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Das Tagebuch zur WM in Katar: Was wird aus Katar, wenn Deutschland nicht mehr da ist?

Das Tagebuch zur WM in Katar Was wird aus Katar, wenn Deutschland nicht mehr da ist?

Deutschland verabschiedet sich aus Katar. Nach einer kurzen Nacht hebt die DFB-Elf vom Hamad International Airport ab. Das Gastgeberland könnte kaum glücklicher sein. In einer Talkshow winken sie den Nationalspielern hinterher. Dazu zeigen sie die Geste der WM. Was bleibt von Katar?

In der Stadt, die niemals schläft, fährt einer um 2:45 Uhr die Rolltreppen an der Metro-Station Msheireb hoch. Mshereib ist der Umsteigebahnhof im Zentrum Dohas. Baubeginn 2013, Fertigstellung 2019. Design-Award obendrauf. Das sind nach zwei Wochen in Katar keine Neuigkeiten mehr. Alles ist mindestens das Beste, wenn nicht sogar noch besser.

Wer mit der Metro zu einem der Spiele der WM fahren will, muss durch dieses Prunkstück und sich aus den Luxussitzen der Metro herausschälen, von den Helfern den Weg weisen lassen und irgendwo hingehen. Das Denken wird den Menschen in Katar zum Glück an diesen vollkommen unwichtigen Stellen abgenommen. Das spart Kraft, wenn es von der Red Line auf die Gold Line oder von der Green Line auf die Red Line geht.

Wer zum Souq Waqif will, sollte hier aussteigen und die paar hundert Meter entlang einer der Tramlinien gehen. Die Tramlininen tauchen plötzlich aus dem Nichts auf und verschwinden wieder. Es geht vorbei an den Hotelschluchten der Innenstadt und dem Host City Media Centre, in dem freundliche Reporter und Reporterinnen der Staatssender über herrliche Baklava überschwängliches Lob für das Gastgeberland aus den angereisten Journalisten herauskitzeln wollen.

In den engen Gassen des Souq Waqif feiern die Marokkaner, immer noch. Sie halten den arabischen Traum weiter am Leben. Marokko hätte gegen Deutschland spielen sollen und muss jetzt gegen Spanien ran. Mit der Unterstützung der Fans, die alles in Grund und Boden schreien und jeden Ballkontakt des Gegners zu einem Erlebnis aus der Hölle machen. Ihre Auftritte sind besonders.

Die Schichtschläfer

Überhaupt feiert, arbeitet oder isst in Doha immer irgendwer. Zu jeder Tageszeit. Egal, wie spät, früh, heiß oder "kalt" es ist. New York City hat das Label "City that never sleeps" längst an diese Metropole verloren. Doha schläft vor allem nie, weil die zwei Millionen Gastarbeiter Katars ihre Jobs oft in der Nacht erledigen. Dann, wenn sie Touristen und nun die WM-Besucher nicht "stören". Da werden die Rasenmäher um 1.36 Uhr Nähe des Media Centers angeschmissen, die Pflanzen in der Mitte der Autobahn um 3.14 Uhr gewässert und die Straße einmal um 2.49 Uhr und noch einmal um 5.27 Uhr gefegt. Es sind die Gastarbeiter, wie ein Kellner im Lieblingsrestaurant um die Ecke, die zu neunt in Zweizimmerwohnungen hausen, wo die eine Hälfte der Bewohner nachts und die andere tagsüber schlummert. Schichtschlaf.

Der Muezzin singt natürlich auch des Nachts. Von den Taxifahrern braucht man gar nicht erst anfangen. Nicht wegen Gesang, logisch. Sondern weil quasi eh immer unterwegs. "Ich arbeite bis 6 Uhr morgens, dann schlafe ich bis 10 Uhr", erzählt einer. "Schlaflos in Seattle" kann also genau wie New York einpacken. Und wenn wir schon dabei sind: Zwar gilt Las Vegas als Sin City, aber an Sünden bietet Doha genauso viel. Natürlich sind es ganz andere Sünden, obwohl bei Kamelrennen auch fleißig gewettet wird.

Vancouver wird von seinen Einwohnern liebevoll "The Big Smoke" genannt - aufgrund des häufigen Nebels, der sich mit Fabrikabgasen mischt. Hier ist es eher der Wüstendunst. Wie eine dicke Wolkendecke wabert er nach dem Aus der DFB-Elf über der Wüste rund um das Al-Bayt Stadion. Fast kuschelig, wäre da nicht diese heftige Luftfeuchtigkeit.

Auf Hallig Gröde gehen die Lichter aus

Stadt der Engel, Stadt der Liebe, Heilige Stadt? Ob Doha da auch mithalten kann, der DFB-Elf ist das nun alles egal. Es geht nur noch um den geordneten Rückzug. Teil von Doha, Teil dieser Weltmeisterschaft waren sie ohnehin kaum. Sie hausen weit entfernt von allen Fans und anderen Teams im Norden Katars. Von oben herab erklären sie dem Rest, wie sich die Welt zu verhalten habe, welche Werte zu vertreten sind und welche Protestformen dafür die besten sind. Nur ein paar Tage, bevor Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stolz den Katar-Deal verkündet, gibt die Nationalmannschaft den restlichen Teilnehmern Lektionen in Sachen Protest. Sie legen die Hand vor den Mund. Sie sind, sagen sie, zum Schweigen verdammt.

Der Protest der Nationalmannschaft ist eines der Bilder des Turniers und eines, das der DFB-Elf natürlich sofort um die Ohren fliegt. Bereits nach der Pleite gegen Japan wird Hohn und Spott über sie ausgekübelt. Deutschland liefert die Störgeräusche, aber bringt auf dem Platz keine Leistung. Das ist schwierig. Weil Sport und Politik nicht mehr zu trennen sind. Weil niemand Lust und Zeit hat, etwas zu trennen. Beides geht. Über die Geste lässt sich streiten. Denn niemand hat den Deutschen den Mund verboten, das beweist ein ganzes Land über Monate. Die Kritik an Katar ist überbordend, anekdotisch und doch wichtig. Wenn sie andauert, wenn sie ernst gemeint ist und nicht nur formuliert wird, weil die Scheinwerfer der Welt das Emirat am Golf jetzt ausleuchten.

In der Stadt, die niemals schläft, fährt einer um 2.45 Uhr die Rolltreppen an der Metro-Station Msheireb hoch. Er trägt ein Deutschland-Trikot. Vor drei Stunden hat die DFB-Elf im Kamelmist von Al-Khor das Achtelfinale verpasst. In Hugfling, Altenberg, Bad Salzdetfurth, Papenburg und auf Hallig Gröde sind schon lange die Lichter ausgegangen. Morgen ist auch noch ein Tag. Der Mann im Deutschland-Trikot blickt hoch und muss den Spott der anderen ertragen. Sie singen Lieder, die mit "Schade, Deutschland, alles ist vorbei" mit Sicherheit noch freundlich übersetzen sind.

Neuendorf fliegt, Friseur schläft

Die DFB-Elf hat in den zwei Wochen in Katar einiges dafür getan. Ihr Abschneiden bei dieser Weltmeisterschaft wird mit großer Freude registriert. In der Sporttalksendung "Madschlis" auf dem Katar-Sender Al-Kass sind sie überglücklich. "Die gesamte arabische und islamische Nation hat heute gebetet, dass sich Japan qualifiziert", sagt einer in der Sendung, die natürlich sofort in den sozialen Medien geteilt wird: "Aber das Wichtigste heute ist das Ausscheiden Deutschlands." Die Talkshow-Gäste legen sich eine Hand über den Mund und winken Deutschland zum Abschied.

Was wird nur aus der Aufregung um Katar, wenn die Weltmeisterschaft nicht mehr ist? Was wird nur aus der Aufregung um Katar, wenn beim DFB Entscheidungen getroffen werden? Wird das Emirat in Vergessenheit geraten? Werden weiter monatelang Empörungsangebote gemacht oder wird die Aufregung einfach weiterziehen? Auf die Empörung folgt immer auch die Erschöpfung. Worum ging es überhaupt?

Am Morgen nach dem blamablen Aus spricht DFB-Präsident Bernd Neuendorf am Flughafen ein paar Abschiedsworte in die Kameras. Dann ist es endlich vorbei. Für alle. Gleichzeitig harrt der Friseur des Hotels, er kommt aus Bangladesch, eisern auf dem Sofa vor seinem Salon aus, in dem fast nie etwas los ist. Er schläft.