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Ein Diabetesmittel geht viral: Die "Wunderspritze" der Stars

Ein Trend aus den USA sorgt dafür, dass ein Diabetesmedikament in Deutschland gerade schwer zu bekommen ist. Es hilft dabei, abzunehmen - und das ziemlich wirksam. Elon Musk und Kim Kardashian haben es vorgemacht. Experten warnen aber vor Nebenwirkungen und explodierenden Kosten.

Frauen filmen sich dabei, wie sie sich ein spezielles Medikament in den Bauch spritzen. "Ich habe jetzt neun Kilo runter. Es gibt konstant ein Kilo pro Woche. Ich finde es super gut", berichtet eine Userin bei Tiktok. Videos wie diese werden derzeit vielfach in den sozialen Medien hochgeladen und angeklickt.

Schuld daran sind auch viele Prominente, die damit angeblich abgenommen haben: Tech-Milliardär Elon Musk oder Influencerin und Unternehmerin Kim Kardashian zum Beispiel. Das Medikament heißt Ozempic, wird aber auch unter dem Namen Wegovy vertrieben, mit dem Wirkstoff Semaglutid, hergestellt von dem dänischen Pharmaunternehmen Novo Nordisk.

Eigentlich ist es gedacht für Diabetiker mit Typ-2-Diabetes, um ihren Blutzuckerspiegel zu senken. In einer Studie wurde aber herausgefunden, dass das Medikament auch dabei hilft, abzunehmen, sagt der Diabetologe Andreas Pfeiffer von der Berliner Charité im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Man hat dann genauer versucht zu verstehen, wie das funktioniert, weil es nur eines von vielen Hormonen ist, die da mitregeln. Und hat dann man aber gesehen, dass es sehr effektiv ist."

Gewichtsreduktion bis zu 15 Kilo

Der Wirkstoff Semaglutid reguliert den Appetit und erhöht das Sättigungsgefühl, "unabhängig davon, ob man dick ist", sagt Pfeiffer. Man hat weniger Hunger. "Für Diabetiker ist es natürlich auch hochinteressant, denn die haben damit eine gute Blutzuckerregulation, wenn sie genug eigenes Insulin haben. Und sie reduzieren eben auch ihr Gewicht." Langzeitverläufe zeigten, dass Patienten mit Diabetes durch das Medikament weniger Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Nierenprobleme haben, so Pfeiffer.

Es ist nicht das erste Abnehm-Medikament. Schon seit einigen Jahren ist der Wirkstoff Liraglutid bei uns auf dem Markt. Das dazugehörige Diabetes-Medikament heißt Victoza, das Mittel Saxenda ist zum Abnehmen zugelassen. Damit können Übergewichtige etwa sechs Kilo abnehmen.

Semaglutid hat aber eine stärkere Wirkung, erklärt der Diabetologe: "Liraglutid ist ein Drittel so wirksam wie Semaglutid." Mit dem Wirkstoff ist es Patienten laut einer Studie möglich, in etwas mehr als einem Jahr etwa 15 Kilo abzunehmen. Elon Musk soll mithilfe des Medikaments Wegovy 13 Kilo abgenommen haben. Zudem muss Semaglutid nur einmal pro Woche gespritzt werden statt wie bei Liraglutid einmal pro Tag.

Abnehmen ohne Qual?

Gedacht ist Semaglutid für übergewichtige und fettleibige Menschen. Das sind in Deutschland immerhin 60 Prozent. In den USA sind es sogar rund 73 Prozent. Wer übergewichtig ist, hat ein größeres Risiko, Krebs zu bekommen, einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall - oder eben Diabetes, sagt Andreas Pfeiffer.

Besonders für Menschen mit Adipositas sei das Präparat sinnvoll, meint der Experte im "Wieder was gelernt"-Podcast. "Leute mit einem Gewicht von 100 Kilogramm oder mehr haben ohne Hilfe eine sehr geringe Chance, dauerhaft abzunehmen. Mit Medikamenten geht es schon sehr gut."

Aber immer häufiger wird Semaglutid als Lifestyle-Medikament eingesetzt, um zwar lästige, aber nicht gesundheitsgefährdende Speckröllchen loszuwerden. "Es besteht die Sorge, dass Anorektiker das auch benutzen könnten. Das ist natürlich nicht indiziert", schätzt Pfeiffer ein. Er selbst habe Patientinnen aus Ländern in Behandlung, in denen ein sehr starker Druck herrscht, schlank zu sein. Semaglutid hemme den Appetit, die Patienten würden gar nicht wahrnehmen, dass sie weniger essen.

Trend sorgt für Lieferengpässe

Von der hohen Nachfrage nach der Abnehmspritze profitiert der Hersteller Novo Nordisk, der seit Jahren deshalb mehr Umsatz macht. Dabei sorgt der Hype dafür, dass das verschreibungspflichtige Medikament - auch für Diabetiker - momentan gar nicht zu haben ist.

Bei Ozempic, dem niedriger dosierten Mittel, gibt es schon länger Lieferprobleme. Es soll laut der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erst ab nächster Woche wieder zu haben sein. Das neuere Mittel Wegovy ist in Deutschland zwar seit einem Jahr auch zugelassen, aber bisher noch gar nicht auf den Markt gekommen.

Grund für die Lieferengpässe sind - wie auch bei anderen Medikamenten - globale Faktoren wie unterbrochene Lieferketten. Für Diabetiker heißt das: abwarten. "Die Apotheken haben es nicht regelhaft verfügbar", erzählt der Experte. "Im Moment geben wir Patienten ein Rezept für drei Monate und die deponieren es dort."

"Die Leute schwappen über"

User auf Tiktok feiern Semaglutid als das "Wundermittel" gegen Übergewicht und zeigen Vorher-Nachher-Bilder als Beweis dafür, wie viele Kilos sie damit abgenommen haben.

Experten empfehlen aber, dass spezialisierte Ärzte das Medikament verschreiben sollen - und nur dann, wenn es medizinisch nötig ist. Auch, weil es Nebenwirkungen hat. "Es hemmt die Magenentleerung. Das heißt, das Essen bleibt lange im Magen liegen. Das kann so ausgeprägt sein, dass die Leute überschwappen. Oft ist auch am Anfang Übelkeit, Völlegefühl und so ein Unwohlsein da", führt Pfeiffer im Podcast aus.

Deshalb müsse man die Dosis sehr langsam steigern, weiß der Diabetologe. Zwar hätten nur die wenigsten Menschen mit Nebenwirkungen zu kämpfen. Aber einige brechen deshalb auch die Therapie ab - bis zu sieben Prozent waren es in den Zulassungsstudien.

Lebenslage Einnahme nötig

Ein weiteres Problem ist: Wer mit Semaglutid nachhaltig abnehmen will, muss es sich wahrscheinlich ein Leben lang spritzen. Die Langzeitnutzung ist aber noch gar nicht erforscht. Und es könnte auch sein, dass die Wirkung mit der Zeit nachlässt, befürchten Experten.

Am Anfang mag die Freude noch groß sein, wenn der Körper schlanker ist. Doch bei den meisten Menschen, die die Spritze dann nicht mehr nehmen, setzt anschließend der Jojo-Effekt ein. "Bei allen bisherigen Adipositasmitteln war es immer so, wenn man die wieder abgesetzt hat, gingen die Leute zum Ausgangsgewicht zurück", so Pfeiffer.

Dieses Phänomen erklärt der Experte mit einer Programmierung des Körpers. "Das höchste Gewicht, was wir hatten, das strebt das Gehirn an. Und wenn man das eben nicht hat, ist man nicht ganz glücklich."

Krankenkassen erstatten Kosten nicht

Wer Semaglutid verschrieben bekommt, muss es selbst bezahlen. Das kann richtig teuer werden. Jede Woche können je nach Dosis schon mal rund 80 bis 200 Euro fällig sein. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten bisher nicht. Denn Adipositas ist in Deutschland formal nicht als Krankheit anerkannt. Die Kassen dürfen die Kosten für Medikamente, die zur "Abmagerung" gedacht sind, nicht zurückzahlen.

Dennoch: Die Forschung zu Adipositas-Medikamenten läuft auf Hochtouren. Als Nächstes wichtig werde unter anderem die Substanz Tirzepatid, stellt Andreas Pfeiffer in Aussicht. Das Medikament Mounjaro des US-Pharmariesen Eli Lilly soll ebenfalls Blutzucker und Gewicht senken, es sei "stärker wirksam als das Semaglutid". In der Europäischen Union ist es bereits zugelassen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Bekommt die Deutsche Bank ihr Geld von Donald Trump zurück? Warum bezahlen manche Berufspiloten Geld für ihren Job? Warum ziehen Piraten von Ost- nach Westafrika? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer. Alle Folgen von "Wieder was gelernt" finden Sie unter anderem in der ntv-App, bei Audio Now, Amazon Music, Apple Podcasts, Google Podcasts und Spotify.