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Ein Jahr Ampel: Die Ziele sind klar, aber das Handwerk ist schlecht

Ein Jahr Ampel Die Ziele sind klar, aber das Handwerk ist schlecht

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In Teilen ist das Geschäftsmodell dieser Republik untergegangen. Hat der Kanzler den Deutschen das in aller Deutlichkeit gesagt?

(Foto: dpa)

Die Ampel liefert vielfach heiße Nadel und zu wenig Erklärung. Teil dieses Problems ist der Kanzler. Zweierlei fehlt: die volle Wahrheit und eine Idee vom Happy End.

Vieles von dem, was die Bundesregierung im ersten Jahr angegangen ist, hat sie sich weder ausgedacht noch ausgesucht. Diese Regierung wird regiert: Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat den Koalitionsvertrag in großen Teilen beiseite gefegt und anderes diktiert. Der Rest war Improvisieren, heiße Nadel und sehr, sehr viel Geld - auf Pump.

Der Bundeskanzler griff nach dem Mantel der Geschichte und lieferte ungewohnt, aber beeindruckend historische Tiefenschärfe und angemessenes Pathos: "Zeitenwende". Olaf Scholz benannte in nur einer großen Rede im Bundestag strategische Ziele und Neuorientierungen: die Abkehr von russischem Öl oder Gas; die große Ertüchtigung der Bundeswehr zur klassischen Landesverteidigung; der drastisch beschleunigte Ausbau von Energie aus Sonne, Wind und Wasser.

Die Bilanz nach einem Jahr: Bei der russischen Energie ist man weit gekommen, aber ansonsten ging es vor allem darum, die finanziellen Kriegsfolgen für Bürger und Firmen zu dämpfen. Drei Hilfspakete hat die Bundesregierung beschlossen, aber sie sind durchzogen von schlechtem Handwerk und zu wenig Erklärung. Beides will Scholz nicht wahrhaben, weshalb auch er persönlich ein Problem dieser Regierung ist.

Quälendes Gezerre

Fast 300 Milliarden Euro an Leistungen und Krediten hat die Regierung zugesagt. Manches davon, wie die Gasumlage, musste zurückgezogen werden, weil es nicht durchdacht war oder nicht realisierbar. Anderes ist bloßer Hoffnungswert, wie die abgeschöpften "Zufallsgewinne" der Stromproduzenten. Und sehr viel von dem Geld fließt wie aus der Gießkanne quer über die Gesellschaft, von Arm bis Reich. Die Regierung ist unfähig, gezielt zu entlasten, also entlastet sie ungezielt - und damit maximal aufwändig. Nebenher leistet sie sich quälend störrisches Gezerre um die Verlängerung der Atomlaufzeiten oder die Reform von Hartz IV.

Muss da so sein?

Viele Bürger scheinen den Überblick verloren zu haben und viel Vertrauen in Kanzler und Regierung auch. Die Regierung entgegnet mit dem Kanzler-Wort vom "Doppelwumms", als gelte immer noch: Viel hilft viel. Die Bürger überzeugt es nicht wirklich. Mit dieser Regierung gebrochen haben die Deutschen mehrheitlich trotzdem bestimmt noch nicht. Was freilich fehlt, ist zweierlei: die volle Wahrheit und eine Idee vom Happy End.

Die positive Erzählung fehlt

Die volle Wahrheit lautet: Diese Krise ist anders als die Krisen der 16 Merkel-Jahre. Dieses Mal gibt es das alte Leben hinterher nicht wieder zurück. Weil Energie nie mehr so billig wird wie vor dem Krieg und weil die weltweite Arbeitsteilung nicht mehr funktioniert, ist das gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschäftsmodell dieser Republik in Teilen untergegangen. Unwiederbringlich. Hat der Kanzler den Deutschen das in aller Deutlichkeit gesagt?

Ebenso fehlt die positive Erzählung, dabei liegt sie auf der Hand: Die wegen drastisch gestiegenen Energiepreise werden Verbraucher und Firmen anhaltend zum massiven Energiesparen erziehen - weit mehr, als die Regierung geplant hatte. Die hohen Preise bringen auch ganz anderen Druck in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wenn also der Krieg etwas Gutes hat, dann das: Im Rückblick wird der Klimaschutz zu den "Kriegsgewinnlern" gehören.

Das könnte den alten Koalitionsvertrag und die neue Lage seit Kriegsbeginn miteinander versöhnen. Der Kanzler müsste diese Chance nur noch zu seiner Sache machen.