Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Green New Industrial Deal: "USA und China erhöhen den Druck im Kessel enorm"

Seit die USA ihr massives Investitionspaket für die grüne Industrie auf den Weg gebracht haben, droht Deutschland und der EU eine massive Abwanderung von Zukunftstechnologien. Um dem entgegenzuwirken, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Green New Industrial Deal angekündigt - ein milliardenschweres Investitionspaket, um die grüne Industrie in Europa zu halten. Doch das reicht nicht aus, sagt Manfred Fischedick. Der Präsident des Wuppertal Instituts sieht das Problem vielmehr in den "unendlich komplexen Regelungen" in der EU und in Deutschland.

ntv.de: Gestern hat Ursula von der Leyen den Green New Industrial Deal vorgestellt. Ist das der Anfang vom Ende der Abwanderung der grünen Industrie in die USA?

Manfred Fischedick: So weit sind wir noch nicht. Aber es ist erstmal gut, dass die EU mit diesem Green New Industrial Deal reagiert hat. Der Druck war unglaublich groß, sowohl dem US Inflation Reduction Act (IRA) als auch der chinesischen Investitionsoffensive zu begegnen. Das sind verschärfte Wettbewerbsbedingungen. Man tut gut daran, die Zukunftsmärkte nicht einfach an sich vorbeiziehen zu lassen.

Was hat der Inflation Reduction Act mit den Zukunftsmärkten zu tun?

Eigentlich hat der IRA den falschen Namen. Letztlich ist es ein grünes Investitionsprogramm. Es fördert grüne Technologien wie erneuerbare Energien oder Wasserstofftechnologien, die für die Dekarbonisierung notwendig sind. Für die Amerikaner ist das ein Meilenstein - aber auch dringend notwendig, um die Klimaschutzziele auch nur ansatzweise zu erreichen.

Warum stellt der IRA eine so große Gefahr für Europa dar?

Der IRA ist deshalb so erfolgreich, weil er so einfach ist. Es werden umfangreiche Steuererleichterungen und Zuschüsse für grüne Technologien und Produktion gewährt. Das macht die Unternehmen sofort handlungs- und damit marktfähig. In der Europäischen Union, aber auch in Deutschland, gibt dagegen es hochkomplexe Regelungen und sehr lange Planungs- und Genehmigungszeiten.

Es ist also einfach billiger und einfacher, einen Standort für Zukunftstechnologien in den USA zu bauen?

Ja, der pragmatische Ansatz ist bestechend. Als maßgeblicher Anreiz kommt aber der im IRA implementierte Protektionismus hinzu. Um auf dem amerikanischen Markt mit Vorteilen rechnen zu können, müssen die weit überwiegenden Teile des Produkts in den USA hergestellt werden. Das ist ein scharfes Schwert auf einem so großen Markt wie dem US-amerikanischen.

Ist der Green New Industrial Deal die richtige Antwort auf diese Wettbewerbssituation?

Zunächst einmal hat die Ankündigung der europäischen Antwort eine große Symbolik. Es ist jetzt aber wichtig ins wirkliche Handeln zu kommen: die Rahmenbedingungen zu verbessern, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, die Förderprogramme pragmatischer und schneller zu machen und den Mitgliedsländern mehr Freiheit zu geben, zielorientiert Maßnahmen für ihre Industrien umsetzen zu können. Das ist mindestens genauso wichtig, wie jetzt zusätzliche Milliardensummen auszugeben.

Hat US-Präsident Joe Biden mit dem IRA die EU dazu gezwungen, den Ausbau grüner Technologien zu beschleunigen?

Die USA und China erhöhen den Druck im Kessel enorm. Viele Unternehmen liebäugeln damit, aufgrund der attraktiven Rahmenbedingungen neue Produktionsstätten in die USA zu verlagern. Da muss man natürlich reagieren, um sich auf den großen Zukunftsmärkten dieser Welt plötzlich nicht nur noch als zweite oder dritte Wahl wiederzufinden.

Entsteht dadurch nicht auch ein verschwenderischer Subventionswettlauf?

Mit Blick auf den immensen Handlungsdruck für den Klimaschutz ist es erst einmal eine gute Nachricht, dass es solche Programme überhaupt gibt. Wenn sich die USA, China und Europa gegenseitig "aufpushen", fließen insgesamt mehr Milliarden in den notwendigen Transformationsprozess. In diesem Sinne belebt der Wettbewerb die Umsetzungsdynamik und hat Vorbildfunktion.

Aber?

Wenn man koordinierter vorgehen würde, wenn man seine Kräfte bündeln und den Protektionismus abbauen würde, könnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit viel mehr erreichen. Die EU und die USA könnten zum Beispiel gemeinsam in die Entwicklung einer globalen Wasserstoffwirtschaft investieren oder noch stärker bei der Entwicklung neuer Technologien, wie zum Beispiel zur Abtrennung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre, zusammenarbeiten. Aber noch einmal: die Investitionen in den Transformationspfad, die jetzt ausgelöst werden, sind ein Meilenstein, den wir auf jeden Fall brauchen.

Ist eine Umstellung auf grüne oder nachhaltige Produktion nicht ohnehin aus marktwirtschaftlicher Sicht sinnvoll? Warum brauchen wir überhaupt einen Subventionswettlauf?

Die hohen Strompreise helfen, die erneuerbaren Energien im Bereich der Stromerzeugung zu pushen. Sie sind damit noch wirtschaftlicher als sie es sowieso schon waren. Es geht aber nicht nur um Strom, sondern auch um die Wärmewende und den Umbau der Industrieprozesse. Hierfür reicht die Lenkungswirkung von Öl- und Gaspreisen nicht aus, um den großen Schritt in Richtung Transformation zu machen.

Wieso nicht?

Schauen wir uns zum Beispiel die Stahlindustrie an. Wenn die Produktion von Kokskohle auf Wasserstoff umgestellt werden soll, ist das mit erheblichen Mehrkosten verbunden - und das, obwohl Kokskohle teurer geworden ist. Für Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, ist das ohne staatliche Förderung einfach nicht machbar. Irgendwann würde es sich betriebswirtschaftlich lohnen, die Umstellung vorzunehmen. Aber diese Verzögerung können wir uns mit Blick auf die Herausforderungen von Klimaschutz und Versorgungssicherheit nicht leisten. Deshalb ist es genau richtig, jetzt den Hebel mit zielorientierten Unterstützungsmaßnahmen umzulegen.

Wenn ein LNG-Terminal in wenigen Monaten gebaut werden kann, die Errichtung eines Windparks aber sieben Jahre braucht, liegt dann die Priorität nicht an der falschen Stelle?

Die Geschichte mit den LNG-Terminals war natürlich eine ganz besondere Situation: Russland drehte plötzlich den Gashahn zu, der nächste Winter stand vor der Tür, und die Speicher waren nicht ausreichend gefüllt. Diese Lücke musste schnell geschlossen werden. Diese Drucksituation hat dazu geführt, dass man an vielen Stellen ein Auge zudrücken musste. Man darf auch nicht vergessen, dass die Pläne für die LNG-Standorte nicht grundsätzlich neu waren - man hat also nicht bei null angefangen, sondern konnte auf das zurückgreifen, was schon vorher weitgehend durchdacht worden ist.

Windturbinenausbau ist ja auch nicht ganz neu.

Ja, das stimmt. Aber die Prioritäten sind tatsächlich in den letzten Jahren nicht in die richtige Richtung gesetzt worden. Mit der Entscheidung der Bundesregierung aus dem letzten Jahr, erneuerbaren Energien den Status „von überragendem öffentlichen Interesse“ zu sein einräumt, dann sind die Weichen jetzt anders gestellt. Hinzu kommt aber: Wir haben in den letzten Jahren ein Genehmigungssystem aufgebaut - das ist der reine Wahnsinn. Es gibt so viele rechtliche Angriffspunkte und Fallstricke. Ist das eine Verfahren abgeschlossen, kommt das nächste und man fängt bildlich gesprochen wieder bei null an. So kommen schnell sieben Jahre Genehmigungszeit zusammen. Die Bundesregierung arbeitet daran, das zu ändern. Der Green New Industrial Deal kann hier erheblich unterstützen. Die Kapazitäten der Genehmigungsbehörden müssen ausgebaut und die Verfahren vereinfacht werden.

Wie groß ist die Gefahr, dass es zu einem Wettlauf zwischen den 27 Mitgliedsstaaten kommt?

Hier müssen wir sehr genau aufpassen. Wenn die Mitgliedsstaaten die Genehmigungsverfahren, Steuervergünstigungen und regulatorischen Erleichterungen selbst bestimmen können, könnte das für das Binnenverhältnis gefährlich werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht von einer transformativen Angebotspolitik, die er in Deutschland umsetzen will. Ich halte das für konsequent und richtig. Aber nicht alle Mitgliedsstaaten können sich Subventionen im Bereich der erneuerbaren Energien oder für die Einführung von Wasserstoff leisten. Deutschland kann es sich leisten, vielleicht Frankreich. Aber nicht die kleinen Staaten. Hierfür müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Dafür wurde der so genannte Souveränitätsfonds angekündigt.

Das klingt zunächst einmal gut. Aber weder das Ausmaß noch die Details sind bisher bekannt. Die EU Kommission spricht von übrig gebliebenen Gelder aus dem Corona-Aufbaufonds, die Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, wem auch immer, bei der grünen Transformation helfen könnten. Aber um wie viel es geht und nach welchen Regeln sie eingesetzt werden sollen, das ist noch sehr unklar.

Mit Manfred Fischedick sprach Clara Suchy