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Die "Reichsbürger"-Affäre: Wer verriet die Einsatzkräfte?

Eine Razzia bei Extremisten erschüttert die Republik – doch jemand stach brisante Details an die Presse durch. Bundesinnenministerin Faeser und Spitzenbeamte geraten unter Druck.

Als am Mittwochmorgen die Handschellen klickten, hatten Fotografen und Kamerateams bereits Position bezogen. So konnten die Journalisten festhalten, wie schwer bewaffnete und maskierte Polizeibeamte in ganz Deutschland an Türen klopften, Beweismittel aus den durchsuchten Wohnungen und Häusern trugen und Verdächtige abführten.

Die bislang größte Razzia gegen eine "Reichsbürger"-Terrorgruppe in der Geschichte der Bundesrepublik dürfte damit auch einer der am besten dokumentierten Einsätze sein. Nicht nur die Medienpräsenz an den Einsatzorten war außergewöhnlich.

Der mutmaßliche Geheimnisverrat

Mittlerweile ist von möglichem Geheimnisverrat die Rede. Denn klar ist: Sowohl der Zeitpunkt als auch die Orte des Zugriffs sowie vermutlich auch die Zielpersonen waren mehreren Medien bereits Tage im Voraus bekannt. Es gibt wohl kaum eine große Redaktion in der Republik, die nicht zumindest wusste, dass am Mittwochmorgen eine große Razzia gegen die Szene bevorstand. Es werde wohl viele Exklusivmeldungen am morgigen Tag geben, schrieb ein öffentlich-rechtlicher Journalist noch am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter. Er sollte Recht behalten.

Nicht nur waren viele Medien beim Zugriff vor Ort. Eine halbe Stunde, bevor der Generalbundesanwalt seine Pressemitteilung veröffentlichte, erschienen auch schon ausführlich vorbereitete Hintergrundartikel bei "Spiegel", "Zeit", "Süddeutsche Zeitung", "Tagesschau", "Welt" und ein MDR-Beitrag, die tiefe Einblicke in die Ermittlungen gaben. Die verwendeten Details zum Strafverfahren ähnelten sich auffällig. Es entstand der Eindruck: Ein zentraler Akteur hat offenbar die Medien mit Interna versorgt.

Die Gefahr für die Einsatzkräfte

Und die Frage, wer wann von dem Einsatz wusste, provoziert weit schwerwiegendere Fragen: Gefährdete die Öffentlichkeitsarbeit die Ermittlungen? Hätten nicht auch Verdächtige davon Wind bekommen können? Wurde damit sogar das Leben von Einsatzkräften aufs Spiel gesetzt? Wer zog derart viele Medien mit großem zeitlichen Vorlauf ins Vertrauen und setzte die Polizisten damit diesem Risiko aus?

Wie auch immer die Antworten im Detail aussehen, fest steht bereits: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Generalbundesanwalt Peter Frank und der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, werden absehbar unangenehme Fragen zu beantworten haben.

Schließlich gilt die "Reichsbürger"-Szene nicht nur als waffenaffin und gewaltbereit. Im jüngsten Fall gingen die Ermittler sogar von schwer bewaffneten Terroristen aus, die einen Staatsstreich mit Geiselnahmen planten. Die Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner, mahnte deswegen schon kurz nach dem Zugriff: Was wie eine "PR-Aktion" wirke, hätte Verdächtigen die Möglichkeit geben können, kurzerhand zur Waffe zu greifen – oder Beweismittel verschwinden zu lassen.

Die möglichen Konsequenzen

Und sie blieb nicht die einzige Kritikerin. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei teilt die Einschätzung. "Durchstechereien von Details polizeilicher Maßnahmen gefährden konkret den Einsatzerfolg und nicht zuletzt Leib und Leben unserer Kolleginnen und Kollegen", sagte Jochen Kopelke t-online. Es sei nicht zu tolerieren, "wenn sich jemand auf Kosten der Sicherheit der eingesetzten Beamtinnen und Beamten in den Medien inszenieren will". Der Verdacht des Geheimnisverrats stehe im Raum.

Das würde wiederum bedeuten: Verantwortlichen drohen möglicherweise nicht nur politische, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen. Denn ähnliche Fälle haben immer wieder bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt – und zu Ermittlungen und sogar Rücktritten geführt. Eine Auswahl:

Angesichts der schweren Vorwürfe scheint man im Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt überaus bemüht zu sein, die "Reichsbürger"-Affäre im Optimalfall gar nicht erst zu einer werden zu lassen – oder zumindest damit nicht in Verbindung gebracht zu werden. Faeser hatte den Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen unter anderem daran festgemacht, "dass vorher nichts rausgedrungen ist". Angesichts der offenkundigen Lecks in den Behörden zeigt das Innenministerium nun auf den Generalbundesanwalt, der – angenehmer Nebeneffekt für die SPD-Frau Faeser – praktischerweise Justizminister Marco Buschmann (FDP) untersteht.

Die Dementis

"Das Bundesinnenministerium hat im Vorfeld der heutigen Maßnahmen keinerlei Informationen zu den Maßnahmen und dem Ermittlungsverfahren mit Journalistinnen und Journalisten geteilt", sagte eine Sprecherin t-online. "Die Informationshoheit liegt einzig bei der ermittlungsführenden Stelle, dem Generalbundesanwalt." Zu möglicherweise vorangegangen Hintergrundgesprächen mit Journalisten äußerte sie sich nicht.