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Gesundheitsminister im BILD-Interview - Lauterbach warnt vor Kliniksterben

Es ist DAS gesundheitspolitische Thema des Jahres: die Krankenhaus-Reform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (60, SPD). BILD traf ihn zum großen Interview.

BILD: Herr Lauterbach, Deutschland hat 1719 Kliniken. Sie wollen fast 700 davon auf das Level „1i“ herunterstufen – ohne Notaufnahme, nachts nur mit Rufbereitschaft. Wie viele der Voll-Kliniken werden nach Ihrer Krankenhausreform noch richtige Krankenhäuser sein?

Prof. Karl Lauterbach: „Das hängt davon ab, wie wir die Krankenhausreform ausgestalten und wie die Landesregierungen dann damit umgehen. Ich gehe davon aus, dass viele kleine Kliniken durch die Reform gerettet werden. Auf jeden Fall stimmt die von der BILD verbreitete Nachricht nicht, wonach in einigen Bundesländern bis zur Hälfte der Kliniken ‚wegsollen‘. Wir wollen die Kliniken erhalten, die notwendig sind.“

Selbst FDP-Gesundheitsexperte Ullmann, ein Freund der Reform, sagt über die „Level 1i“-Häuser: „Das wären dann keine Kliniken mehr, wie wir sie heute kennen.“ Der Verbands-Chef der Privatkliniken sagt, ihre Dementis seien „falsch und irreführend: Das ist dann kein Krankenhaus mehr.“ Sind die alle zu blöd, um Ihre Reform zu verstehen?

Lauterbach: „Einige private Klinikträger sind gegen die Reform, weil wir das Geschäftsmodell der Kliniken angreifen, mit überflüssigen Eingriffen Gewinne zu machen, oder Eingriffe durchzuführen, die eigentlich in größeren Kliniken gemacht werden müssten. Deshalb arbeiten sie mit Falschmeldungen, der Bürger soll verunsichert werden und die Nachricht bekommen, die Reform von Lauterbach zerstöre die Klinik vor Ort. Das Gegenteil ist der Fall.“

In viele Kliniken wird bald – so plant es Lauterbach – kein Rettungswagen mehr fahren dürfen

Foto: Patrick Pleul/dpa

Aber was sind das denn für Kliniken, die nicht einmal mehr vom Rettungswagen angefahren werden dürfen und bei denen nachts kein Arzt vor Ort ist?

Lauterbach: „Das sind Kliniken, die den Armbruch richten können, aber nicht den akuten Herzinfarkt. Diese Unterscheidung ist auch im Interesse der Patientinnen und Patienten. Oder wollen Sie, wenn Sie einen Schlaganfall haben, in eine Klinik kommen, die nicht optimal dafür ausgerüstet ist? Wir brauchen eine vernünftige Aufgabenverteilung. Die Patienten sollen dort versorgt werden, wo das am besten und sinnvollsten ist. Und das sind bei schwierigen Eingriffen die Häuser, in denen sie eine höhere Überlebenschance haben.“

Lauterbach im Interview mit den BILD-Reportern Peter Tiede (l.) und Hans-Jörg Vehlewald (r.)

Foto: NIELS STARNICK / BILD

Was bedeutet Ihre Reform für größere Eingriffe – auch hier gibt es Kritik von Klinikseite?

Lauterbach: „Mit unserer Reform steigt bei Herzinfarkten die Wahrscheinlichkeit, eine interventionelle Kardiologie zu erreichen und zu überleben. Noch wichtiger: Bei Krebsbehandlungen wird die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich erhöht – die Krebsgesellschaft geht von 10 000 Krebstoten pro Jahr weniger aus, wenn die Behandlung nur noch in spezialisierten Kliniken durchgeführt wird. Wir haben da momentan zum Teil Ergebnisse, die international nicht gut vorzeigbar sind.“

Klingt, als würde in den kleinen Kliniken gepfuscht …

Lauterbach: „Das ist jetzt eine diffamierende Zuspitzung. Die Ärzte dort machen eine fantastische Arbeit, wenn es etwa um die Versorgung älterer Menschen geht, die ein kleineres medizinisches Problem haben – Schwächeanfälle, Knochenbrüche, Dehydrierung, Gallensteine. Die werden dort teilweise sogar besser gemacht.“

Aber?

Lauterbach: „In solche kleinen Kliniken gehen weder der Arzt noch seine Familie, wenn zum Beispiel eine große Krebs-OP ansteht. Sie suchen sich natürlich größere, spezialisierte Häuser. Aber: Ich will keine Zwei-Klassen-Medizin! Denn seien wir ehrlich: Viele der kleinen Kliniken überleben derzeit nur, weil sie diejenigen behandeln, die von den Qualitätsunterschieden nichts wissen.“

Die Dummen gehen also in die kleinen Kliniken, die Schlauen zum Spezialisten?

Lauterbach: „Ein Mensch ohne viel Information oder ohne Beziehungen muss nicht dumm sein. Das System ist dumm. Und die Unterscheidung ‚kleine Klinik – große Klinik‘ bringt uns auch nicht weiter. Fest steht: Wer sich auskennt, meidet schon heute bestimmte Kliniken, sucht und bekommt oft die gute Versorgung. Im Ergebnis der Reform müssen wir dahin kommen, dass die Eingriffe nur noch dort gemacht werden, wo sich die Ärzte auch selbst behandeln lassen würden. Es kann nicht sein, dass große Enddarm-Chirurgie an Kliniken gemacht wird, die das nicht können. Es kann nicht sein, dass Schlaganfälle in Häusern behandelt werden, die keine Stroke-Unit, also Schlaganfall-Abteilung, haben. Es kann nicht sein, dass wir simple Gallenstein-Operationen in teuren Uni-Kliniken machen. Es kann nicht sein, dass wir so viele Kliniken haben – aber am Ende zu wenig Pfleger für alle Häuser. Nichts davon ist richtig.“

Lauterbach in seinem Ministerbüro vor den Porträts seiner Idole – links der Philosoph und Ethiker John Rawls (†81), bei dem Lauterbach an der US-Uni Harvard studierte, rechts sein Doktorvater in Harvard, der Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph Amartya Sen (89). Die Bilder sind Leihgaben einer Hamburger Malerin

Foto: NIELS STARNICK / BILD

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert: Die klassische Notfallversorgung muss wohnortnah für jeden Bürger gesichert bleiben. Können Sie das zusagen?

Lauterbach: „Ja. Wir haben nach unserer ersten Analyse des Ist-Zustands fast 600 Kliniken bundesweit auf Level 2 und darüber. Damit haben wir flächendeckend eine hohe Dichte für die Notfallversorgung. Das ist eine Klinik für 100 000 erwachsene Einwohner, das ist mehr als ausreichend.“

Die Kliniken machen pro Quartal neun Milliarden Euro Verlust, Banken haben Klinken als Risiko-Branche eingestuft, deutschlandweit sterben schon Kliniken …

Lauterbach: „Wir stehen tatsächlich am Beginn eines unkontrollierten Krankenhaus-Sterbens. Ohne die Reform würden wohl 25 Prozent der Krankenhäuser sterben. Das wollen wir verhindern und dafür sorgen, dass die notwendigen Kliniken überleben können – im Einzelfall auch mit einem abgespeckten, aber bedarfsgerechten Leistungsspektrum. Es macht keinen Sinn, immer mehr Geld in ein krankes System und in eine schlechte Struktur zu stecken.“

BILD: Was ist schlecht?

Lauterbach: „Wir haben die höchste Betten-Dichte pro Kopf und mit Österreich die höchsten Kosten für Krankenhäuser in der EU. 3,4 Prozent unserer Wirtschaftsleistung geben wir für ein System aus, das nicht funktioniert. Wir haben sehr hohe Kosten bei zum Teil schlechten oder mittelmäßigen Ergebnissen. Wir haben ja nicht einmal mehr genügend Personal, um die alte ineffiziente Struktur aufrechterhalten zu können. Wir brauchen Klasse statt Masse – und das bundesweit. Die Krankenhäuser müssen auch mehr ambulante Leistungen erbringen dürfen. Es wird viel zu viel stationär behandelt.“

Können Sie versprechen, dass sich die Klinikversorgung was Qualität und Erreichbarkeit angeht für keinen Bürger in Deutschland verschlechtern wird?

Lauterbach: „Ich kann versprechen, dass die Qualität der Versorgung im Durchschnitt deutlich besser wird. Schaffen wir das nicht, dann machen wir als Bundesregierung diese Reform nicht, dann ist sie tot.“