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Faszination Wladimir Putin: Warum sind die Russen von ihm so angetan?

Charismatisch ist er nicht unbedingt – also warum nur sind viele in Russland von ihrem Präsidenten so angetan? Es könnte mit einer alten sowjetischen Fernsehreihe zu tun haben, befürchtet Wladimir Kaminer.

1999 suchte die politische Elite Russlands einen Nachfolger für den alten und kränkelnden Präsidenten. Die Regierenden wussten eines dabei ganz genau: Sollte diesem Mann namens Boris Jelzin im Amt etwas passieren, käme es zu einer freien Wahl. Verunsichert durch die Turbulenzen des wilden Kapitalismus, würde das Volk sodann mit großer Mehrheit höchstwahrscheinlich wieder die Kommunisten wählen.

Und die Kommunisten wiederum könnten als erste Amtshandlung die Umverteilung und Verstaatlichung frisch erworbener Reichtümer einleiten – um ihre "helle kommunistische Zukunft" zu finanzieren. Das mussten die Eliten verhindern, hatten sie doch gerade mit Ach und Krach ihre eigene "helle Gegenwart" aufgebaut: ein gutes Leben für sich selbst, für Freunde und Verwandte. Warum das alles aufgeben?

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Auf den alten Jelzin jedenfalls war kein Verlass mehr. Als Trinker verlor er beim Volk rapide an Glaubwürdigkeit. Die Russen trinken zwar selbst gut und gerne, mögen betrunkene Machthaber aber eher nicht. Die Betrunkenen in Russland verdienen zwar Mitleid und Verständnis, aber keinen Respekt und keine Achtung.

Die Eliten brauchten also einen nüchternen Nachfolger – einen, der den Erwartungen der Bevölkerung entsprechen, aber nicht gegen Eliten aufmucken würde. Sehr diskret und spaßeshalber haben dann zwei führende Meinungsforschungsinstitute eine groß angelegte Volksumfrage gestartet: Anhand von 25 Helden aus bekannten Filmen und Büchern sollten die Russinnen und Russen auswählen, wen sie gerne als Präsidenten ihres Landes gesehen hätten.

Eine "harte Nuss" für Russland?

Die Liste der Kandidaten war recht umfangreich angelegt: Don Quijote, Sherlock Holmes, Hamlet, Baron von Münchhausen, Rambo und sogar die Filmfigur John McClane, verkörpert von Hollywoodstar Bruce Willis. Besagter McClane erschien aber nicht unter diesem Namen auf der Liste, sondern war folgendermaßen umschrieben: "Hauptdarsteller aus der Serie 'Harte Nuss'". Die US-Actionfilmreihe "Die Hard" – in Deutschland als "Stirb langsam" bekannt – lief nämlich in Russland erfolgreich unter dem Titel "Die harte Nuss".

Warum das Ganze? Die Meinungsforscher bezweifelten, dass sich alle russischen Zuschauer den Namen John McClane gemerkt hatten. Doch die Russen wollten weder Sherlock Holmes noch eine "harte Nuss" als Präsidenten: Die meiste Zustimmung erhielt in beiden Meinungsumfragen erstaunlicherweise SS-Standartenführer Max Otto von Stierlitz, cooler Held des beliebten sowjetischen Fernsehmehrteilers "Siebzehn Augenblicke des Frühlings".

In dieser auf einer literarischen Vorlage beruhenden Serie schleust sich der sowjetische Spion Oberst Maxim Issajew, gespielt von Wjatscheslaw Tichonow, als SS-Führer in Führungschargen der Nazis ein, um irgendwelche Geheimnisse des "Dritten Reichs" zu erkunden. Der Film war keiner des Action-Genres, sondern ein sogenanntes "Betriebsdrama".

In den zwölf Teilen von "Siebzehn Augenblicke des Frühlings" wurde so gut wie nicht geschossen, die meiste Zeit saßen die berühmtesten Schauspieler des Landes in Naziuniformen verkleidet in ihren Büros und sortierten Papier oder gingen einander auf ein Zigarettchen besuchen. So saß Stierlitz schon einmal beim Gestapo-Chef Heinrich Müller, die ganze Führungsetage des "Dritten Reichs" glich in der Handlung einer Schlangengrube, jeder intrigierte gegen jeden.

Der wahre Star der Sowjetunion

Die sowjetischen Zuschauer identifizierten in den Intrigen auf dem Bildschirm sofort ihre Arbeitsorte, Betriebe und Büros. Die Interessenskollisionen zwischen den Parteigenossen, den munteren Kollegen der Staatssicherheit und dem bürokratischen Apparat waren wie in jedem großen und kleinen Betrieb der Sowjetunion gut nachvollziehbar. Sogar mein Vater, der als stellvertretender Leiter der Abteilung Planwesen in einem Betrieb der Binnenschifffahrt tätig war, konnte sich mit Stierlitz gut identifizieren.

Die Schilderung der Atmosphäre in der "Planungsabteilung" des "Dritten Reichs" schien geradezu von der Situation in Vaters Betrieb abgeschrieben worden zu sein, nur dass die Darsteller im Film eben Naziuniformen trugen – und einander ab und zu mit "Heil Hitler" grüßten. Genau wie die sowjetischen Bürger waren die Filmdarsteller an die Dichotomie ihres Seins gewöhnt: Sie dachten nicht das, was sie sagten, und taten nicht das, was sie dachten.