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"Das Problem sind die Ausnahmen": Wie gerecht ist es, viel Geld zu erben?

Rund 400 Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland vererbt oder verschenkt. Während einige Millionen erhalten, bekommen viele gar nichts. "Gesamtwirtschaftlich hat Erben einen Nutzen", sagt Ökonom Jan Schnellenbach im Interview mit ntv.de. Änderungen am Erbschaftssystem in Deutschland hält er dennoch für nötig.

ntv.de: Ein Erbe muss man sich nicht erarbeiten. Man bekommt es geschenkt. Wie gerecht ist es, so ein leistungsloses Einkommen zu beziehen?

Jan Schnellenbach: Wenn jemand viele Millionen erbt, habe auch ich im ersten Augenblick das Bauchgefühl, dass das ungerecht ist. Der Erbe kann ein sorgloses Leben verbringen, während andere hart arbeiten müssen. Das ändert aber nichts daran, dass die Institution Erbschaft ja auch einen Sinn hat. Man darf bei diesem Thema nicht nur auf die kurzfristigen Verteilungseffekte schauen, also dass einzelne Menschen plötzlich wohlhabend sind. Man muss auch auf die gesamtgesellschaftliche Funktion des Erbens schauen.

Wie sieht die aus?

Zunächst einmal: Es ja nicht falsch, wenn Eltern ihren Kindern etwas vererben, was von ihnen bewahrt oder aufgebaut wurde, und dann von den Kindern weiter bewahrt oder entwickelt wird. Und zum Eigentumsrecht von Erblassern gehört auch, dass diese entscheiden können, wie nach ihrem Tod mit ihrem Eigentum verfahren werden soll. Wenn sie davon ausgehen, dass beispielsweise ein Unternehmen bei ihren Kindern in guten Händen ist, dann sollten sie entsprechend entscheiden können. Erbschaften - auch die Aussicht darauf - haben aus familienökonomischer Sicht auch die Funktion, für eine höhere Kooperationsbereitschaft und gegenseitige Unterstützung in der Familie zu sorgen. Und auch gesamtwirtschaftlich hat Erben einen Nutzen. Gerade in Deutschland trägt die gewachsene Struktur von Familienunternehmen mit einem über Generationen reichenden Zeithorizont auch zur Stabilität einer Volkswirtschaft bei, da sie weniger an sehr kurzfristiger Gewinnmaximierung und mehr an langfristigen Perspektiven ausgerichtet sind.

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Jan Schnellenbach ist Ökonom und lehrt an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus.

Betriebsvermögen sind bei der Erbschaftssteuer begünstigt. Selbst sehr große Vermögen werden deshalb nur gering besteuert. Ist dieses Privileg wirklich erforderlich für das Allgemeinwohl?

Wie gesagt, grundsätzlich gibt es einen Nutzen. Die Kontinuität, das Weitergeben von Generation zu Generation sorgt oft dafür, dass Eigentümer eine engere Bindung zum Unternehmen und den Mitarbeitern haben als angestellte Manager. Davon ist der Mittelstand in Deutschland geprägt. Das heißt aber nicht, dass das durch die Erbschaftssteuer so stark gefördert werden muss, wie es derzeit der Fall ist. Es wäre sinnvoll, die steuerlichen Verschonungsregeln abzuschaffen und stattdessen den in der Steuerpolitik oft bewährten Weg mit niedrigeren Steuersätzen, aber wenigen Ausnahmen und angemessenen Freibeträgen zu gehen.

Hohe Erbschaften werden nicht nur von linker Seite kritisiert. Auch aus liberaler Sicht gibt es Argumente dagegen. Eines davon: Es ist nicht fair, wenn jemand Privilegien bekommt, ohne sie sich erarbeitet zu haben.

Ja, das ist auch aus liberaler Sicht ein Problem. Es besteht die Gefahr, dass bei hohen Erbschaften auch Privilegien vererbt werden und dass ähnlich wie in einem Feudalsystem eine sehr schmale, sehr reiche Oberschicht ihre Macht festigt. Die Frage ist jedoch, ob aus großem materiellem Wohlstand tatsächlich auch großer politischer Einfluss entsteht. Das ist in Deutschland bisher nicht der Fall. Anders als etwa in den USA wird der politische Wettbewerb hierzulande nicht systematisch durch große Vermögen verzerrt. Politisch hoch wirkmächtige Dynastien wie die Kennedys oder die Bushs gibt es nicht.

Ein anderer Einwand: Hohe Erbschaften verstoßen gegen das Leistungsprinzip und gegen die Chancengleichheit. So hält Investoren-Legende Warren Buffett nichts von großen Erbschaften und ist dabei, den Großteil seines riesigen Vermögens zu spenden. Er wolle seinen Kindern "genug Geld geben, dass sie das Gefühl haben, alles tun zu können - aber nicht so viel, dass sie meinen, nichts tun zu müssen". Ein großes Erbe zerstöre bei Kindern jeden Geschäftssinn, so Buffett. Ergibt es daher nicht Sinn, Reichtum nicht den Nachkommen, sondern der Gesellschaft zu vermachen?

Ich denke nicht, dass hohe Erbschaften zwangsläufig jeden Geschäftssinn zerstören. Es gibt - auch in Deutschland - jede Menge Gegenbeispiele. Es gibt viele Unternehmen, die von Generation zu Generation erfolgreich weitergeführt werden. Es kann natürlich passieren, dass jemand, der viele Millionen erbt, sich ein anstrengungsfreies Leben macht und das Geld verprasst. Na und? Dann kann er oder sie ein angenehmes oder faules Leben führen. Das führt dann aber auch dazu, dass das Vermögen kleiner und unter die Leute gebracht wird.

Dem Forschungsinstitut DIW zufolge werden in Deutschland jedes Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Dem Statistischen Bundesamt zufolge betrugen die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer im vergangenen Jahr rund 11 Milliarden Euro. Die Tabaksteuer brachte dagegen 14,7 Milliarden Euro. Sind die Freibeträge beim Erben zu hoch und ist die Erbschaftssteuer zu niedrig?

Das Problem sind nicht die Freibeträge an und für sich. Das Problem sind die vielen Ausnahmen, etwa die Verschonungsregeln beim Betriebsvermögen. Hinzu kommt die Möglichkeit, durch Schenkungen über einen längeren Zeitraum vorausschauende Erbschaften durchzuführen und Freibeträge mehrfach zu nutzen. Es gibt zu viele Schlupflöcher, die nahezu steuerfreies Vererben ermöglichen.

Was wäre eine Alternative?

Ein Erbschaftssteuersystem, das zwar hohe Freibeträge einräumt, aber ansonsten nur wenige Ausnahmen. Wünschenswert ist eine möglichst breite Bemessungsgrundlage mit gleichzeitig geringen Steuersätzen. Die Last der Erbschaftsteuer sollte tragbar sein, aber man sollte sie auch nicht mehr oder weniger komplett vermeiden können.

Das Vermögen in Deutschland ist sehr ungleich verteilt. Das oberste Prozent besitzt dem DIW zufolge rund 18 Prozent des gesamten Vermögens - so viel wie die unteren 75 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zusammen. Ist deshalb nicht vor allem problematisch, dass die Erbschaften so extrem ungleich verteilt sind und die Vermögensunterschiede zementieren?

Das ist ein Problem. Aber man muss das auch von der anderen Seite betrachten. Unser Sozialstaat ist sehr stark umlagefinanziert. Ein Großteil der Bevölkerung sieht deshalb überhaupt keinen Grund, Vermögen aufzubauen - etwa für die Altersvorsorge. Viele verlassen sich auf das umlagefinanzierte Rentensystem und den Sozialstaat. Deshalb wird in Deutschland zu wenig Vermögen gebildet. Beispielsweise in Italien ist das anders. Dort ist vor allem der Immobilienbesitz viel stärker verbreitet als hier.

Aber ist es nicht vielmehr so, dass viele Menschen gar nicht die Möglichkeit haben, Vermögen bilden?

Das kommt dazu. Arbeitnehmer zahlen erhebliche Beiträge, um das umlagefinanzierte Versorgungssystem zu finanzieren. Dann bleibt für die kapitalgedeckte Altersvorsorge nicht mehr viel übrig.

Der französische Ökonom und linke Vordenker Thomas Piketty hat vorgeschlagen: Alle 25-Jährigen sollen vom Staat ein Startkapital in Höhe von 120.000 Euro bekommen - als "Erbschaft für alle". Was halten Sie von dieser Idee?

Ich bin da skeptisch. So ein "Grunderbe" - das auch andere Ökonomen immer wieder vorschlagen - sorgt doch letztendlich auch für Moralisierung und Bevormundung durch den Staat. Denn hinter der Idee steckt ja, dass das Geld sinnvoll investiert werden muss, etwa in die Ausbildung. Dann muss man also nachweisen, dass man etwas mit dem Geld anstellt, was andere für angemessen halten. Außerdem hat der Staat viel sinnvollere Hebel in der Hand, um für Aufstiegschancen zu sorgen: ein herausragendes Schul- und Universitätssystem wäre ein Beispiel. Sollten wir nicht lieber dort investieren, als einfach umzuverteilen? Ich finde es viel besser, auch unteren Einkommensschichten zu ermöglichen, im Laufe ihres Arbeitslebens ein Vermögen aufzubauen, von dem sie nicht nur im Alter profitieren, sondern von dem sie auch etwas hinterlassen können.

Mit Jan Schnellenbach sprach Jan Gänger