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Extremer Wohnungsmarkt - 500 Euro für ein Bett in der WG-Küche

Berlin – Die Hauptstadt ist ein Sehnsuchtsort für junge Menschen weltweit. Aber die Ausgangslage hat sich verändert …

Von London, Mailand über Paris bis nach New York hieß es, in der wilden deutschen Hauptstadt könne man in Vier-Zimmer-Altbauwohnungen für ein paar Hundert Euro wohnen, in Kellern und alten Fabriken gäbe es illegale Technopartys, gerade für notorisch knappe Künstler war das ein Sog.

Aus diesem bunten Mix wurde Berlin zu einer Stadt, die auch weltweit Touristen anzog. Aber der Markt ist brutal und die fetten Jahre für die Immobilienbranche sind gekommen, die halb illegalen Klubs in Ruinen: so gut wie weg.

Ein-Zimmer-Wohnungen für bis zu 1000 Euro, Zwei-Zimmer-Wohnungen für um die 1300 Euro sind keine Seltenheit mehr, Tendenz steigend.

Dabei erhöhten manche Berliner selbst den Druck auf den Markt – etwa durch den Volksentscheid 2014, der eine Teilbebauung des Tempelhofer Felds verbot. Jetzt ist das absurd riesige Feld mit den ehemaligen Flughafen-Rollbahnen auch an sonnigsten Tagen größtenteils leer und vertrocknet. Auch der Mietendeckel führte dazu, dass Projektentwickler und Bauunternehmer sich zunehmend von Berlin abwandten.

Die Statistiken sprechen Bände. Erneut gab es in diesem Jahr weniger Neubauwohnungen in Berlin: 7300 Einheiten zwischen Januar und Juni, das sind 11,4 Prozent weniger als im Vorjahr.

Gleichzeitig sind Baukosten auf 2,9 Milliarden Euro gestiegen, das sind 14,5 Prozent mehr als 2021, also mehr Luxusbauten. Bis 2030 will der Senat 200 000 neue Wohnungen bauen lassen, das wären 20 000 im Jahr – Berlin ist also nicht im Plan.

In der Berliner Torstraße konnte man nach der Wende sehr günstig mieten. Jetzt sind die Preise sehr hoch und Neubauten ausschließlich im Luxussegment – wie der in der ehemaligen Baulücke

Foto: Til Biermann für BILD

Ein Kauf, um dem Mietenwahnsinn zu entkommen, ist für die meisten Menschen auch utopisch. Für eine familientaugliche Wohnung in Berlin, drei oder vier Zimmer, zahlt man derzeit um die 600 000 bis 800 000 Euro.

Um einen Kredit dafür abzuzahlen, die Zinsen steigen derzeit, wäre ein Bruttoverdienst von 10 000 bis 14 000 Euro notwendig – für die meisten Menschen utopisch. Fast nur noch reiche Erben oder sehr erfolgreiche Selbstständige können sich das leisten.

BILD hat junge Berliner gefragt: Wie finden sie diese Entwicklung? Dass sie für eine mittelklassige Drei-Zimmer-Wohnung 1700 Euro warm zahlen müssen, Betrüger mit unsanierten Löchern Geschäfte machen? Wie sehen sie die Zukunft für sich und ihre zukünftigen Familien?

Auch in der Berliner Linienstraße stehen renovierte Altbauten neben hochpreisigen Neubauten

Foto: Til Biermann für BILD

Erzieher Matthias (23), Nasenring und Cappy, verdient 1800 Euro netto im Monat. Er hat Glück. „Meine Mutter hat einen Mietvertrag von 2006, drei Zimmer, 72 Quadratmeter für 500 Euro kalt, 686 Euro warm. Die Genossenschaft hat erlaubt, dass ich den Mietvertrag übernehme, meine Mutter will nach Brandenburg an der Havel ziehen.“

Er erzählt von seinen Freunden, die irgendwie versuchen, sich auf dem Wohnungsmarkt zu behaupten. „Viel passiert unter der Hand und mit Connections. Manche kriegen Wohnungen vorgeschlagen, die noch nicht auf dem Markt sind. Eine Freundin muss jetzt eine suchen, weil ihre Großeltern, bei denen sie wohnte, aufgrund der gestiegenen Gaspreise ihr Haus verkaufen müssen. Sie sucht jetzt in Marzahn und Hellersdorf, da gehen die Mietpreise noch.“

Studentin Isabell (25) sitzt vor der Bibliothek der Humboldt Universität nahe der Friedrichstraße in der Sonne. „Ich glaube, ich bin ein schlechtes Beispiel, weil meine Eltern vor 15 Jahren eine Zwei-Zimmer-Wohnung gekauft haben als Kapitalanlage. Das hat sich gelohnt, der Preis hat sich verdreifacht“, sagt sie.

Dann sagt sie: „Ein Freund war auf Wohnungssuche für vier Monate, dann hat er was gefunden, denn er konnte die Einkommensnachweise der Eltern vorlegen, er zieht mit seiner Freundin zusammen. Wenn man das nicht hat, ist es supertricky.“

Jurastudent Lukas (21), adrette Kleidung, weiß, wo er hinwill: „Ich bin vor einem Jahr nach Berlin gezogen, arbeite nebenbei schon in einer Kanzlei als studentischer Mitarbeiter. Meine Eltern unterstützen mich. Ich habe nicht die Sorge, dass ich aus Berlin wegziehen muss, lebe jetzt mit einem Freund in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Treptow. Das Problem ist aber vor allem, dass man nichts findet am Markt! In den Szenegebieten ist es nicht machbar. Es ist halt auch die Frage, ob jeder ein Recht darauf hat, in Berlin zu wohnen. Für Studenten ist es jedenfalls nicht einfach, man wird in die Arbeit gezwungen neben dem Studium.“

Lukas (21) studiert Jura und sagt, dass in Zukunft vielleicht einfach nicht jeder in Berlin leben kann

Foto: Til Biermann für BILD

Elias (24) stammt aus der Nähe von Hannover, seine Kommilitonin Nora (25) aus Berlin. Beide studieren Medizin.

Elias sagt: „Bei mir zahlen die Eltern, derzeit sind es 850 Euro für ein 18-Quadratmeter-Zimmer, man weiß nicht, was für eine Nachzahlung noch kommt wegen der Gaspreise.“

Nora: „Ich habe vorher eine Ausbildung bei der Feuerwehr gemacht, gearbeitet, etwas gespart, trotzdem würde ich es ohne Hilfe meiner Eltern nicht schaffen. Wir studieren Medizin, das ist sehr intensiv, eigentlich kann man nicht nebenbei arbeiten. Wir haben dann auch das unbezahlte praktische Jahr, das ist ein Vollzeitjob, manche arbeiten trotzdem noch nebenbei, um die Miete zahlen zu können. Nach Brandenburg, aufs Land, würde ich trotzdem niemals ziehen wollen, dann lieber in eine andere Stadt.“

Elias: „Aber ich frage mich dann natürlich, wie ich das finanzieren soll, auch wenn ich fertig studiert habe. Am Anfang verdienen Medizinier auch nicht so viel, wie soll man dann 1300 Euro bis 1400 Euro für Miete aufbringen?“

Nora: „Ich wohne in einer riesigen Altbau-WG, die es seit 40 Jahren gibt, zahle für zwei Zimmer 750 Euro. Die Fenster sind sehr alt, eigentlich würde ich jetzt volle Pulle heizen. Aber ich denke mir: Wenn ich jetzt schon anfange zu heizen, wir haben gerade September, das geht bei den Preisen nicht. Deswegen laufe ich mit vier Pullis durch die Wohnung.“

Elias (24) und Nora (25) studieren Medizin. Beide sagen, ohne Unterstützung ihrer Eltern könnten sie sich das nicht leisten

Foto: Til Biermann für BILD

Leo (33) und Nikita (25) arbeiten als IT-Helfer in einer Firma am Alexanderplatz. Nikita aus Frankreich ist seit sechs Monaten in Berlin, Leo aus Brasilien seit sieben Jahren.

Leo: „Ich habe seit drei Jahren eine Wohnung im Wedding, zahle für zwei Zimmer 860 Euro warm. Am wichtigsten ist den Vermietern, was du verdienst. Wir verdienen zwischen 2300 und 2500 Euro netto, für eine Drei-Zimmer-Wohnung müsste man aber mittlerweile auf 3900 Euro kommen.“

Nikita: „Ich lebe in einer WG, zahle 550 Euro für ein Zimmer. Ich müsste viel Komfort opfern, um mir eine eigene Wohnung zu leisten, und am schwersten ist es, überhaupt etwas zu finden. Ich komme aus Paris, da ist es noch etwas teurer. Der einzige Weg ist eigentlich über Beziehungen, zu Besichtigungen kommen um die 30 Leute!“

Nikita sagt, Berlin habe immer noch eine große Anziehungskraft: „Es ist also schwieriger geworden, aber etwa für Briten ist es in Berlin immer noch sehr günstig. Es kommen immer noch Leute aus teureren Ländern, es ist ein großer Schmelztiegel hier. Sie suchen Freiheit, Partys und die Menschen. Die Leute sprechen hier miteinander, weil fast alle von überall herkommen. In Paris wird man komisch angeschaut, wenn man Fremde anspricht, hier in Berlin ist das normal.“

Leo (33, l.) und Nikita (25) sind als IT-ler angestellt, kommen aus Brasilien und Frankreich. Berlin habe immer noch eine große Anziehung trotz der hohen Mieten, sagt Nikita, „wegen der Freiheit“

Foto: Til Biermann für BILD

Hay (19) stammt aus Tunesien, studierte in Kiew Luftfahrt-Ingenieurwesen, als der Krieg ausbrach. Jetzt ist er in Berlin gelandet. Er lernt nun an einer Schule am Alexanderplatz Deutsch und hofft, in Deutschland weiter studieren zu können. Den ersten Monat in Berlin kam er bei Flüchtlingshelfern unter. Dann musste er eine Bleibe suchen, der Wohnungsmarkt sei ein Horror, sagt er.

Und wer in Berlin wenig Geld und Druck hat, bekommt oft die größten Wucherangebote. „Ein Mann, der war selbst nur Untermieter, wollte 3000 Euro für eine Ein-Zimmer-Wohnung haben“, sagt er. „Jetzt habe ich ein WG-Zimmer, vielleicht fünf Quadratmeter, für 350 Euro, aber da muss ich in einem Monat raus.“

Das Jobcenter zahlt seine Miete, allerdings darf die nicht über 426 Euro kalt liegen. So eine Wohnung zu finden sei sehr schwer geworden.

„Das ist hier in Berlin eigentlich nicht zu schaffen. Ich habe bald einen Termin bei der Ausländerbehörde, da wird sich entscheiden, ob ich bleiben darf. Ich rechne mit einer 40-prozentigen Chance.“

Als wir Ossame (27) aus Ägypten an der Weltzeituhr am Alexanderplatz ansprechen, hat er gerade sein Handy in der Hand und sucht den Weg zu einer großen Berliner Immobilienfirma. Er will sich dort direkt vorstellen.

Ossame (27) aus Ägypten sucht gerade auf dem Handy nach der Adresse eines Berliner Wohnungsunternehmens, als wir ihn ansprechen. Er hofft, direkt bei dem Großvermieter eine Wohnung zu finden

Foto: Til Biermann für BILD

„Ich suche eine verdammte Wohnung, es ist so schwer. Den ersten Monat bin ich per AirBnB untergekommen, jetzt bin ich in einer WG, da habe ich wenigstens eine Anmeldung bekommen. Ich zahle für 20 Quadratmeter 500 Euro, aber in meinem Zimmer ist auch die Küche und meine zwei Mitbewohner kommen immer rein zum Kochen.“

Ossame ist seit fünf Monaten in Berlin, hat einen unbefristeten Festvertrag als Programmierer, verdient gut, könnte bis zu 900 Euro ausgeben.

„Ich habe viel Stress durch diese Suche. Ich war auch einen Monat in einer Horror-WG in Charlottenburg, zahlte 700 Euro für ein Zimmer. Der Hauptmieter brachte jeden Tag fünf Leute zum Partymachen, das war wie ein Klub. Er machte nachts laut Musik an, kam unangekündigt in mein Zimmer, ob ich da war oder nicht. Eigentlich wollte ich deswegen keine WG mehr, aber vielleicht ist das die einzige Möglichkeit für mich.“

Ossame hat eine Festanstellung als Programmierer – und findet trotzdem keine Wohnung

Foto: Til Biermann für BILD

Micha (19) stammt aus Berlin, ist in seinem dritten Koch-Lehrjahr, verdient 900 Euro netto im Monat. „Ganz kurz zusammengefasst ist es mit den Wohnungen in Berlin so: Entweder ist es sehr teuer oder Vitamin B!“

Zurzeit wohnt er noch bei seinen Eltern. „Ich nutz den Luxus!“, sagt er. Dann will er als Untermieter in einen alten Mietvertrag gehen – per „Vitamin B“, Beziehungen also.

Vanessa (28) ist Beamtin und lebt in einer 46-Quadramtmeter-Einzimmerwohnung in Neukölln, zahlt 570 Euro kalt, 800 Euro warm. „Vitamin B“ hat bei ihr nicht funktioniert.

„Meine Miete liegt 78 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete“, sagt sie. „Eine größere Wohnung geht eigentlich nicht, außer wenn man jemanden kennt, von dem man den Mietvertrag übernehmen kann. Aber man zahlt es dann doch, weil man nicht jeden Tag zwei, drei Stunden für den Arbeitsweg opfern will.“

Sie sagt, es würden „willkürliche Preise“ aufgerufen. „Zwei Etagen unter mir zahlen die für dieselbe Wohnung zu zweit schon 1000 Euro! Und das ist nicht mal besonders schön, kein Balkon, keine Badewanne.“

Sie sagt, ein Problem seien die vielen großen Wohnungen, die noch von Rentnern bewohnt werden. „Viele alte, alleinstehende Leute ziehen aus ihren großen Wohnungen nicht aus, weil es für sie teurer wäre, in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Diese Wohnungen fehlen dann den Familien.“

Beamtin Vanessa (28) zahlt für ihre Ein-Zimmer-Wohnung in Neukölln 78 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Die Wohungsunternehmen können machen, was sie wollen, sagt sie

Foto: Til Biermann für BILD

Tatsächlich: Die Durchschnittsrente in Berlin liegt bei 1371 Euro. Einen neuen Mietvertrag könnten sich diese Rentner kaum noch leisten. Speditionskaufmann Thomas (60) etwa hat so einen Mietvertrag von 2005, zahlt in Kreuzberg für 100 Quadratmeter auf drei Zimmern 654 Euro kalt und wird diese Wohnung auch als Rentner nicht mehr verlassen. „Ich kenne viele, die aus der Stadt rausziehen mussten, nach Mahlow, Lichterfelde, Hoppegarten. Es ist wirklich nicht normal, was auf dem Markt abgeht.“

Thomas (60) aus Berlin hat einen alten Mietvertrag von 2005

Foto: Til Biermann für BILD

Und dass Miet- und Kaufpreise sinken, ist unwahrscheinlich.

Ein großer Immobilienunternehmer zu BILD: „Die Mieten werden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten steigen. Die Verkaufspreise für vermietete Wohnungen werden aufgrund der höheren Zinsen zunächst leicht sinken. Selbst genutzte Wohnungen bleiben konstant aufgrund des niedrigen Angebots. Top-Lagen werden weiterhin steigen. Weiterhin klare Kaufempfehlung. Und das gilt auch für andere deutsche Großstädte wie Hamburg und München.“

Immobilien-Experte Dr. Friedrich-Carl Wachs (61) von „Property Partners Berlin GmbH“ sieht besonders die Berliner Politik in der Pflicht: „Wir haben in Berlin eine katastrophale Baupolitik durch den Senat seit Jahren, die dazu geführt hat, dass viel zu wenig neu gebaute Wohnungen auf den Markt kommen und damit die wachsende Stadt kein adäquates Angebot in allen Segmenten hat. Die Zahl der Neuberliner übersteigt das Angebot an freien Wohnungen erheblich, sodass Preise naturgemäß steigen.“