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Ende der Ballbesitz-Dominanz?: Woran Spanien und der DFB in Katar gescheitert sind

Ende der Ballbesitz-Dominanz? Woran Spanien und der DFB in Katar gescheitert sind

Bei großen Turnieren ist es mittlerweile fast Tradition: das Rätseln darüber, wie gut die spanische Mannschaft nun eigentlich wirklich ist. Spätestens die Wüsten-WM in Katar zeigt, dass beide Fußballnationen, Deutschland und Spanien, vor ganz ähnlichen Problemen stehen.

Es ist die Hauptkritik an der spanischen Passmaschine: Ballbesitzfußball ist ein Scheinriese. Diese ganzen furchteinflößenden Zahlen, die Luis Enriques Kurzpassmotor bei der Katar-Weltmeisterschaft erzeugt hat, bei näherer Betrachtung sind sie alle egal. Am Ende zählt nur das Ergebnis. Noch nie hatte eine Mannschaft bei einer WM weniger Ballbesitz als Japan im letzten Gruppenspiel. Spanien hat die Partie gegen den Außenseiter aus Asien dominiert, mit seinem handballartigen Spiel in der eigenen Hälfte eingeschnürt. Und am Ende haben doch die Japaner mit 2:1 gewonnen.

Das gleiche Bild zeigte sich im Achtelfinale gegen Marokko. Spanien beherrscht nach Belieben. Wer zufällig nur die zweite Hälfte des Spiels gesehen hat, hätte meinen können, auf dem Feld gibt es nur einen einzigen Sechzehnerraum. Das Resultat ist ähnlich: Marokko hatte kaum nennenswerte Torchancen, ist aber eine Runde weiter - auch weil Spanien (erneut) im Elfmeterschießen versagte. Die spanische AS resümierte es so: "Das Spiel der 1000 Pässe knallt gegen eine Mauer." Was bringt der ganze Ballbesitz, wenn Spanien nicht aufs Tor schießt?

Es ist ein typisches Problem solcher Mannschaften. Ballbesitz um des Ballbesitz-Willens, das bedeutet auch, dass sich die Teams in einen Rausch spielen, in eine Art Selbstherrlichkeit verfallen. Bei den Spaniern war es eine fast schon überdrehte Variante des Tiki-Taka, erstmals haben sie bei einer WM die Schallmauer der 1000 Pässe in 90 Minuten durchbrochen. Doch mittlerweile sind die Gegenmittel geläufig. "Marokko hat überhaupt nichts angeboten - mit allem Respekt. Während des Spiels haben sie nichts gemacht. Sie haben nur auf Konter gewartet. Sie standen nur hinten drin und warteten auf Konter", soll der spanische Abwehrchef Rodri nach dem Spiel moniert haben. Geordnet und leidenschaftlich verteidigen, das kann reichen: Spanien hatte zwar den Ball, aber nicht viel mehr fürs Spiel getan als Marokko.

"Fast schon arrogant"

Beim DFB kennen sie das Problem in abgewandelter Form - zumal sich der ehemalige Bundestrainer Joachim Löw gerne immer wieder von den Spaniern inspirieren ließ. Etwa bei der WM 2018 in Russland: Die Löw-Elf dominierte die Spiele, anders als die Spanier erarbeiteten sie sich sogar Chancen. Zählbares kam nur selten dabei heraus. Deutschland hatte 2018 die schlechteste Chancenverwertung aller Mannschaften. Löw räumte später ein, dass es eine Fehleinschätzung gewesen sei, auf diesen dominanten Stil zu vertrauen. "Es war fast schon arrogant", sagte er. In Katar wieder: Deutschland hat zwar die Spiele gegen Japan und Costa Rica (weitgehend) dominiert und sich einen Chancenwucher erarbeitet, scheiterte am Ende aber daran, Tore zu erzielen.

Damit ist das DFB-Team immerhin schon einen Schritt weiter als Spanien. Denn die Elf von Luis Enrique konnte ihre Dominanz häufig nicht in Torchancen ummünzen. Bono, Marokkos Torwart, war zwar der Held des Achtelfinalspiels, hatte aber während der 120 Minuten nicht wirklich viel zu tun. Spanien schoss nur 13 Mal aufs Tor, laut dem Statistikdienst "Opta Franz" in der ersten Hälfte sogar nur ein einziges Mal - ein spanischer Tiefstwert seit mindestens 1966. Es wirkte lange Zeit so, als suchten sie Alvaro Morata, den einzigen klassischen Mittelstürmer im Kader. Der wurde aber erst in der 63. Minute eingewechselt.

Es ist das Symptom dessen, was solchen Mannschaften häufig Schwierigkeiten bereitet: Was fehlt, ist ein Plan B, eine zweite Idee, eine Alternative, wenn die Ursprungsidee nicht funktioniert. Das bilanzierte auch Ex-DFB-Kapitän Michael Ballack bei "MagentaTV" nach Spaniens Aus gegen Marokko. "Man sieht: Fußball ist nicht nur Ballbesitz", sagte Ballack. "Beim Ballbesitzfußball fehlt, wenn man sich gut darauf einstellt, die andere Lösung. Man kann sich nicht nur auf eine Taktik verlassen." Besonders eine Nationalmannschaft sollte breiter aufgestellt sein, sie solle sich anpassen können, so Ballack.

Beide Mannschaften, die DFB-Elf und Spanien, zählen mit ihrem verfügbaren Spielermaterial zur Weltspitze. Sie hätten die Kader, um sich variabel aufzustellen. Spanien verfügt über das vielleicht sogar technisch beste Mittelfeld des Turniers, mit den beiden Weltklasse-Youngstern Pedri und Gavi sowie dem Barça-Routinier Sergio Busquets. Doch ihr dominanter Spielstil brachte keine der beiden Fußballnationen große Erfolge ein. Die deutschen Ergebnisse sind hinlänglich bekannt, Spanien kam seit dem WM-Titel 2010 bei keinem Turnier mehr über das Achtelfinale hinaus - mit Ausnahme der EM im vergangenen Sommer. Dort erreichte das Team das Halbfinale und scheiterte im Elfmeterschießen am späteren Europameister Italien.

Zwei Verbände, ein Schicksal

In Katar leistete auch das leidenschaftlich verteidigende Marokko seinen Beitrag zum spanischen Ausscheiden. Besonders der zentrale Mittelfeldspieler Sofyan Amrabat räumte vor der eigenen Abwehrkette ab, gewann Zweikämpfe und störte so immer wieder den spanischen Passmotor. Dass diese Maschine für ihre Gegner auch immer wieder gefährlich werden kann, zeigten die Spanier schon bei diesem Turnier. Ihr Auftakt, das 7:0 gegen Costa Rica, war ein Lehrstück dafür, weshalb der Ballbesitzfußball einst gefürchtet war: Der Außenseiter aus Mittelamerika hatte selbst keinen eigenen Torschuss und blieb absolut chancenlos. Auch gegen das defensiv anfällige Deutschland, das sich nicht einigelte, kamen die Spanier zu vielen Chancen.

Und jetzt? Bei der WM zeichnet sich vor Beginn der Viertelfinals ein Trend ab. Erfolgreich sind nicht die Mannschaften, die "schön", dafür aber umso behäbiger spielen. Die besten Beispiele dafür sind der pragmatische niederländische Defensivfußball von Louis von Gaal oder das brasilianische Feuerwerk gegen Südkorea. Schnell und direkt zum Erfolg, statt lange den Ball zu halten. Auch Spanien ist dazu in der Lage, sie zeigten das sogar gegen Marokko. Mit dem 20-jährigen Nico Williams wechselte Trainer Luis Enrique deutlich mehr Tempo auf den Flügeln ins Spiel ein. Als die hochbegabten Spanier gegen Ende auch lange Bälle in ihr Spiel einstreuten, kamen sie plötzlich zu mehr Chancen.

Beide Fußballverbände, in Spanien und Deutschland, stehen nun vor wegweisenden Entscheidungen. Wie wollen sie in Zukunft spielen? Beim DFB steht seit dem Weggang von Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff alles auf dem Prüfstand. In Spanien läuft der Vertrag von Luis Enrique zum Jahresende aus. Er selbst war von dem Marokko-Spiel überzeugt. "Wir haben das Spiel dominiert", sagte er. "Ich bin mehr als zufrieden mit meiner Mannschaft, sie hat meine Theorie, meinen Stil umgesetzt." Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, schaut sich der spanische Verband auch nach Alternativen um. Einer davon soll der vereinslose Marcelino García sein. Er steht für schnellen Umschaltfußball.