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Das Tagebuch zur Wüsten-WM: Katars junge Gesellschaft zerbricht am Oldie-Showdown

Im Islam wird Respekt für Ältere großgeschrieben. Wie passend, dass sich im Viertelfinale mit Ronaldo, Messi und Co. etliche Altstars tummeln. Im krassen Gegensatz dazu ist die Bevölkerung Katars eine der jüngsten der Erde - und junge Männer zerbrechen, während die Welt den WM-Oldies zujubelt.

"Wenn ein junger Mensch einem alten Menschen aufgrund seines Alters Respekt erweist, schickt ihm Allah Menschen, die ihm im Alter Respekt erweisen." Diese Worte stammen vom Gelehrten Muhammad Al-Tirmidhi, Verfasser einer der kanonischen Traditionssammlungen im islamischen Schrifttum im 9. Jahrhundert. Älteren wegen ihrer Lebenserfahrung Respekt zu erweisen und sie barmherzig zu behandeln, ist eine wichtige religiöse und auch moralische Pflicht in islamischen Gesellschaften.

Weitaus mehr als in westlichen Gesellschaften wird auch in Katar darauf geachtet, nicht nur den eigenen Eltern, sondern auch allen anderen Menschen im fortgeschrittenen Alter Achtung und Anerkennung zu schenken. In vollgestopften U-Bahnen stehen jüngere Fahrgäste sofort auf und bieten Älteren ihren Sitz an. In Schlangen werden sie vorgelassen.

Da passt es, dass es jetzt im WM-Viertelfinale zum noch nie dagewesenen Showdown der Super-Oldies kommt. Relativ gesehen natürlich, im Fußballalter sind Männer ab Mitte 30 ja schon Großväter. Seit 2008 wurden nur vier Kicker mit dem Ballon d'Or ausgezeichnet: Lionel Messi (siebenmal), Cristiano Ronaldo (fünfmal), Luka Modric (einmal) und Karim Benzema (einmal). Sie alle kämpfen bis auf den verletzten Benzema (für den 34-Jährigen zaubert dafür der zwei Jahre ältere Olivier Giroud im französischen Sturm) noch um die WM-Krone.

Letzte Chance auf WM-Ruhm für Messi und Ronaldo

Messi (35 Jahre) trifft mit seinen Argentiniern (mit einem Altersdurchschnitt von 27,8 Jahren die viertälteste Mannschaft des Turniers) auf die Niederlande, wo ein 32-jähriger Daley Blind - der mit seinem immer schütter werdenden Haar aussieht wie ein unfitter Familienvater, der in Khakis beim Picknick beim lockeren Kick im Park mitzockt - der athletischen rechten Außenbahn der USA mit Sergino Dest (22), Weston McKennie (24) und Timothy Weah (22) mal zeigte, was in alternden Profis steckt.

Für Messi dürfte es wie für Superstar-Kollege Ronaldo (37) die letzte WM sein. Der letzte große Kampf der Karriere. Die letzte Chance auf den ultimativen Ruhm. Die letzte Möglichkeit, den ewigen Kontrahenten auszustechen. Der Portugiese, der im Achtelfinale wegen seiner Bankrolle und angeblicher Androhungen, vom Turnier abzureisen, für Aufsehen sorgte, muss zunächst gegen Spanien-Schock Marokko ran - aber tatsächlich könnte es im Finale zum ultimativen Showdown zwischen ihm und Messi kommen.

Dies will einerseits Frankreich mit einer Mischung aus jung (Kylian Mbappé, 23 Jahre; Aurélien Tchouaméni, 22; Ousame Dembélé, 25) und alt (Giroud; Hugo Lloris, 35; Antoine Griezmann, 31) verhindern. Auf der anderen Seite sind Brasiliens Altmeister (mit 27,9 Jahren im Durchschnitt die drittälteste Mannschaft des Turniers) nach dem 4:1 gegen Südkorea einer der Topfavoriten auf den Titel. Innenverteidiger Thiago Silva (38) und Rechtsverteidiger Dani Alves (39) müssen aber zunächst gegen Modric (37) und seine Kroaten bestehen.

Katars junge Gesellschaft leidet

Der Respekt der Katarer ist den vielen Oldies sicher. Auch die deutschen Opas, Thomas Müller (33) und Manuel Neuer (36), wurden von Fans und auf Plakaten in Doha immer wieder hervorgehoben. Doch genauso wie der alternde fast Ballon-d'Or-Gewinner Robert Lewandowski (34) sind sie schon ausgeschieden. Ob sie noch mal eine Weltmeisterschaft spielen werden? Unwahrscheinlich.

Im starken Gegensatz zu den vielen WM-Altstars ist die Gesellschaft Katars jedoch eine der jüngsten auf dem Planeten. Während 1950 etwa 50.000 Menschen im Wüstenstaat lebten, sind es nun rund drei Millionen. Zwar ist auch die Geburtenrate im Emirat vergleichsweise hoch, doch für diese Explosion der Einwohnerzahlen ist vor allem die massive Anwerbung von Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter verantwortlich. Sie machen etwa 90 Prozent der Bevölkerung aus, die ein Durchschnittsalter von 33,7 Jahren hat.

Gerade Männer zwischen 30 und 39 Jahren, die im Fußball als Oldies gelten, sind in Katar am häufigsten vertreten. Doch weil sie nicht unter die Altersregel der Fußballer fallen und Migranten im Emirat zu Sündenböcken für die Missstände in der modernen Gesellschaft stigmatisiert werden, fällt auf sie kein bisschen Respekt ab. Genau das Gegenteil herrscht, der Gegensatz könnte nicht krasser sein: Während im WM-Viertelfinale der Showdown der Super-Oldies steigt, während in der U-Bahn für alte Katarer aufgestanden wird, haben sie sich unterzuordnen und mit Ungleichbehandlung zu kämpfen.

Die jungen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern erfahren nicht die Privilegien der katarischen Staatsangehörigen. Wie kostenloser Strom und kostenloses Wasser. Wie Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung. Wie Befreiungen von Steuerzahlungen. Nur Staatsbürgern steht das Aufenthaltsrecht und das Recht auf einen Arbeitsplatz zu - und eingebürgert werden Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter quasi nie (rechtlich erst nach einem Aufenthalt von mindestens 20 Jahren möglich).

"Alles nur für meine Familie"

Viele der jungen Männer leiden unter der Ungleichbehandlung im Emirat, sorgen sich um ihre Familien in den Heimatländern. Sie erzählen, wie sie versuchen, hier Geld zu sparen, um sie vielleicht irgendwann nachzuholen oder das Ersparte rüberzuschicken. Doch aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten und der geringen Bezahlung ist das kaum möglich. Für sie bringt die WM kaum Gutes. Sie zerbrechen innerlich, während die Welt den Messis, Ronaldos und Modrics zujubelt.

"In Saudi-Arabien habe ich elf Jahre gearbeitet, in Katar bin ich erst vier Monate", erzählt ein indischer Kellner. "Hier ist es einfach zu teuer und man muss jeden Tag mindestens 13 Stunden arbeiten." In Saudi-Arabien hätte er normale Arbeitstage von acht Stunden gehabt, nach der WM will er wohl dahin zurück.

Zeit an den Showdown der Super-Oldies zu denken oder das Geld eines der Spiele zu besuchen, hat er nicht. "Ich tue das alles nur für meine Familie", sagt der junge Mann und arbeitet weiter.