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Die dunklen Seiten des inszenierten Journalismus

Als gesellschaftlicher Provokateur hat man es geschafft, wenn eine Charakterisierung sich in einem Wort kristallisiert und sowohl von Freunden wie Gegnern verwendet wird. Bei Jan Böhmermann lautet diese Charakterisierung „Clown“. Von denen, die Böhmermann als manipulativen Selbstdarsteller sehen, wird er so genannt. Und von denen, die in Böhmermann die Zukunft der Fernsehunterhaltung sehen, ebenso.

Zur zweiten Gruppe gehört die Jury des Grimme-Preises, einem der wichtigsten Auszeichnungen für Fernsehformate. Sie dekoriert die Show „ZDF Magazin Royale“ mit einem Preis in der Kategorie Unterhaltung und begründet das so: „In einer Welt, in der Politiker:innen wie Clowns agieren, haben echte Clowns keine andere Wahl als selbst politisch zu werden. Genau das tut der politisch gewordene Clown Jan Böhmermann.“

Die Tatsache, dass Böhmermann sich in seiner Show als Grenzgänger zwischen Politik und Unterhaltung, Information und Satire bewegt, dass diese Vermischung letztlich seine Arbeitsgrundlage ist, lässt sich – sorry, Böhmermann-Hater – positiv bewerten. Grenzgängertum erfordert immer Mut, und Mut ist in der deutschen Fernsehlandschaft dringend nötig. Diesen Mut zur unbedingten Eskalation, die Böhmermann anzutreiben scheint, kann man respektieren, selbst wenn man die Figur und ihre Methoden fürchterlich findet.

Was aber umgekehrt genauso dringend erforderlich ist, wäre eine intensive Analyse der so über den grünen Klee gelobten Show. Diese kritische Auseinandersetzung hat – zumindest den offiziellen Begründungen zufolge – in der Jury des Grimme-Preises nicht stattgefunden. Böhmermann greife mit seinem Team sehr unterschiedliche Themen heraus und mache aus ihnen „Unterhaltung mit Informationswert – oder Information mit Unterhaltungswert, ganz wie man will“, heißt es.

Am 17. Februar 2023 beschäftigte sich Böhmermann mit dem CSU-Politiker Christian Schmidt

Am 17. Februar 2023 beschäftigte sich Böhmermann mit dem CSU-Politiker Christian Schmidt

Quelle: Screenshot WELT via ZDF

Was an dieser Stelle schmerzlich fehlt, und sei es nur mit einem Halbsatz, ist eine Problematisierung des neuen (und aus den USA übernommenen) Genres der unterhaltend präsentierten Recherche. Mit der Enthüllung, dass der YouTube-Star Fynn Kliemann in unseriöse Masken-Deals verwickelt war, feierte Böhmermann beispielsweise einen Scoop, die Veröffentlichung der NSU-Akten des hessischen Verfassungsschutzes sorgten ebenfalls für großes Aufsehen.

Gerade wegen des unterhaltenden Charakters der Sendung ist aber die Inszenierung der Recherchen zwingend – und dies führt zu Problemen. So zuletzt bei dem Versuch einer Demontage des CSU-Politikers Christian Schmidt, der seit Mitte 2021 als „Hoher Repräsentant der Staatengemeinschaft“ in Bosnien eingesetzt ist. Krsto Lazarević, Mitarbeiter des grünen Europaabgeordneten Erik Marquardt, hatte via Twitter auf sachliche Fehler hingewiesen und eine zentrale Frage gestellt: „Wie viel darf ein Format wie das ZDF Magazin Royale eigentlich weglassen und verkürzen?“ Michael Martens, der Südosteuropa-Korrespondent der „FAZ“, urteilte: „Recherche mit dem Vorschlaghammer“.

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Ebenso gab es Kritik an der Sendung, die letztlich auch zur Abberufung von Arne Schönbohm als Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wegen angeblicher pro-russischer Verbindungen geführt hat. Der Publizist Sascha Lobo hatte damals für den „Spiegel“ aufgeschrieben, warum der „Inszenierungsfuror“ mit Böhmermann und seiner Crew in diesem Fall durchgegangen ist. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Ein breites Publikum für gesellschaftspolitische Themen zu interessieren, ist eine Leistung, aber auch eine Verantwortung – der Böhmermanns Sendung nicht immer gerecht wird. Journalismus wird generell häufiger als früher zur Inszenierung, und das „ZDF Magazin Royale“ treibt diese Darstellungsform auf die Spitze. Dafür kann die Grimme-Jury einen Preis vergeben – aber sie hätte auch die Chance nutzen sollen, eine Debatte über die dunklen Seiten des Grenzgängertums anzustoßen. Denn unreflektierte Fans hat Jan Böhmermann schon genug.