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FCB gelingt Befreiungsschlag: Nagelsmann tanzt wilden Cancan auf der Rasierklinge

Mit dem 4:0-Sieg gegen Bayer 04 Leverkusen schießt sich der FC Bayern München aus der Krise. Für Julian Nagelsmann ist dieser Erfolg eine große Erleichterung, aber der Weg bleibt nach wie vor weit. Der Rekordmeister zwischen geforderter Geduld und großem Selbstanspruch.

"Jabadabadu" - keine drei Minuten waren gespielt, da ertönte erstmals die Tormusik in der Allianz Arena. Auf der rechten Seite dribbelte sich der Mann bis zum Strafraum durch, der ohnehin als der große Hoffnungsträger gesehen wurde: Jamal Musiala. Der 19-Jährige bediente Leroy Sané und plötzlich war alles beim FC Bayern München wieder "Jabadabadu".

Auch das 2:0 und das 3:0 ließen nicht lange auf sich warten. Es schien, als wären die Münchner im Flow, als wäre ein Knoten geplatzt. Von "starken Bayern" war in der Halbzeitanalyse von "DAZN" die Rede. Nahezu jeder Schuss des Rekordmeisters landete im Netz der Leverkusener. Im Angriffsdrittel kombinierte das Team von Julian Nagelsmann mitunter schnell, präzise und druckvoll. All das, was gegen den FC Augsburg und in den vorherigen Bundesliga-Partien noch fehlte.

Doch ist der Kantersieg gegen eine sich ebenfalls in der Krise befindende Werkself tatsächlich der Wendepunkt einer Krise? Wie steht es nach dem "Krisico" und vor dem "Klassiker"-Knüller gegen Borussia Dortmund um Julian Nagelsmann? Ein paar Antworten konnte der Freitagabend liefern, aber längst nicht alle.

Nagelsmann reagiert auf die Kritik

Julian Nagelsmann sei jemand, der "Kritik aufsauge" und mit dem man dahingehend gut kommunizieren könne, sagte Oliver Kahn vor dem Spiel bei "DAZN". Zumindest veränderte Nagelsmann gegen Leverkusen einige Details an seiner taktischen Ausrichtung. Am meisten diskutiert wurde die Neunerposition. In den ersten Wochen wurde der Abgang von Robert Lewandowski mit einer flexiblen 4-2-2-2-Formation aufgefangen, in der zwei Spieler sich die Rollen des Polen aufteilten - meist Sadio Mané und Serge Gnabry.

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Ob Oliver Kahn und der Blaskapellen-Dirigent hier über die Torhymne reden, ist leider nicht bekannt.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Anschließend wich der Trainer davon ab und stellte auf ein 4-2-3-1 um, in dem zunächst Mané und anschließend Thomas Müller als Stürmer agierten. Es folgte die Ergebniskrise. Ursache und Wirkung schienen klar. Dabei hatte der Formationswechsel zumindest auf die Durchschnittspositionen der Spieler gar keinen allzu großen Einfluss. Offenbar reichten die leichten Verschiebungen aber aus, um etwas Dynamik aus dem Angriffsspiel zu nehmen. Gegen Leverkusen kehrte Nagelsmann zum 4-2-2-2 zurück.

Seine wichtigste Änderung dürfte aber abseits irgendwelcher Zahlen liegen. Die Bayern agierten insgesamt etwas breiter. Vor allem im letzten Drittel zogen sie das Spielfeld auseinander. Dadurch konnten mehr Verlagerungen gespielt werden, die den tiefen Leverkusener Block in Bedrängnis brachten.

FC Bayern mit mehr Tempo und Risiko

Darüber hinaus dürfte Nagelsmann in den letzten Wochen mit der Intensität unzufrieden gewesen sein. Sowohl mit dem Ball als auch gegen den Ball wirkten die Bayern in einigen Spielphasen lethargisch und passiv. Gegen Leverkusen gab der Serienmeister ein anderes Bild ab: hohes Pressing, teils schnelle Kombinationen, Mut zum Risiko.

Vor allem das Pressing war in den vergangenen Wochen ein Problem. In der ersten Halbzeit gegen den FC Barcelona ließen sich die Bayern mitunter in die eigene Hälfte drücken. Auch in der Bundesliga hatten sie deutlich weniger Ballgewinne im Angriffsdrittel. Gerade unter Hansi Flick war das ein zentrales Element: hoher Druck und so bei Balleroberungen kurze Wege zum Tor.

In dieser Saison gab es solche Pressing- oder Gegenpressingmomente nicht mehr so oft. Im Schnitt setzen die Münchner ihre Gegner in der Bundesliga rund zehnmal weniger unter Druck als noch in den letzten Spielzeiten. Das liegt auch daran, dass die Münchner insgesamt kontrollierter spielen und durchschnittlich fünf Prozent mehr Ballbesitz haben als in der vergangenen Saison. Es liegt aber auch daran, dass sie teilweise das Risiko gescheut haben.

Das 2:0 gegen Leverkusen resultierte mal wieder aus einem schnellen offensiven Umschaltmoment. Bayern schob gut nach vorn und stellte die Optionen der Gäste konsequent zu. Gerade wenn Gegner tief verteidigen, können Pressing und Gegenpressing probate Mittel sein, den Riegel zu knacken.

Was bedeutet dieser Sieg für Nagelsmann?

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Ryan Gravenberch will etwas mehr Spielzeit bekommen.

(Foto: IMAGO/MIS)

Gewissermaßen hat Nagelsmann also bewiesen, dass er lern- und kritikfähig ist. Seine Anpassungen gegen Leverkusen ergeben angesichts der Probleme in den Vorwochen allesamt Sinn.

Wie wichtig dieser Erfolg für ihn persönlich ist, zeigte sich an seiner Gelassenheit nach der Partie. Mit einem leichten Grinsen wies er darauf hin, dass er beim Anblick seiner Spieler nicht das Gefühl habe, er werde nicht respektiert. In den vergangenen Tagen wurde viel über Unzufriedenheit in der Kabine des FC Bayern berichtet.

Offenbar eine rein ergebnisgetriebene Reaktion von außen, glaubt man den Worten des Trainers. Zumindest die Bereitschaft der Spieler, die gegen Leverkusen zum Einsatz kamen, stützt seine These. Es hätte eng werden können für ihn, hätte er dieses Spiel nicht gewonnen. Doch nach dieser Vorstellung dürfte Nagelsmanns Stuhl deutlich weniger wackeln.

Spannend wird dennoch sein, wie er die Spielminuten in den kommenden Wochen verteilt. Der breite Kader erfordert besondere Pflege. Vor der Länderspielpause deutete sich erste Unruhe durch unzufriedene Spieler an. Ryan Gravenberch bekam beispielsweise auch gegen Leverkusen nur wenige Minuten.

Leverkusen als dankbarster Gegner für den FC Bayern

Zur Wahrheit gehört zudem, dass die Werkself ein desolater Gegner war. So deutlich das Ergebnis auch ist, die Tore fielen durch zwei klare Torwartfehler von Lukas Hradecky und abgefälschte Schüsse. Ansonsten gab es im ersten Durchgang nur zehn Abschlüsse. Die durch verschiedene Expected-Goals-Modelle berechnete Torwahrscheinlichkeit: zwischen 0,5 und 0,75. Nicht berauschend.

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Leverkusen-Keeper Hradecky befindet sich in einer konstanten Formkrise.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Im zweiten Durchgang war es dann aufgrund der schnellen Tore ein anderes Spiel. Leverkusen war ganz offenbar der Gegner, den die Bayern und den vor allem Nagelsmann gebraucht haben. Denn zu einer fairen Einordnung gehört genauso, dass die Münchner in den vergangenen Wochen zunehmend gelähmt wirkten.

Gelähmt durch die Kritik und die Unruhe, gelähmt vor allem durch die ausbleibenden Ergebnisse. Mit diesem 4:0 erkaufen sich die Münchner wichtige Zeit für den Lernprozess des Trainers, aber auch der Mannschaft, die das Offensivspiel ohne Lewandowski neu lernen muss. Angesichts dieser Rahmenbedingungen war der Auftritt des Teams ein Schritt in die richtige Richtung.

Wenn jetzt aber jemand sagt, dieses Spiel sei sportlich die Kehrtwende gewesen, dann kann sich das nur auf das Ergebnis beziehen. Auch gegen Leverkusen war zu erkennen, dass es den Bayern im Moment schwerfällt, qualitativ hochwertige Abschlüsse aus guten Positionen zu erspielen.

Team scheint hinter Nagelsmann zu stehen

Aber genau das ist im Fußball letztendlich eben entscheidend: das Ergebnis. Gerade in der zweiten Halbzeit war den Bayern eine Spielfreude anzusehen, die sie zuletzt nicht hatten. Auch die Präzision in den eigenen Aktionen war eine andere. Im Vergleich zu den letzten Spielen suchte das Team von Nagelsmann häufiger die Tiefe, ging eben wieder mehr ins Risiko - vielleicht auch deshalb, weil Leverkusen nie die notwendige Gefahr ausstrahlte, sie gefährden zu können.

Es sollte nicht so getan werden, als hätten die Bayern das Fußballspielen zuletzt verlernt. "Bayern München steckt in einer Krise, in der würde ich gerne stecken mit meiner Mannschaft", sagte Leverkusens Kerem Demirbay nach der 0:4-Niederlage. Die Wucht der Kritik ist in München in solchen Phasen sehr besonders. Der Klub befindet sich derzeit in einer für ihn ungewohnten Lage. Einerseits ist Geduld gefordert. Mit dem Trainer, aber auch mit den Spielern. Die Zäsur nach dem Lewandowski-Wechsel ist wenig überraschend groß. Andererseits fordert der Anspruch an sich selbst Ergebnisse.

Fakt ist dennoch, dass die Bayern gegen Augsburg, Stuttgart, Union und Gladbach genug Chancen hatten, die Spiele für sich zu entscheiden. Sie haben sie lediglich nicht genutzt. Gegen Leverkusen lief von Beginn an alles für den Abomeister. Ob der Knoten dadurch tatsächlich geplatzt ist, wird sich aber erst in den kommenden Partien zeigen. Gegen Viktoria Pilsen, vor allem aber dann in Dortmund. Nagelsmann und das neu sortierte Team werden gewiss noch etwas Zeit benötigen, um die eigenen Vorstellungen konstant auf den Platz bringen zu können.

"Jabdadabadu" ist bei den Bayern auch nach dem 4:0 gegen Leverkusen längst nicht alles. Aber das Team hat der Öffentlichkeit zumindest beweisen können, dass es diesen Weg mit dem Trainer gehen möchte. In der Allianz Arena wird wieder Cancan getanzt. Eine Trainerentlassung dürfte es an der Säbener Straße unter diesen Umständen nicht so schnell geben.