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Die dreistesten Produktfälschungen des Jahres

Jörg Höltje war entsetzt. Mit dem Slogan „Schönes Design, für jedermann bezahlbar“ hat ein großer Möbelfilialist in Deutschland um Kunden geworben. Zu kaufen gab es dann unter anderem ein Wandregal, das Höltje entworfen hat und für das seine Hamburger Möbelfirma Studio Hausen ein Schutzrecht besitzt.

„Design, Konzept und Proportionen sind plump eins zu eins kopiert“, beschreibt der Unternehmer und Designer. „Wenn man genau hinsieht, erkennt man aber, dass tropisches Mangoholz niederer Qualität verwendet wurde und dazu Billig-Bügel, die sich leicht verziehen. Hergestellt wurde der Nachbau unseres Regalsystems ‚Link‘ wahrscheinlich in Fernost.“

Der Möbelfilialist zeigte sich einsichtig und hat sich entschuldigt, den Verkauf gestoppt, Restbestände vernichtet und die erzielten Umsätze benannt. Damit ist der Fall dann auch erledigt. Aber es dürfte bei Weitem nicht der einzige gewesen sein, glaubt Höltje. „Das ist ein sehr fragwürdiges Geschäftsmodell“, ärgert er sich. „Die Händler machen schnelles Geld zulasten kreativer Designer und ziehen sich dann zurück, wenn sie erwischt werden.“

Dass der Fall nun publik wird, liegt am Schmäh-Preis „Plagiarius“, mit dem seit 1977 Hersteller und Händler für besonders dreiste Nachahmungen und Fälschungen ausgezeichnet werden. Verliehen wird die Negativauszeichnung in Form eines kleinen schwarzen Zwergs mit goldener Nase – als Symbol für die exorbitanten Gewinne, die die Nachahmer auf Kosten kreativer Designer und innovativer Hersteller erwirtschaften.

„Global und digital der Vertrieb, professionell und kriminell die Strukturen dahinter – Produkt- und Markenpiraterie ist ein lukratives Milliardengeschäft. Die Täterstruktur reicht dabei vom ideenarmen Wettbewerber über rücksichtslose Händler bis hin zur organisierten Kriminalität. Darauf wollen wir aufmerksam machen“, sagt Christine Lacroix von der Aktion Plagiarius.

In Summe gibt es diesmal drei Hauptpreise und drei Sonderpreise, verliehen am Rande der Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt/M. Die betroffenen Produkte kommen dabei aus den verschiedensten Bereichen.

Verurteilung bei Plagiat eines On-Board-Diagnose-Systems

Zusätzlich zum Wandregal, sind da zum Beispiel eine SD-Karte für die Navigation von Autos der Marke Volkswagen, Bauteile wie Winkel und Verbinder, Trinkgläser oder auch das Fahrzeug-Diagnose-System „Xentry Diagnosis“ für die sogenannte On-Board-Diagnose bei Autos von Mercedes-Benz.

Für Letzteres gab es bereits eine zivilrechtliche Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart für die Verletzung der Marke Mercedes-Benz. Weiterhin wurde auch ein Strafverfahren gegen den Fälscher OBD Diagnostic Tools aus Fellbach bei Stuttgart eröffnet. „Gefälschte Fahrzeugdiagnosesysteme können nicht nur missbraucht werden, um zum Beispiel Gurtwarner oder die Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung zu deaktivieren, sie verwenden meist auch veraltete Software ohne Aktualisierungen. Reparaturen und Wartungen erfolgen dann nicht auf dem aktuellen Stand der Technik und bieten nicht das höchste Sicherheitsniveau“, heißt es in der Begründung der Jury für die Vergabe des Plagiarius.

Links Original: Mercedes-Benz Fahrzeug-Diagnose „XENTRY Diagnosis“ – Mercedes-Benz Group, Stuttgart. Rechts Fälschung: Vertrieb: OBD Diagnostic Tools, Fellbach

Links Original: Mercedes-Benz Fahrzeug-Diagnose „XENTRY Diagnosis“ – Mercedes-Benz Group, Stuttgart. Rechts Fälschung: Vertrieb: OBD Diagnostic Tools, Fellbach

Quelle: Aktion Plagiarius e.V.; Montage: Infografik WELT

Die Auszeichnung selbst sagt derweil nichts darüber aus, ob das nachgemachte Produkt im juristischen Sinne erlaubt oder rechtswidrig ist. Ziel der Aktion ist vielmehr, die skrupellosen Geschäftsmethoden von Produkt- und Markenpiraten ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, und Industrie, Politik und Verbraucher für die Problematik zu sensibilisieren.

Denn dieses Bewusstsein scheint vielerorts zu fehlen. „Je größer die Nachfrage, desto größer der Erfolg der Fälscher“, sagt Expertin Lacroix. „Käufer haben somit die Macht, aber auch die gesellschaftliche Verantwortung, Fälschern ihre Geschäftsgrundlage zu entziehen.“

Jeder dritte Verbraucher hat schon Plagiate gekauft

Allein diese Macht wird nicht so genutzt, wie es der Fall sein könnte. Im Gegenteil: Mehr als jeder dritte Konsument in Deutschland hat schon einmal bei Plagiaten von Schmuck, Bekleidung oder Technik zugegriffen, zeigt die Studie „Produktpiraterie“ der Beratungsgesellschaft EY, für die gut 1000 Bundesbürger befragt wurden.

Und knapp die Hälfte von ihnen war sich dabei bewusst, eine Fälschung zu erwerben. Männer kaufen dabei deutlich häufiger gefälschte Produkte: 44 Prozent sagen, dass sie schon mindestens einmal eine Kopie gekauft haben – bei den Frauen sind es dagegen nur 32 Prozent.

Das Motiv für den Kauf von Fälschungen ist dabei in erster Linie der niedrige Preis. Den jedenfalls nennen 72 Prozent der Befragten als Grund für den Erwerb. Dazu kommt der einfache Zugang zu den Fälschungen.

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Mit ein paar Klicks lassen sich im Internet alle möglichen Plagiate von überall auf der Welt bestellen. „Wir beobachten einen lang anhaltenden Trend zum Online-Vertrieb von Fälschungen“, sagt Volker Bartels, der Vorsitzende des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM).

Schon 56 Prozent aller Aufgriffe der Zollbehörden erfolgen laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) im Zusammenhang mit dem Online-Versandhandel.

Die Dimensionen des Fälscher-Geschäfts sind dabei gigantisch. Den internationalen Handel mit Plagiaten bezifferten EUIPO und OECD nach den bislang letztverfügbaren Daten auf alarmierende 412 Milliarden Euro im Jahr 2019, was rund 2,5 Prozent des gesamten Welthandels entspricht.

Zahl der Plagiate nimmt dramatisch zu

Europa ist dabei ein wichtiger Absatzmarkt. So wurden in der EU 2021 rund 86 Millionen gefälschte Waren beschlagnahmt, meldet die Aktion Plagiarius, das seien 31 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor.

„Und das sind nur die nachweislichen Aufgriffe, also die Spitze des Eisbergs“, sagt Vereinsvertreterin Lacroix. 2022 dürfte sich die Zahl nochmals erhöhen angesichts von Inflation und Kaufzurückhaltung. Gleiches prognostizieren die Experten für 2023.

Möbel-Designer Höltje jedenfalls merkt im Alltag die Kaufzurückhaltung. „Die Menschen sparen. Gleichzeitig wollen sie trotzdem konsumieren. Also schlägt die Stunde der Fälscher“, ist sich der Hamburger sicher.

Und Chancen gebe es genug. „Bei den gängigen Möbelhändlern sehe ich viele Modelle, die aus Katalogen stammen, die auch wir aus China regelmäßig geschickt bekommen, weil wir dort offenbar auch als Händler wahrgenommen werden. Darin werden Produkte quer durch die komplette Möbelwelt angeboten, die sicherlich eine ähnliche Geschichte haben wie unser Regal.“

Er hofft nun auf eine konsequentere Umsetzung von Prüf- und Sorgfaltspflichten durch die Händler, die sicherstellen müssen, dass im Absatzgebiet geltende Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards eingehalten werden, und dass die Produkte frei von Rechten Dritter in Bezug auf Marken, Design, Patent oder Urheberrechte sind.

Gleichzeitig hofft Höltje auf kritische Kunden, allzu billige Preise zu hinterfragen. „Es ist völlig unverständlich: Praktisch jeder sagt, dass er nachhaltiger leben möchte. Am Ende aber schlägt der Preis alle guten Vorsätze. Das ist ein bisschen traurig.“

Produktfälschungen gehen zulasten innovativer Unternehmen

Und teuer. „Der vermeintlich niedrige Preis, den die Kunden für Plagiate bezahlen, kommt andere teuer zu stehen: die Unternehmen, die ihre Marke und ihre Reputation zum Teil jahrzehntelang aufgebaut haben. Mitarbeitende, die Tag für Tag daran arbeiten, vorhandene Produkte zu verbessern oder neue zu entwickeln. Das kostet neben dem Einsatz und der Energie jedes Einzelnen vor allem auch Geld. Es sind Milliarden, die die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden jedes Jahr durch Produktfälschungen verlieren“, sagt Michael Renz, der Leiter des Bereichs Konsumgüter und Handel bei EY Deutschland.

Der Kampf gegen die Fälscher wird nun immerhin verstärkt. „Zum Glück gibt es Anzeichen, dass das Problem inzwischen ernster genommen wird“, sagt jedenfalls APM-Chef Bartels.

So gehöre Produkt- und Markenpiraterie mittlerweile zu den Prioritäten bei der Bekämpfung der organisierten und schweren Kriminalität im Rahmen der europäischen EMPACT-Plattform (European Multidisciplinary Platform Against Criminal Threats).

Über diese Plattform werden unter anderem Fortbildungen für Strafverfolgungsbehörden sowie länderübergreifende operative Maßnahmen gegen kriminelle Netzwerke und Strukturen organisiert. Zudem verfügt das Deutsche Patent- und Markenamt mittlerweile über erweiterte Befugnisse zur Aufklärung der Verbraucher in diesem Bereich.

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