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Eine für alle: Danke Alice. Und jetzt endlich Rente?

Ein Dankeschön für ihre Vorreiterrolle als Feministin erwartet Alice Schwarzer nicht: Frauen sollten sich für die erkämpfte Freiheit "einfach freuen". Fest steht, dass wir nicht da wären, wo wir sind, wenn es Alice Schwarzer nicht geben würde. Alles gut finden müssen wir trotzdem nicht.

Sie ist immer noch so irre streitbar. Und sie begleitet viele Generationen bereits ihr ganzes Leben. Als Frau, die die Zeitschrift "Emma" gegründet hat, auf den Covern von "Stern" und "Spiegel", hinter den Kulissen, auf der Straße bei Demos, im Schlabberrock oder auch schick in Strick, als Alles- oder zumindest Viel-Versteherin. Die als lebenslustig und humorvoll geltende Aktivistin polarisiert weiterhin und zieht für ihre Meinungen auch mal bis vors Gericht: Wegen der Darstellung von Frauen "als bloße Sexualobjekte" klagte sie gegen den "Stern", vom Verlag des Fotografen Helmut Newton wird wiederum sie verklagt, weil sie seine Bilder, die sie für sexistisch, rassistisch und faschistisch hält, ohne Genehmigung in der "Emma" abdruckt. Ein raffiniertes Händchen hatte sie schon immer.

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In ihrem Bestseller "Der kleine Unterschied und seine Folgen", analysiert sie die Sexualität als "Angelpunkt der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und der Unterdrückung der Frauen".

(Foto: dpa)

Zur Ikone der deutschen Frauenbewegung wird sie mit dem Beginn einer öffentlichen Diskussion um das im Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs verankerte Abtreibungsverbot auf einem "Stern"-Titel: Am 6. Juni 1971 bekennen 374 Frauen in dem Magazin: "Wir haben abgetrieben!" Schwarzer exportierte die Idee nach französischem Vorbild nach Deutschland. Im Herbst desselben Jahres erscheint dazu Schwarzers erstes Buch "Frauen gegen den § 218". In der Folge veröffentlicht sie als Autorin oder Herausgeberin mehr als 40 Bücher, darunter Bestsellerbiografien über die Publizistin Marion Dönhoff und die Schauspielerin Romy Schneider. Sie übernimmt Gastprofessuren, fordert ein Pornografieverbot, kritisiert das islamische Kopftuch.

2010 und 2011 berichtet Schwarzer für die "Bild"-Zeitung über den Prozess um Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann. Ihr wird eine einseitige Berichterstattung vorgeworfen, der Prozess gleicht an einigen Stellen einer modernen Hexenjagd, nur dass "die Hexe" dieses Mal ein Mann ist. Skandalfrei ist Schwarzer selbst freilich auch nicht, einen Steuerskandal räumt sie mit den Worten "ein echter Fehler" und der Zahlung einer sechsstelligen Summe aus dem Weg. Schwarzer hatte in jungen Jahren eine lange Beziehung mit einem Mann und betont, es ginge ihr um den Menschen, nicht um das Geschlecht. 2018 heiratet sie ihre langjährige Lebensgefährtin.

Ein bisschen Respekt, Kindchen

Bekannt und beliebt ist Alice Schwarzer in den vergangenen Jahren - wenn nicht Jahrzehnten - vor allem als Talkshowgast, denn mit ihr lässt es sich noch immer vortrefflich streiten. Sie war irgendwie immer da. Ist es noch. Und wie! In den letzten Tagen haben sich viele Menschen, vor allem Frauen, zu Alice Schwarzer geäußert. Viele bewundern sie, viele erkennen an, was ihre Lebensleistung ist. Einige wenden sich jedoch ab, andere sagen, sie nervt. Das Wort "nerven" ist dabei sowohl positiv als auch negativ konnotiert. Im positiven Sinne heißt es, dass sie noch immer den Finger in die Wunde legt, dass sie laut sagt, was ihrer Meinung nach nicht geht. Das ist eine grundsätzlich gute Eigenschaft, in Männersprache hieße das, "er" beteiligt sich "aktiv am Diskurs", ist wahlweise "konfrontativ, "herausfordernd" oder "kühn", ein "Denker" oder "Lenker". Eine Frau nervt einfach. Und Alice Schwarzer eben ganz besonders. Gern kommt diese Feststellung mit einem gütigen Lächeln daher, so wie man ein ungezogenes aber geliebtes Kind anschaut oder eine seltene Pflanze.

Fest steht, dass wir nicht da wären, wo wir sind, wenn es Alice Schwarzer nicht gegeben hätte, wenn es sie nicht noch immer geben würde. Und mit "wir" sind nicht nur "wir Frauen" gemeint, sondern eine ganze Gesellschaft, die nun auch aus - zumindest teilweise - emanzipierten Männern besteht. Aber wie weit sind wir wirklich gekommen? In einer Gesellschaft, in der Männer immer noch mehr verdienen als Frauen, in der Frauen immer noch überwiegend "den Haushalt schmeißen", Kinder- und Care-Arbeit leisten - sind wir wirklich dort angekommen, wo wir in den Siebziger Jahren dachten, sein zu können im neuen Jahrtausend? Wohl kaum.

Aber da kann Alice Schwarzer nichts für, sie hat alles gegeben. Manchmal sogar ein bisschen zu viel. Sie ist, wie gesagt, nach wie vor streitbar, nur leider geht das häufig über in eine Art von Rechthaberei, die oft unnötig erscheint und sehr anstrengend ist. Sie lässt andere genauso ungern ausreden wie Männer das üblicherweise tun und beharrt darauf, dass man ihr zuzuhören habe: "Ich bin eine Frau, jetzt will ich auch mal was sagen dürfen" und: "Ich bin schon älter, also bitte Respekt, Kindchen", wenn das Gegenüber nicht in ihrem Sinne tickt. Das ist natürlich eine Schwäche, die viele alte Leute teilen, dieses Rechthaberische, das geht nicht nur Alice Schwarzer so.

Zur Freude der Mafia und der Islamisten

Die Frage ist nur, ob man Alice Schwarzer nun unbedingt zu allen Themen der Zeit heranziehen muss. Muss sie sich dringend zum Angriffskrieg Putins auf die Ukraine äußern? Eigentlich nicht, nicht ihre Kernkompetenz. Iran? Schon eher, geht ja viel um Frauen, aber da gibt es jetzt andere, die mehr und Wichtigeres zu sagen haben, einfach, weil sie sich besser auskennen. Ihre Vorschläge, wie jüngst bei Maybritt Illner in der Sendung, kopftuchtragende Frauen in Deutschland sollten dieses doch aus Solidarität mit den Iranerinnen ablegen, schießen komplett am Ziel vorbei und lösen Kopfschütteln bei allen Involvierten aus. Es ist ja keine "Kopftuch ja oder nein"-Revolution, die da gerade vonstatten geht.

Den Vorwurf, eine Putin-Versteherin zu sein, hat sie von sich gewiesen. Sie verrate nicht die Sache der Ukrainer, würde jedoch versuchen, "die Motive des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu erkennen". Gegen die Sache "Motive des Gegners ergründen" kann man grundsätzlich nichts einwenden, die Geschichte zeigt nun aber, dass bereits Zehntausende Menschen tot sind, auf beiden Seiten, und die Frage nach dem "Warum" nicht mehr vordergründig ist, sondern nur die Frage gilt, wann und wie dieser unnötige Krieg zu beenden sein könnte bei gleichzeitig maximal größtem Verständnis dafür, dass die Menschen in der Ukraine sich natürlich gegen den Aggressor wehren wollen und müssen.

Mit ihrem offenen Brief aus dem Frühjahr 2022, der von ihr und 28 Prominenten an Bundeskanzler Olaf Scholz geschickt wurde und in dem sie appellierten, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, ist sie nicht allein: Fast eine halbe Million Menschen hatten ihn unterzeichnet. "Inzwischen ist die Gefahr eines Atomkriegs noch akuter, und Deutschland wäre als Pufferzone zwischen Russland und den westlichen Atommächten besonders gefährdet. Wir spielen wirklich mit dem Feuer", so Schwarzer. Und Alice wäre nicht Alice, wenn sie nicht auch weiter denken würde: Sie frage sich, was nach dem Krieg mit den Massen von Waffen geschehe, die der Westen in die Ukraine liefere. "Die landen doch auf dem Schwarzmarkt in Europa. Zur Freude der Mafia und der Islamisten."

Also um den Schrott können wir uns später kümmern, denke ich, jetzt erstmal die Menschen in Sicherheit bringen.

Ein Hauch von Paris

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Gummich als Schwarzer, die über sich selbst einmal sagte: "Ab jetzt bin ich die geliebte und gehasste Feministin Nummer eins in Deutschland."

(Foto: dpa)

Es gibt einen sehr sehenswerten Zweiteiler über Alice Schwarzer und ihren Weg vom 21 Jahre alten Au-Pair-Mädchen in Paris bis zur Gründung von "Emma" 1977 in Köln. Gezeigt werden Meilensteine ihres Lebens wie ein TV-Streitgespräch mit Esther Vilar im Jahr 1975, der Autorin des Bestsellers "Der dressierte Mann". Diese Dreiviertelstunde im Nachmittagsprogramm machte Schwarzer auf einen Schlag berühmt. Nina Gummich verleiht der jungen Alice so viel Authentizität, dass sie die Sicht auf Schwarzer durchaus nochmals verändern kann. Gummich selbst sagt: "Als ich historische Aufnahmen gesehen habe, war ich überrascht von der Zartheit, Melancholie und diesem Hauch von Paris, der von ihr ausgeht."

Immer wieder wird Schwarzer der Vorwurf gemacht, autoritär aufzutreten. Gummich hat dazu während des Drehs ihre eigenen Erfahrungen gemacht: "Es gibt eine Szene in Teil 2, da rufe ich Berliner Frauen dazu auf, Texte zu liefern für ein Buch, das ich dem Rowohlt Verlag dann vorstellen will. Die Frauen kommen nach Paris, und wir haben eine gute Zeit - schreiben, diskutieren, rauchen, saufen, knutschen - was man eben so macht, wenn man die Welt gerade neu erfindet."

Am Ende liest Gummich in der Rolle der Alice Schwarzer die Texte der anderen Frauen vor und flippt total aus, weil sie diese Texte so schlecht findet. Die Frauen reagieren darauf verletzt und reisen ab. "Ich selbst habe beim Spielen überhaupt nicht verstanden, wie das gerade passieren konnte. Ich war innerlich total offen dafür, weiter sachlich zu diskutieren und die Texte eventuell umzuschreiben", erzählt Gummich. "Alle Umstehenden am Set haben mir dann gespiegelt, wie autoritär es rüberkam und fanden es spielerisch super." Daraus folgert sie: "Alice kann auf der Sachebene vollkommen abwerten und danach sofort einen Kaffee mit dir trinken."

Body mit Brain und umgekehrt

Das erinnert auch an die legendäre Begegnung von "The Body and the Brain" bei Johannes B. Kerner 2001 in seiner Sendung, denn es war immer besonders schön, wenn Alice Schwarzer auch mal über sich selbst lachen konnte. So wie bei dem berühmten Gespräch mit Verona Pooth, damals noch Feldbusch, in der sie die junge TV-Personality am liebsten in der Luft zerpflückt hätte, ihr das aber nur partiell gelang, denn Verona war bei weitem nicht so doof wie gedacht oder gewünscht.

Vielleicht erklärt Nina Gummich das System Alice Schwarzer abschließend am besten, hat sie für ihre Rolle in letzter Zeit doch viel mit ihr gesprochen und nachgefragt: "Es gibt etwas, was ich so nicht erwartet habe: Alice Schwarzer hat eine sehr kindliche Seite, sie ist spielerisch und mitfühlend, frech und neugierig. Diese Eigenschaften im Alter nicht zu verlieren, halte ich für besonders wertvoll und ungewöhnlich."

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, außer auch von dieser Stelle einen sehr herzlichen Glückwunsch an Alice Schwarzer zu richten, auf dass sie gesund, aktiv und streitbar bleibe. Und wenn uns mal was nicht gefällt von ihr, dann können wir das aushalten, wir sind ja erwachsen. Und feministisch.