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Gasmarkt-Experte: „Im LNG-Markt drohen Überkapazitäten“

Europa setzt massiv auf Flüssiggas – der Ausbau der Kapazitäten geht so weit, dass sogar Überkapazitäten und anschließender Preisverfall möglich sind. Sebastian Gulbis, Partner beim Beratungsunternehmen Enervis, klärt im Interview auf

In einem für deutsche Verhältnisse Rekordtempo wird Infrastruktur für den Import von Flüssiggas geschaffen. Fehlt das LNG, das wir importieren, nun anderen Ländern?
SEBASTIAN GULBIS: Schon vor der aktuellen Energiekrise gab es einen verschärften Wettbewerb um LNG, weil unter anderem wegen der anziehenden Konjunktur in Asien und einer Dürre in Südamerika ein erhöhter Bedarf an Erdgas bestand. Jetzt will auch noch Europa mehr Flüssiggas importieren, um russische Pipelinegas-Mengen zu ersetzen und baut seine Regasifizierungs-Kapazitäten massiv aus. LNG wird für den Schiffstransport verflüssigt und dann am Zielort wieder regasifiziert, also in Gas umgewandelt. Da Europa bereit ist, hohe Preise für Flüssiggas zu zahlen, verteuert es sich weiter und wird noch knapper. Bestimmte Länder werden deshalb nicht mehr mit den gleichen LNG-Mengen beliefert, ja.

Welche Länder leiden besonders unter unserer sprunghaft gestiegenen Nachfrage?
Im Wesentlichen Entwicklungs- und Schwellenländer. Berichtet wird zum Beispiel von Pakistan, Bangladesch oder Thailand. Wir „klauen“ ihnen das Gas nicht. Aber weil die energiehungrigen Industrieländer bereit sind, mehr zu bezahlen, liefern Unternehmen nicht mehr oder nur reduzierte Mengen in diese Länder. Ein Zubau höherer Verflüssigungs-Kapazitäten könnte den höheren LNG-Bedarf ausgleichen, was einen preisreduzierenden Effekt zur Folge hätte. Es handelt sich also um eine Kombination aus Preis und Menge. Wenn wir in Europa unsere Regasifizierungs-Kapazitäten weiter ausbauen, also noch mehr LNG importieren als bisher, aber das LNG-Angebot nicht steigt, würde das derzeitige Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage weiter auseinanderklaffen. Wir gehen davon aus, dass die Verflüssigungs-Kapazitäten erst 2025/26 aufholen, die Lage kann sich bis dahin also noch weiter verschärfen.

Die LNG-Terminals an der spanischen Küste wecken in Deutschland Begehrlichkeiten. Das südeuropäische Land war laut BP 2020 unter den LNG-Importeuren die Nummer eins auf dem Kontinent. Spanien führte demnach 20,9 Mrd. Kubikmeter Flüssigerdgas ein (4,3 Prozent des Weltmarktes). Allerdings ist der Import seit Jahren rückläufig. 2010 hatte Spanien noch 28,2 Mrd. Kubikmeter eingeführt.

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Auch der Preis? Der Gaspreis erholt sich doch bereits.
Der Preis wird sich nur nachhaltig beruhigen, wenn auf dem Weltmarkt wieder ausreichend LNG verfügbar ist, also Angebot und Nachfrage wieder in Einklang sind. Dafür müssen neben zusätzlichen Verflüssigungsterminals auch Gasfelder entwickelt werden, zum Beispiel die USA das Fracking ausbauen; außerdem muss die weltweite Tankerflotte entsprechend aufgestockt werden. Dann wird sich der Markt wieder einschwingen, auch wenn es für Europa teurer wird als zu Zeiten des Pipeline-Gases vor der aktuellen Krise.

Wovon wird der Preis im Moment bestimmt?
Aktuell wird der Preis in Europa weniger von den LNG-Produktionskosten und dem LNG-Angebot bestimmt als vielmehr von der Erwartung, dass die Industrie weiter ihre Produktion und Haushalte den Verbrauch reduzieren müssen, um Angebot und Nachfrage in Europa in Einklang zu bringen. Wir haben in Deutschland nach wie vor die latente Unsicherheit, ob das Gas reicht. Der Preis steigt so lange, bis Industriekunden nicht mehr bereit sind, ihn zu zahlen und stattdessen die Produktion reduzieren. Dann wird Gas für andere Kunden frei. Deshalb liegt der Preis aktuell deutlich oberhalb der Produktionskosten.

Woher kann Deutschland künftig LNG importieren?
Das entscheiden die Unternehmen, die es importieren. Tendenziell kommen die USA in Frage, aber auch Länder im Mittleren Osten, die entsprechende Kapazitäten aufbauen. Da gibt es allerdings noch viele Fragezeichen: Wollen Länder wie Katar investieren und überhaupt nach Europa liefern, wenn die Volkswirtschaften Europas in etwa 20 Jahren dekarbonisiert sein sollen und kein LNG-Bedarf mehr besteht? Europa muss langfristige LNG-Verträge schließen, eine Abnahme garantieren und sehen, wie sich dies mit unseren Klimazielen vereinbaren lässt.

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Wo kaufen die anderen europäischen Länder ein?
Osteuropa, Deutschland, aber auch Österreich und Italien müssen die ausgefallenen russischen Mengen ersetzen. Früher flossen die großen Gasströme von Osten und Norwegen nach Westen, LNG war vor allem für Spanien, Frankreich und Italien relevant. Jetzt kehren sich die Gasflüsse um von West nach Ost. An der deutschen Grenze zu den Niederlanden, Belgien und Frankreich zum Beispiel werden die Transportkapazitäten in den Leitungen nicht mehr aus Deutschland in Richtung dieser Länder genutzt, sondern das Gas fließt in umgekehrter Richtung, da insbesondere diese Länder derzeit LNG importieren und in weiter östlich gelegene Märkte liefern.

Ziehen Entwicklungs- und Schwellenländer nur am Spotmarkt den Kürzeren oder kündigen Gasproduzenten sogar bestehende Verträge mit den bisherigen Abnehmern?
Große Mengen werden sicherlich im kurzfristigen Markt aus anderen Zielländern abgezogen. Hier ist es vergleichsweise einfach, LNG-Tanker umzuleiten und neue kurzfristige Verträge mit Lieferung in hochpreisige Märkte zu vereinbaren. Langfristige Verträge sind während der Laufzeit üblicherweise schwer aufzulösen, auch wenn es solche Fälle geben mag. Es existieren jedoch in einigen langfristigen Verträgen Bestimmungen, die es erlauben, LNG-Mengen in verschiedene Märkte zu bringen oder andere Möglichkeiten, Mengen in bestimmten Grenzen zu reduzieren oder zu erhöhen. Diese Flexibilität kann sicherlich genutzt werden, um LNG in die Märkte der Industrieländer zu verschiffen.

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Bekommen Schwellen- und Entwicklungsländer wenigstens weiterhin einen Zuschlag bei langfristigen LNG-Lieferverträgen, die zukünftig neu abgeschlossen werden?
Hiervon gehe ich aus. Es gibt gute Gründe für LNG-Exporteure, Schwellenländer als Kunden zu verpflichten. Der zukünftig steigende Gasbedarf und Energiehunger dieser Länder ermöglichen es, einen vergleichsweise sicheren Markt zu erschließen und einen langfristigen Partner für die Abnahme zu gewinnen. Zudem sind die aktuellen Verwerfungen im Markt vor allem in den fehlenden russischen Gasliefermengen begründet. Perspektivisch erholt sich der Markt, wodurch die aktuelle Hochpreisphase nur vergleichsweise geringe Auswirkungen auf Preisvereinbarungen für langfristige Lieferverträge hat.

Kaufen diese Länder ihr Gas künftig auch in Russland ein?
Jein: Das ist möglich, allerdings erst in einigen Jahren. Denn für die Gasfelder, aus denen Russland bisher Europa belieferte, fehlt noch die nötige Infrastruktur. Die Möglichkeiten des LNG-Exports aus diesen Feldern sind eingeschränkt. Russland müsste die Gasfelder erst per Pipeline an die Küste anschließen und dort die Verflüssigungskapazitäten deutlich ausbauen. Die existierende russische Pipeline nach China ist derzeit nicht mit den ursprünglich für die europäische Versorgung zuständigen Feldern verbunden. Eine solche Pipeline erwarten wir erst Ende der 20er Jahre.

Wie lange dauert es, zusätzliche LNG-Produktionskapazitäten aufzubauen?
In der Niedrigpreisphase im ersten Halbjahr 2021 – also vor dem Preisanstieg im zweiten Halbjahr 2021, den der Ukraine-Krieg dann noch massiv verstärke - wurden viele Terminal-Projekte auf Eis gelegt, weil sie sich damals nicht lohnten. Viele dieser Projekte werden nun wieder aufgenommen und könnten 2025/26 fertiggestellt werden. Projekte, mit denen erst jetzt begonnen wird, werden erst in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre fertig sein.

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Wie sinnvoll ist das überhaupt? Laut einer Studie werden zurzeit weltweit LNG-Überkapazitäten aufgebaut.
Aktuell macht der LNG-Handel gut die Hälfte des internationalen, also grenzüberschreitenden Gashandels aus, hat also bereits eine große Bedeutung. In Zukunft könnte ein sogenannter Schweinezyklus entstehen: Wegen entsprechender Marktsignale werden so viele Projekte aufgebaut, dass Überkapazitäten entstehen. Der Preis würde dann stark sinken und zu Konsolidierungen im Markt führen, bis der Markt wieder eingeschwungen ist. Daran anschließen kann sich wieder eine Phase einer kurzzeitigen Unterversorgung mit entsprechenden Preissignalen zum Kapazitätsaufbau. Eine Überkapazität an weltweiten Verflüssigungskapazitäten mag kurzfristig eintreten können, wohl aber nicht auf Dauer. Auch wenn Europa eine Dekarbonisierungs-Strategie verfolgt, wird Erdgas und damit auch LNG eine entscheidende Rolle im weltweiten Energiemarkt einnehmen.

Wäre das Geld nicht besser an anderer Stelle investiert, zum Beispiel in erneuerbaren Energien oder Gebäudedämmung?
Falls wir in Deutschland Überkapazitäten an Regasifizerungskapazitäten aufbauen, liegt das in erster Linie daran, dass wir ohne russisches Gas über die nächsten vier, fünf Winter kommen wollen. In der Zeit könnten wir den Verbrauch aus meiner Sicht nicht so stark senken, für die Gebäudedämmung fehlt es allein schon an Handwerkern. Das ist ein volkswirtschaftliches Problem, das sich nicht so einfach und vor allem schnell lösen lässt. Bei den Erneuerbaren sind Bürokratie und entsprechend lange Planungsphasen ein großes Hemmnis. Auch wenn dies beschleunigt werden soll, reden wir im aktuellen Gasmarkt über eine Größenordnung, die sich nicht so schnell durch Erneuerbare ersetzen lässt. Zudem müssten auch die Infrastruktur des Transports und der Verteilung sowie die Geräte bei Gebäuden und Industriekunden umgebaut werden. Wer mit Gas heizt, dem bringt Strom erst einmal wenig.

Wann wird es so weit sein, dass wir kein Gas mehr zum Heizen brauchen?
Ich gehe davon aus, dass gasförmige Brennstoffe noch sehr lange auch innerhalb des Wärmemarktes nötig sein werden. Für Wärmepumpen ist eine bestimmte Gebäudeinfrastruktur wie ausreichende Dämmung und große Heizflächen nötig, die in Bestandsbauten nicht flächendeckend vorhanden ist. Daher werden gasförmige Brennstoffe auch in Zukunft eine Rolle spielen. Jedoch werden wir perspektivisch nicht mehr mit Erdgas, sondern mit Wasserstoff diese Abnehmer beschicken. Unsere LNG-Regasifizierungs-Terminals sollen perspektivisch auch für den Wasserstoff-Import verwendet werden.

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen. 

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