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Ehemalige Nachbarn erzählen in BILD - Erdogan, dritter Stock rechts

Wenn seine ehemaligen Nachbarn über Recep Tayyip Erdogan sprechen, nennen sie ihn nur selten Präsident. Sie rufen ihn „Tayyip Abi“. Auf Deutsch: Großer Bruder Tayyip.

Hier, im Kasimpasa Bezirk der Millionen-Metropole Istanbul, begann im Februar 1954 in beschaulichen Verhältnissen die Geschichte von Türkei-Präsident Recep Tayyip Erdogan (69).

Diesen Sonntag (28. Mai) tritt er gegen Kemal Kilicdaroglu (74) bei der Stichwahl an. In der ersten Runde stimmten 49,5 Prozent der Türken für ihn – um zu gewinnen brauchte er über 50 Prozent. Bei der kommenden Wahl braucht er nur noch die relative Mehrheit gegenüber seinem Herausforderer. In Kasimpasa scheint sie ihm sicher.

BILD hörte sich um …

Erdogan-Fahnen so weit das Auge reicht: Kasimpasa gilt als „Festung“ der AKP

Foto: CAN OZER

Wer die alte Nachbarschaft des Präsidenten betritt, kann sich kaum vorstellen, dass hier einst der nun mächtigste Mann des Landes gelebt hat. Enge Gassen, dicht an dicht gebaute Mehrfamilienhäuser aus längst vergangenen Zeiten, verschleierte Frauen, handbetriebene Karusselle. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Kinder mit religiöser Kluft und eine voll verschleierte Frau in der alten Nachbarschaft von Erdogan – über der Straße hängt die Werbung einer Wahlkampfveranstaltung

Foto: CAN OZER

Bekannt ist Kasimpasa landesweit vor allem für seine stürmischen Jugendlichen, die sogenannten „Delikanli“ und die „Kabadayi“ (wörtlich: grober Onkel) – eine Art Gangster, ähnlich wie die Mafiosi in Italien.

In Kasimpasa leben vorwiegend Arbeiter: Der Stadtteil wurde von der Fischerei geprägt

Foto: CAN OZER

Und natürlich: Erdogan. Überall Fahnen und Plakate, die ihn zeigen. Das Stadion des lokalen Fußball-Clubs trägt seinen Namen.

Kinder sitzen auf einem handbetriebenen Karussell: Über ihnen hängt eine Erdogan-Fahne

Foto: CAN OZER

Den Großteil der heutigen Bevölkerung bilden Familien von ehemaligen Fischern und Küstenfahrern, die hier sesshaft geworden sind. So auch der Vater Erdogans, der Anfang des 20. Jahrhunderts von der Schwarzmeerküste hierher emigriert ist. Als Kind spielte der kleine Recep Tayyip hier mit zusammengerollten Papierfetzen Fußball, verkaufte Sesamkringel und Wasser, prügelte sich auch mal.

Wer hier aufwächst, kennt die Regeln der Straße und die Nöte der Unterschicht.

Gegenüber von Erdogans altem Haus ist das Büdchen von Semiha Karaoglu Pacal (58). In dem Laden stellt sie neben ihrer Ware auch Erdogans Bilder aus. Der türkische Präsident hat als junger Mann in dem Familiengeschäft eingekauft. Sie erinnert sich: „Tayyip Abi kam und hat sich Zeitungen gekauft. Er ist einer von uns. So wie ich mit jedem reden konnte, konnte ich auch mit ihm reden.“

Die Büdchen-Besitzerin schwärmt vom türkischen Präsidenten, hält sein Bild hoch

Foto: CAN OZER

Was sie an ihm schätzt? „Er hat sich nicht verbogen, hat sich immer wieder hier gezeigt. Durch ihn haben wir das Gefühl, selbst das Land zu lenken.“

Sie berichtet von ihrer Jugend als gläubige Muslimin in einem streng säkularen Land – eine Zeit, in der Religion und Staat streng getrennt waren, in der Frauen mit Kopftuch keine Universitäten besuchen durften. „Heute geht das. So muss eine echte Demokratie sein“, findet sie.

Vor einem AKP-Büro geht eine Frau mit Kopftuch über den Fußweg

Foto: CAN OZER

Ihre Aussagen geben eine Erklärung dafür, was für viele Deutsche unbegreiflich scheint: Noch immer ist Erdogans Partei die stärkste Kraft in der Türkei. Trotz Wirtschaftskrise und Inflation, trotz großer Sorgen um Unfreiheit und den autokratischen Kurs, den das Land in den vergangenen Jahren genommen hat. Erdogan steht für die religiöse Identität der Türken ein. Für viele der ausschlaggebende Faktor bei der Stimmabgabe an der Urne.

Im Fenster ihres Ladens spiegelt sich das Haus Erdogans: Semiha Karaoglu Pacal erinnert sich gerne an ihren alten Nachbarn

Foto: CAN OZER

Karaoglu Pacals Kunde Kasim Er (52) erzählt: „Er kennt uns alle hier. Wenn die Helikopter über uns kreisen, wissen wir Tayyip Abi ist da.“

Kasim Er lebt in derselben Nachbarschaft wie einst Erdogan

Foto: CAN OZER

Nachbarin Yurdagül Namazci (75) erinnert sich an die Kindheit von Erdogan: „Er war ein sehr gläubiger Junge. Machte keine Probleme. Sein Vater war Kapitän, mein Vater war Kapitän. Ich kannte seine Mutter sehr gut. Wir haben eine ähnliche Erziehung bekommen.“ Sie meint, eine streng religiöse Erziehung.

Für sie steht fest: „Bis ich sterbe, werde ich ihn wählen.“

Hinter Yurdagül Namazci weht eine Fahne der Erdogan-Partei „AKP“ (Abkürzung für Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung)

Foto: CAN OZER

So wohl auch für Remzi Taban (46), der hier ein AKP-Büro betreibt. Hier treffen sich Nachbarn zum Frühstück, werden davon überzeugt, warum Erdogan für die Türkei gut ist. Taban zu BILD: „Hier ist die Festung des Präsidenten. Hier findest du an jeder Ecke jemanden, der ihn kennt. Er passt auf unsere Werte auf.“

Menschen sitzen in einem Café: Der Name des Stadtteils geht zurück auf einen osmanischen Pascha, der auf den Namen Kasim hörte

Foto: CAN OZER

Was er damit meint: streng konservative Werte, nach denen beispielsweise nur Mann und Frau eine Ehe eingehen dürfen.

Remzi Taban vor dem AKP-Büro. Am Fenster steht: „Das Jahrhundert der Türkei beginnt“

Foto: CAN OZER

„Mir gefällt Erdogans Autorität und dass er sich nicht verbiegen lässt. Auch wie er uns im Ausland vertritt. Das gibt uns Stolz“, sagt Taban

In Kasimpasa ist man stolz auf den berühmten Emporkömmling

Foto: CAN OZER

Eine, die Erdogans Anfänge kennt, wie niemand sonst, ist Ümmühan Engin (60). Über ihrer 100-Quadratmeter-Wohnung lebte Erdogan bis 1994 mit seiner Frau und seinen vier Kindern. Sie kannten sich, hatten ein enges Verhältnis, wie die gelernte Krankenschwester berichtet.

Ümmühan Engin ist noch immer glühende Anhängerin des türkischen Präsidenten. Auf dem Plakat, das sie von Wahlkampfveranstaltungen mitgebracht hat, steht: „Wohin du gehst, folgen wir dir“

Foto: CAN OZER

„Ich habe auf seine Kinder aufgepasst. Wir gingen ein und aus, waren füreinander da“, erzählt sie und erinnert sich gerne an die Zeit.

In dieser Wohnung lebte der türkische Präsident einst

Foto: CAN OZER

Engin weiter: „Tayyip Abi sprach mit Jugendlichen, die auf die schiefe Bahn geraten waren, versuchte sie vom Alkohol abzuhalten. Er versuchte, sie dazu zu animieren, zu heiraten. Er glaubte, dass die Ehe ihnen guttun wird. Er gab den Bedürftigen aus der Nachbarschaft aus seiner eigenen Tasche – ganz egal, welche politische Meinung sie vertraten.“

Ümmühan Engin (roter Jogginganzug) mit Türkei-Präsident Recep Tayyip Erdogan, seiner Frau und seiner Tochter. Ganz rechts ist die Mutter von Engin

Foto: CAN OZER

Sie schätze an Erdogan, dass er immer „gerade“ geblieben sei. Auf die Kritik gegenüber dem Präsidenten angesprochen, berichtet sie von Verschwörungen des Westens. Ihre bedingungslose Liebe geht sogar so weit, dass sie sagt: „Ich würde für ihn sterben. Möge der liebe Gott meine Lebensdauer kürzen und sie ihm schenken.“

Als sich Erdogan einmal den Fuß verletzte, bekam er in der Wohnung von Engin Erste Hilfe: Voller Stolz zeigt sie auf das Bett, in dem der türkische Präsident gelegen haben soll

Foto: CAN OZER

Wie lange die Präsidentschaft Erdogans noch dauern wird, wird sich am Sonntag zeigen.