochen verbrachte ich mit ein paar Freunden ein langes Wochenende außerhalb Bangkoks. Am zweiten Tag trug eine Freundin plötzlich eine Maske und erklärte ganz selbstverständlich: Sie habe ein Kratzen im Hals. Es könne eine Allergie sein, oder aber ein erstes Anzeichen, dass sie krank werde. Für sie war klar: Sie schützt ihre Freunde, indem sie sich eine FFP2 hinter die Ohren klemmt.

Warum kriegt Deutschland es nicht hin?

In Asien wird die Bereitschaft zur Maske unter anderem damit erklärt, dass die Menschen durch die Sars-Epidemie und die ständige Luftverschmutzung in den Städten früh gelernt hätten, wie effektiv der Mund-Nase-Schutz wirkt. Eine Erklärung, auf der wir uns in Europa nicht mehr ausruhen können. Auch Deutsche wissen dank der Pandemie, wie gut die Maske allen möglichen Atemwegsinfekten vorbeugt. Entsprechend müsste man auch uns einen Erkenntnisgewinn zutrauen.

Wie es aussieht, haben wir aber wenig dazugelernt. In der Maske sehen viele eher ein Symbol der Einschränkung als ein Zeichen von Rücksichtnahme und dem Ermöglichen von Freiheit. Seltsam ist das. In anderen Bereichen wenden wir dasselbe Konzept (Was drüberziehen, um auf Nummer sicher zu gehen) doch auch freiwillig an, weil es funktioniert. Ich finde erstaunlich, dass in Deutschland, wo so lange so laut nach mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger gerufen wurde, Eigenverantwortung zum Beispiel so aussieht:

Ein paar Tage nach der Zugfahrt Richtung Zürich stand ich im Allgäu in einer Apotheke. Es war die Zeit, in der im Radio dauernd von Medikamentenengpässen berichtet wurde; von Krankenhäusern, die überlastet seien; dass Kinder und Erwachsene schwer an der Grippe und dem RS-Virus erkrankten. Auch in der Apotheke war die Erkältungswelle Thema. Kundinnen und Kunden fragten nach Ibuprofen, Nasenspülsalz und Fieberthermometern; Erkältungsbäder waren im Angebot. Der Laden war dicht gefüllt. Niemand trug eine Maske.

Kurz vor meinem Rückflug nach Bangkok war ich dann noch beim Friseur. Es beugten sich zwei Friseurinnen dicht über meinen zurückgelegten Kopf, um mir die Wimpern zu färben. Eine musste dauernd niesen. Die zweite hatte eine total verstopfte Nase. Zum Glück, dachte ich, habe ich die Maske aufgesetzt. Ich wünschte, die beiden Frauen hätten es auch getan.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft