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Hackfleisch für Hitler: „Die Täuschung“ mit Colin Firth im Kino

Ideen navigieren durch die Welt, und gute Ideen lassen sich kaum aufhalten. Weil sie ansteckend sind, anregend und unsichtbar. In einen Roman oder einen Film gepackt, befeuern sie Vorstellungskraft und Neugier. Wir wollen wissen, wie es weitergeht. Dass Erzählungen die Macht haben, auch den Lauf der Geschichte zu verändern, das lässt sich an der abenteuerlichen Operation Mincemeat aufs Neue studieren. Sie gilt als eine der folgenreichsten Täuschungsaktionen in der modernen Militärstrategie. Ins Werk gesetzt wurde sie vom englischen Geheimdienst während des Zweiten Weltkrieges – mithilfe eine Mannes, der nie gelebt hat.

Sandra Kegel

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton.

Die Verfilmung dieser mitunter heiter erzählten Episode in einem von Untergangsvisionen traumatisierten London des Jahres 1943, die unter dem Titel „Die Täuschung“ jetzt, da in Europa wieder Kriegt herrscht, in den deutschen Kinos anläuft, ist neben der historisch faktentreuen Rekonstruktion, die ohne visuelle Überraschungen auskommt, eine Hommage an die Macht der Phantasie. „Jede Geschichte hat zwei Seiten, die, die wir sehen, und die, die verborgen bleibt“, sagt der Erzähler im Film. Und dieser junge Mann im Dämmerlicht, gespielt von Johnny Flynn, taucht zwar nur in einer Nebenrolle auf, diese aber trägt einen großen Namen: Ian Fleming.

Der Plan war so genial wie illegal

Der James-Bond-Erfinder war, ehe er seine 007-Fiktionen verfasste, bekanntlich Offizier im Marinegeheimdienst. Und in die Operation Mincemeat war er unmittelbar involviert. Federführend aber war er nicht. Das waren zwei in England seither legendäre Exzentriker, Charles Cholmondeley und Ewen Montagu, die keine Skrupel hatten, sich für ihre Erzählung, die nur an einen einzigen Leser gerichtet war, Adolf Hitler, der Leiche eines Obdachlosen zu bemächtigen, um ihm eine neue Identität zu verschaffen.

Ihr Plan war so genial wie illegal, weshalb Montagu noch in seinem Buch 1954 über die Operation Mincemeat den Namen des Toten geheim hielt, und auch die frühe Verfilmung von 1956 führte aus Vorsicht noch absichtlich in die Irre. Ein ums andere Mal folgt die Kamera von Sebastian Blenkov den durch und durch britischen Protagonisten Montagu und Cholmondeley in den Londoner Keller, in dem die Agenten ihr Verwirrstück in Szene setzen, das nicht weniger bezwecken soll, als Hitlers Macht in Europa zu brechen.

Poetische Experimente mit der Leiche

Colin Firth, dessen zeitlos anmutende Gesichtszüge ihn seit je für historische Rollen zu prädestinieren scheinen, spielt Montagu als Mann mit zwei Gesichtern: pflichtbewusst im Dienst des Vaterlands, dabei im Innern getrieben von Sehnsucht und Schwermut und durch eine kriselnde Ehe auch noch anfällig für amouröse Verstrickungen. Wenn Firth dabei etwas zu häufig die Stirn runzelt oder seufzend die Straße hinabblickt und Matthew Mac­fadyen in der Rolle des pragmatischen Cholmondeley allzu bemüht ist, als Montagu-Antipode aufzuscheinen, beide lieben dieselbe Frau (Kelly Macdonald), ist das nur deshalb verzeihlich, weil die Hauptrolle des Films ohnehin kein Schauspieler innehat, sondern die Story selbst es ist, die hier alles überragt.

Die Kreativität, die den im Märchenerzählen Ungeübten viel Schweiß und mitunter Tränen abverlangt, lässt die Agenten bald Realität mit Fiktion vermischen. An den poetischen Experimenten mit der Leiche, die es fiktional zu präparieren gilt, kann sich der Film gar nicht sattsehen: wie die Spione dem leblosen Körper, der dereinst an der Küste Spaniens stranden und den Deutschen in seinem Gepäck falsche Informationen liefern soll, nicht nur ein glaubwürdiges Leben einhauchen, sondern auch einen überzeugenden Tod. Nur dann kann der unwahrscheinliche Plan aufgehen, dass Berlin auf die Lüge hereinfällt und tatsächlich glaubt, die alliierten Truppen würden 1943 Europa nicht etwa über Sizilien einnehmen wollen, sondern über Griechenland.