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Der fränkische Philosoph: Wie Erwin Pelzig erklärt, warum sich das Coronavirus über die Menschheit schief lacht

Wenn ein Künstler am Ende seines Programms auf die Knie geht und den Bühnenboden küsst, dann muss etwas passiert sein. Dann hatte der Auftritt vor großem Publikum offenbar nichts Selbstverständliches. Was früher normal war – jetzt ist es besonders. Nach zweieinhalb Pandemiejahren mit Ausfällen, Verschiebungen und Dezimierung haben sich die Koordinaten verschoben. Kabarettist Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig waren Dankbarkeit und Erleichterung in den Veitshöchheimer Mainfrankensälen nicht nur anzumerken – er zeigte sie ganz bewusst. Gleich zu Beginn an das Publikum gewandt ("Vielen Dank, dass Sie heute gekommen sind, trotz Corona und hohen Spritpreisen") und zur Verabschiedung eben mit dem Kuss des Bühnenbodens. Fast so, als habe er nach langer Zeit eine alte Liebe wiedergefunden.

Neues Programm in schwieriger Pandemiezeit entstanden 

Wie groß die Corona-Verunsicherung noch ist, zeigen Besucherzahlen aus der Kulturbranche: Um 20 bis 30 Prozent liegen sie laut Veranstaltern unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Dass Barwasser vor 750 eng sitzenden Gästen spielen kann – es ist eine besondere Wertschätzung bei seinem Heimspiel in Mainfranken.

Sein Programm "Der wunde Punkt" entstand im Gleichklang kurz vor und während der Pandemie – und den bekannten Folgen: Die für September 2020 geplante Premiere um ein gutes Jahr verschoben, dann Aufführungen vor kleinem Publikum oder später im Freien. Alles machbar, aber nervig, ungewiss, eingeschränkt. Immer wieder schraubte er am Programm. Dessen Entwicklung, so heißt es aus seinem Umfeld, war die schwierigste in 30 Bühnenjahren.

Beißende Gesellschaftskritik und Nachdenken über die Welt

Aber alle Arbeit, alles Hirnen, alles Über-den-Haufen-Schmeißen hat sich gelohnt. Herausgekommen sind zwei kurzweilige, dichte Stunden zum Lachen und Heulen. Einmal mehr gelingt Barwasser ein inspirierender Spagat zwischen beißender, bisweilen wutgeladener Gesellschaftskritik und dem feingeistigen Sinnieren und Philosophieren über den Zustand der Welt, über Kränkungen und Künstliche Intelligenz. Er ist dankbar, aber nicht milde.

Es wäre ein Leichtes, sich in der Apokalypse zu suhlen, großes Drama sozusagen. Doch Pelzig (logisch mit Hut, Karo-Hemd und Täschli) zieht immer wieder den Finger aus der Wunde zurück und zeigt auf das Gute, auf das Mögliche. Auf das, was Hoffnung geben könnte in einer Welt der Wirrnis. Engstirnige Neinsager und Stehenbleiber ("früher war alles besser") sind ihm genauso zuwider wie willfährige Speichellecker und gewissenlose Fortschrittsgläubige.

Hartmut, Dr. Göbel und noch zwei andere Exkurs-Rollen

Barwasser bzw. sein Alter Ego Pelzig rührt die Gäste nicht nur inhaltlich an. Er beeindruckt sie auch mit einer irren Konzentrationsleistung: Zwei Stunden ohne Pause monologisiert er sich durch das Zeitgeschehen. Natürlich dürfen seine beiden Stammtischbrüder Hartmut und Dr. Göbel nicht fehlen. Aber er schlüpft exkursweise auch in ungewohnte Rollen.

Fotogalerie: Erwin Pelzig

Hier das Virus, das die Menschheit auslacht. Sich lustig macht über halbherzige Versuche der Eindämmung: "Ich schicke Euch Mutationen. Ihr schickt mir volle Regionalzüge und Bierzelte." Ein Virus, das mehr mit der Menschheit gemein hat, als einem lieb sein will: "Ihr zerstört die Wälder und das Klima. Das nennt Ihr Wachstum. Bei mir nennt Ihr's Ansteckung." Es tut weh, in diesen Spiegel zu schauen. Wer fühlte sich nicht angesprochen?

Oder eine zweite Exkurs-Rolle aus der Perspektive eines jungen Menschen mit Fragen zu unserer Demokratie: Warum schafft sie exzessiven Reichtum und bittere Armut? Warum stützen wir "Öl- und Gasdiktaturen"? Runter vom hohen Ross der Superdemokraten, hört man Pelzig denken. Etwas bescheidener, selbstkritischer, weniger besserwisserisch – dann wäre viel gewonnen.

Das gilt auch für die Debatte ums Gendern. Pelzig ist genervt von den Fronten, die sich da aufbauen, als stünde der Untergang des Abendlandes bevor: Sensibel sein, ja. Sprachveränderung, ja. Aber man kann die Korrektheit auch überziehen. Pelzigs wirklich konstruktiv gemeinter Vorschlag: "Rüstet alle mal a weng ab in der Diskussion!" Da muss man gar nicht Stoiker sein, wie er selbst. Mehr Freundlichkeit, so sein Rat, täte schon gut.

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In Sachen Geschlechtergerechtigkeit greift Barwasser an diesem Abend zu einem originellen Kniff: Aus dem Off schaltet er Philosophen (nur Männer!) mit Zitaten ins Programm zu, vorgetragen von einer weiblichen Stimme – bis dieser der Gaul durchgeht: "Wo sind denn die Frauen dieser Welt? Was maßt Du Dir eigentlich an, Du eierloser fränkischer Konsonantenschänder?"

Da verschlägt es sogar dem Pelzig bzw. Belzich vorübergehend die Sprache. Und er muss, ganz selbstkritisch, zugeben: "Du hast Recht. Bis auf das 'eierlos'." Konsonantenschänden dagegen ("Siiiiiechmund Freud") ist Kult. Dafür liebt und beklatscht das Publikum auch diesmal den Philosophen des kleinen Mannes – Entschuldigung, der kleinen Frau – und nimmt ein Lächeln ebenso mit auf den Heimweg wie vieles zum Nachdenken.