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Großbaustelle Volkswagen: Teamplayer soll Karren aus Dreck fahren

Die nackten Zahlen stimmen zwar noch. Aber hinter den Kulissen ging es im VW-Konzern heiß her. Aufsichtsrat und Betriebsrat nahmen Vorstandschef Diess aufs Korn. Er ist Geschichte. Mit Porsche-Boss Blume ist der Nachfolger bereits im Amt. Aber die Probleme bleiben. Oder?

Bei Volkswagen fand ein spektakulärer Personalwechsel statt. Vorstandschef Herbert Diess wurde kurzfristig abberufen und durch Porsche-Boss Oliver Blume ersetzt. Wieso das? Blickt der VW-Konzern doch auf ein erfolgreiches Jahr zurück, schließlich hat er mehr als 15 Milliarden Euro Gewinn verbucht und damit fast drei Viertel mehr als vor Jahresfrist. Diess war deshalb optimistisch.

Doch dann nahm das Schicksal seinen Lauf, folgten Pleiten, Pech und Pannen - teils selbst verschuldet, teils durch externe Störfaktoren bedingt, die weder der VW-Vorstand noch Aufsichtsrat noch der Betriebsrat beeinflussen konnten. Zum einen gab es und gibt es nach wie vor die Coronavirus-Pandemie. In China, dem mit Abstand wichtigsten Absatzmarkt von Volkswagen, befindet sich der Konzern im Abwärtstrend. Dort ist der Marktanteil von früher über 20 Prozent auf unter 15 Prozent gefallen. Lockdownbedingt zum Teil, denn VW musste in China längere Zeit drei Werke temporär schließen. Teilweise aber auch wettbewerbsbedingt, weil die chinesische Konkurrenz im Massenmarkt aufholt und das neue Elektroauto ID.3 offensichtlich bei den Kunden nicht so ankam wie erhofft.

Es mangelt aber auch im Herbst noch an einer ausreichenden Versorgung mit Speicher-Chips. Das Problem haben und hatten andere Hersteller zwar auch, aber Premium-Marken wie Audi, Mercedes oder BMW verkaufen ebenfalls weniger Autos, diese aber zu höheren Preisen und Margen. VW war stärker vom Materialmangel betroffen, Produktion fällt aus.

Darüber hinaus hinterlässt der russische Krieg in der Ukraine massive Spuren in der Autoindustrie. Diese werden sich vertiefen, je länger der Krieg andauert. Lange Zeit standen vor allem fehlende Kabelbäume von Leoni im Fokus, wichtige Edelmetalle und Aluminiumteile ebenso.

Hausgemachte Strategiemängel

Nachhaltiger, weil in der Langfristwirkung perfider, sind die hausgemachten Strategiemängel. Konzernchef Diess hat den Autoriesen und seine Töchter ohne Not frühzeitig und einseitig auf Elektromobilität als alleinige Antriebsform der Zukunft festgelegt. Und bereits für 2030 das Verbrenner-Ende im VW-Konzern verkündet. Alternative Antriebsformen wie Wasserstoff und Klima-Sprit (eFuels) wurden kategorisch abgelehnt, Technologieoffenheit in der Antriebsfrage wie von anderen Herstellern waren in Wolfsburg mit Denkverbot belegt. Milliarden Euro hat Diess bis dato in die Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung von Konzern und Modellpalette investiert.

Blume tritt seine Stelle als Lenker des Riesenkonzerns aus Wolfsburg zu einer Zeit an, in der sich der Konzern immer noch tief im Umbruch in Richtung Elektromobilität befindet - und das in einem zunehmend schwieriger werdenden Konjunkturumfeld.

Konkurrenz schläft nicht

Der Absatz von Elektroautos hakelt. Die Transformation verschlingt hohe Milliardenbeträge. Im Juli hat Konzernchef Diess noch in Salzgitter den Grundstein für den Bau der ersten VW-eigenen Batteriezellfabrik gelegt. Die "SalzGiga" soll Blaupause für fünf weitere Werke in Europa sein. Dennoch ist völlig offen, ob VW damit seine einstmals dominierende Stellung in der alten Verbrennerwelt auch als E-Auto-Hersteller verteidigen kann. Bis Herbst 2022 liegt der von VW-Chef Diess so sehr bewunderte Hersteller Elon Musk mit Tesla deutlich vorn. Im Sommer war das hochpreisige Tesla Model Y bei den Batterie-Elektrofahrzeugen (BEV) das zulassungsstärkste Modell, bei den Plug-in-Hybriden war es der Ford Kuga und bei Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb der Hyundai Nexo. Von Volkswagen keine Spur in den Spitzenpositionen.

Hinzu kam als Belastung für Diess eine heftige öffentliche Auseinandersetzung mit der neuen Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo. Blume hingegen wurde von Cavallo bei seiner Bestallung öffentlich freundlich begrüßt.

Stichwort: Lösungskompetenz

Aber auch wenn die interne "Frontlinie" unbelastet ist, kann sich der neue VW-Konzernchef Blume über einen Mangel an Problem-Baustellen nicht beklagen. Der Wechsel an der Spitze kam nicht unverhofft, sondern kündigte sich schon länger an. Branchen-Insidern fiel auf, dass man Konzernchef Diess die Lösungskompetenz all dieser Probleme immer weniger zutraute. Sein Aufgabengebiet wurde zunehmend "ent-operationalisiert". Zuletzt sollte er sich vor allem um die neu gegründete konzerneigene Software-Entwicklungs-Sparte CARIAD kümmern - offensichtlich mit wenig Erfolg. Notwendige Zulieferungen für das avisierte Porsche E-Autos Macan verzögerten dessen Anlauf immer wieder empfindlich. Diess lehnte jede Verantwortung ab, delegierte sie als selbst verschuldet an Porsche zurück. Aus Zuffenhausen drohte Zoffenhausen zu werden, der Konzern-Cashcow Porsche, so die Furcht, drohte "die "Gewinn-Milch" auszugehen.

Die Familienstämme Piëch und Porsche schritten ein: Vorstandschef Diess wurde über Nacht "einvernehmlich" durch Porsche Boss Blume ersetzt. Der aber in Personalunion seinen alten Job beibehielt, da der Börsengang von Porsche, von dem Einnahmen für den VW-Konzern von 85 Milliarden Euro winkten, in keinem Fall gefährdet werden sollte.

Teamplayer und "coole Socke" Blume

Für Blume kam diese Berufung nicht unverhofft, aber er hat sie als loyaler Mitarbeiter von Diess nie aktiv betrieben. Blume ist auch nach eigener Einschätzung ein Teamplayer, nach Einschätzung von Konzern-Insidern eine "coole Socke", wahnsinnig strukturiert. Ein Selbstdarsteller ist er nicht. Blume ist konsensorientiert: Zur Not wird so lange diskutiert und abgewogen, bis es eine Entscheidung gibt, die von jedermann mitgetragen wird. Das mag ermüden sein, ist in jedem Fall aber zielführender als Dissens, weil jeder sich mit der Lösung identifizieren kann, statt später bei der Ausführung versteckte Fouls zu begehen.

Oliver Ingo Blume wurde 1968 in Braunschweig geboren, er kehrt also als neuer Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG in heimatliche Gefilde zurück. Wie beim Porsche-Geschäftsmodell ging es auch bei Blume im bisherigen Leben immer sehr schnell - und vor allem geräuschlos, anders als die Autos es sind. Nach Maschinenbaustudium an der Technischen Universität in Braunschweig wurde er mit 28 Jahren Planer für Karosseriebau und die Lackiererei bei Audi, 1999 übernahm er dort die Verantwortung für den Karosseriebau des Audi A3, zwei Jahre später stieg er zum Vorstandsassistenten Produktion bei Audi auf.

Er promovierte im Bereich Fahrzeugtechnik an der Tongji-Universität Shanghai, ist also exzellenter China-Kenner. Danach war er ab 2003 fünf Jahre lang in der Produktionsplanung von Seat und weitere fünf Jahre bei der Marke Volkswagen tätig.

2013 wurde Blume in den Vorstand der Volkswagen-Konzerntochter Porsche AG als Leiter des Bereiches Produktion und Logistik, nur zwei Jahre später, ab dem 1. Oktober 2015, zum Vorsitzenden des Vorstandes berufen. Und nun, nach dem "freiwilligen" Rücktritt von Diess, übernahm Blume zum 1. September auch dessen Position als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG.

Noch am selben Tag kündigte er eine Verkleinerung des durch Diess aufgeblähten Vorstands von 12 auf 9 Mitglieder an. Bereits zwei Tage später setze er die Verkleinerung als erste Amtshandlung um. Schneller geht's nicht. Damit hat Blume eine erste Duftmarke gesetzt. Als Nächstes baute er den Aufsichtsrat von Problemtochter CARIAD um, ersetzte Kaufleute durch IT-Techniker.

Blume will den Kurs "weg vom Verbrenner, hin zur E-Mobilität" fortsetzen. Keine Revolution, wohl aber eine Modifikation, denn er will Technologie- Offenheit und sieht auch in synthetischen Treibstoffen eine klimafreundliche Mobilitätslösung - in Zukunft nicht nur für Porsche. Zur Produktion von eFuels baut er zusammen etwa mit Siemens dazu derzeit eine größere Anlage. Es gibt bei VW für Baumeister Oliver Blume viel zu tun! Aber die ersten Grundsteine hat er erfolgreich gesetzt.