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Energieberater Stefan Bolln: Heizungsstreit: „Die meisten Menschen sind völlig verunsichert“

Das Heizungsgesetz der Ampel sorgt seit Wochen für Unruhe in der Politik – und in den betroffenen Haushalten. Ein Energieberater berichtet von seinen Erfahrungen

Stefan Bolln ist Vorsitzender der Interessenvertretung für Energierberater in Deutschland und Schatzmeister der SPD Schleswig-Holstein. Er arbeitet als Energieberater und Schornsteinfeger in Norddeutschland.

Capital: Herr Bolln, die Politik ringt noch um die Ausgestaltung des geplanten Gebäudeenergiegesetzes, viele Hauseigentümer blicken aber schon voller Sorge auf dessen praktische Auswirkungen. Was erleben Sie gerade bei Ihrer Arbeit als Energieberater?
STEFAN BOLLN: Die meisten Menschen sind völlig verunsichert und mit der Situation überfordert. Das ist auch die Schuld der Politik. Das Problem ist, dass es nicht nur um die Kosten geht, die mit einer neuen Heizung verbunden sind, sondern es findet auch ein Systemwechsel statt. Die meisten hatten jahrzehntelang Öl- oder Gasheizungen und können sich gar nicht vorstellen, dass erneuerbare Energien bei ihnen zu Hause funktionieren sollen. Man muss den Bürger und Heizer da mitnehmen.

Wie blicken Sie vor dem Hintergrund auf den Streit in der Ampel-Koalition?
Wir warten alle auf Klarheit. Es stört mich, dass einzelne das Thema emotionalisieren und mit dem Finger auf andere zeigen. Der politische Diskurs ist ja in Ordnung, aber bitte nicht verkürzt, sondern sachlich korrekt. Vielleicht müssen alle mal richtig miteinander reden und sich weniger selbst profilieren.

Wie gehen Sie als Energieberater den Systemwechsel, den Sie angesprochen haben, an?
Ich schaue immer auf das ganze Gebäude, also die Hülle, das Dach, die Heizkörper und die Heizung. Wo wird Energie verbraucht? Wo kann man Energie einsparen? Dann mache ich dazu Berechnungen und Vorschläge für den Wechsel. Am Ende sind die meisten von den guten Lösungsmöglichkeiten überrascht.

Bei den Berechnungen geht es um eine effizientere Nutzung der Energie?
In jedem einzelnen Fall muss man die Heizleistung feststellen. Häuser haben ja ein Heizsystem im Keller, also einen Wärmeerzeuger wie Öl oder Gas, und mehrere Heizkörper, die durch das gesamte Haus gehen. Üblicherweise haben die im Winter eine Systemtemperatur von bis zu 90 Grad im Vorlauf. Wenn wir dann zum Beispiel zu einer Wärmepumpe wechseln, muss die Temperatur auf 55 Grad oder weniger runtergehen. Das bedeutet, dass die Heizkörper deutlich vergrößert werden müssen, um die gleiche Leistung zu erhalten. Das ist etwas, was man schon vorbereiten kann, bevor es tatsächlich zum Wechsel des Wärmeerzeugers kommt. Mein Tipp an alle, die renovieren: Nicht klein, sondern groß ist das Ziel bei den Heizflächen.

Eine Wärmepumpe von Viessmann steht im Garten eines Einfamilienhauses

Die Wärmepumpe steht im Zentrum eines erbittert geführten Streits um die Heizung der Zukunft. Der Podcast „Die Stunde Null“ klärt die wichtigsten Fragen zu dem Heizsystem – am Beispiel eines konkreten Falls

Bei alten Häusern reichen größere Heizkörper aber meistens nicht aus.
Ja, bei Häusern aus den 50er- bis 70er-Jahren muss bis zur obersten Geschossdecke neu gedämmt werden, vielleicht braucht man neue Fenster. All das kann man aber schon mal vorbereiten, wenn die Heizung heute erst zehn oder 15 Jahre alt ist. Man macht eine Gesamtplanung und setzt dann alles Schritt für Schritt innerhalb von 15 Jahren um.

Erzählen Sie mal von einer Lösung im konkreten Fall eines Ein- oder Zweifamilienhauses.
Gerade arbeite ich an einem Reihenendhaus, Baujahr 1962, das seit 20 Jahren mit Gas beheizt wird. Im Wohnzimmer wurden dort schon vor zehn Jahren neue Fenster eingebaut, drei neue kommen noch. Gedämmt werden müssen die Gebäudenordwand, die oberste Geschossdecke und der Kellerabgang. Die Heizkörper wurden jetzt schon vergrößert. Die Kunden bereiten sich auf die Umrüstung vor und in zwei bis vier Jahren können sie die Gasheizung einfach durch eine Wärmepumpe ersetzen. Dann sind wahrscheinlich auch die Preise niedriger, weil die Produktionskapazitäten hochgefahren werden und Handwerker werden wieder besser verfügbar sein.

In welchem Kostenumfang bewegt sich dieser Fall?
Die Dämmung wird der Kunde teilweise selber machen, die Fenster liegen bei 2.500 Euro bis 3.000 Euro. Das teuerste ist der Wärmeerzeuger. Ich denke am Ende wird es um eine Summe von 25.000 Euro gehen, wovon aktuell 40 Prozent bezuschusst werden. Das ist dann unter dem Strich nicht viel mehr als der Einbau einer Gasheizung. Dafür spart der Kunde zukünftig viel Energie und zwar schon bevor die Wärmepumpe da ist.

Einige glauben, dass eine Wärmepumpe zwangsläufig mit einer Fußbodenheizung verbunden ist.
Das sagen die Kritiker immer, aber das ist falsch. Es stimmt, dass wir größere Heizflächen brauchen, aber das kann auch eine Wand- oder Deckenheizung sein. Der Otto-Normalverbraucher hat einen Heizkörper unter dem Fenster. Wenn ich den nur 30 Prozent größer mache, kann ich die Heiztemperatur senken und habe trotzdem die gleiche Leistung. Das ist einfache Physik.

Luft-Wasser-Wärmepumpe des Herstellers Bosch an einer Hauswand

Das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen fördert viele Mythen und falsche Berechnungen über die Kosten von Wärmepumpen zutage. Dabei sind sie sehr wohl für Altbauten und Mehrfamilienhäuser geeignet

Wie viele wollen jetzt, solange es noch geht, lieber nochmal eine neue Gas- oder Ölheizung anschaffen?
Es gibt durchaus Leute, die sich nicht auf ein vermeintliches Abenteuer einlassen wollen. Aber die sollten aufpassen, denn die Heizung, die man austauscht, hätte vielleicht noch fünf Jahre laufen können. Und in fünf Jahren werden wir bei neuen Technologien viel weiter sein als heute. Gleichzeitig ist klar, dass der Gaspreis steigen wird und der Handel mit CO2-Zertifikaten teurer wird.

Ist eine Wärmepumpe denn immer die Lösung?
Nein, die Alternative sind Nah- oder Fernwärmesysteme. Da schaut man dann nicht das einzelne Haus an, sondern einen oder mehrere Straßenzüge. Wenn es aber keine Wärmeleitung gibt, bleibt nur das Individualheizen. Wasserstoff gehört meiner Ansicht nach nicht zum Erwärmen in Häuser, auch wenn es punktuell möglich zu sein scheint. Pellet- und Biomasseanlagen stehen aktuell in der Kritik, ich verstehe aber nicht, warum. Letztlich wird es für jedes Haus eine Lösung geben müssen.

Was verstehen Sie nicht an den der Argumenten der Kritiker von Pellet- und Biomasseanlagen?
Bis vor kurzem wurde die Biomasse- und Pelletheizung mit bis zu 55 Prozent gefördert, jetzt nur noch mit maximal 20 Prozent. Angeblich sind diese Anlagen nicht nachhaltig, aber es kommt aufs Haus an. In manchen Häusern sind Pelletanlagen besser als Wärmepumpen. Das muss sich auch in der Förderung und Diskussion widerspiegeln.

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