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Eine Karriere voller Tragödien: Entfesselter AJ Ginnis tanzt zur Slalom-Sensation

Ramon Zenhäusern gewinnt den letzten Slalom vor der WM. Das alleine wäre schon eine große Geschichte. Doch der Schweizer ist an diesem Samstag nur die zweitgrößte Attraktion, denn die gesamte Ski-Szene staunt über und feiert mit AJ Ginnis, dessen Kampfgeist endlich belohnt wird.

Als der Schweizer Daniel Yule im Ziel war, als ein Plus von 0,04 Sekunden aufleuchtete, da verstand AJ Ginnis sofort, was passiert war. Dem Griechen war die größte Slalom-Sensation dieser Saison, vielleicht sogar der vergangenen Jahre gelungen. Mit der hohen Startnummer 45 hatte er sich im ersten Durchgang auf Rang 23 vorgeschoben, ehe er es im Finale von Chamonix so richtig krachen ließ. Bis auf Rang zwei katapultierte sich der 28-Jährige mit einem spektakulären und mutigen Tanz durch die Stangen noch nach vorne. Geschlagen nur von einem anderen Schweizer, von Ramon Zenhäusern, der längst abgeschrieben war und sich rechtzeitig zur WM in eine fantastische Form gebracht hat. Wenn es bei den am Montag beginnenden Titelkämpfen im zwei Autostunden entfernten Meribel/Courchevel am 19. Februar um Gold geht, ist er ein Kandidat.

Für AJ Ginnis gilt das nicht. Anders als Zenhäusern hat er noch nie einen Weltcup gewonnen, der Schweizer steht nun bei fünf Siegen. Aber was heißt das schon? In keiner anderen Disziplin im Skisport liegen Triumph und Tragödie so nah beieinander. Kurze Radien, enge Torabstände, jeder Fehler kann sofort alle Träume zerstören. Clement Noel erfuhr dies leidvoll. Als Führender fädelte der Franzose in Chamonix ein. Linus Straßer, Deutschlands bester Slalom-Fahrer, leistete sich zuletzt ein Missgeschick in Schladming und schied bereits an der zweiten Stange aus. Dieses Mal wurde er Sechster. Eine gute WM-Probe. "Cooles Rennen, schönes Wetter, Wahnsinnspiste, schöner Skitag", sagte Straßer. Klar, "die zwei Norweger" so knapp vor ihm "ärgern mich ein bisschen", gab er zu, aber: "Ich bin voll dabei und freue mich auf die WM."

Ginnis dreht völlig frei

Was bei der WM passiert, daran wird Ginnis an diesem Samstag nicht denken. Dieser Samstag ist seiner. Und die Emotionen brachen ungehemmt über ihn ein. Als er wusste, dass er auf dem Podium steht, sprang er völlig entfesselt vom "hot seat" des Führenden auf, über eine Begrenzung direkt in die Arme seines jubelnden Teams. Die Belohnung für eine Geschichte voller Rückschläge, voller Kampfgeist, eine Heldengeschichte, wie sie die Amerikaner mögen. Und das Leben von AJ Ginnis ist ganz eng mit den USA verknüpft. In Griechenland geboren und in der Skischule seines Vaters aufgewachsen, stand er mit zwei Jahre zum ersten Mal auf den Brettern. Viel Zeit verbrachte er auch in Österreich, in Kaprun, wo internationale Skiteams auf dem Kitzsteinhorn trainieren.

Um sich bessere Bedingungen für eine professionelle Karriere zu verschaffen, siedelte er als 15-Jähriger in die USA über und heuerte in der renommierten Green Moutain Valley School an. Dort ließen sich auch US-Legenden wie Daron Rahlves und AJ Kitt ausbilden. Ginnis war so talentiert, dass er 2012 in das US-Entwicklungsteam aufgenommen wurde. Ein Kreuzbandriss stoppte seine Entwicklung. Als er dann zurückkehrte, verpasste er die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi. Es folgte ein noch viel schlimmerer Rückschlag: völlig überraschend verstarb sein Vater. Von seinem Weg wollte sich Ginnis aber nicht abbringen lassen.

Knie verletzt, Peking-Traum platzt

Im Dezember 2014 debütierte er im Weltcup, er finanzierte sich über ein Fundraising-Projekt, ein Jahr später holte er Bronze bei den Junioren-Weltmeisterschaften. Im Dezember 2016 sammelte er als 26. erstmals Punkte im Weltcup. Zwei weitere schwere Verletzungen am Kreuzband und der Leisten bremsten ihn wieder aus. Er kämpfte sich durch die zweitklassigen Wettbewerbe in Nordamerika und in Europa. Die Olympischen Spiele 2022 in Peking waren sein Ziel, aber wieder verletzte er sich, wieder ein Knie. Ein nächster Traum war geplatzt.

Das US-Team unterstützte ihn finanziell dann auch nicht mehr. Als das griechische Team anfragte, entschied er sich vor zwei Jahren für den Wechsel - und feiert nun die Sensation. Als Einzelkämpfer, als einer, der niemals aufgab. Und alle feierten mit. Als der enttäuscht abgeschwunge Noel das Ziel erreicht hatte, herzte er Ginnis sofort. "Eine herrliche Geschichte", feierte auch Ex-Slalom-Ass und ARD-Experte Felix Neureuther mit.