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Hitzige Diskussion mit Cem Özdemir im Main-Tauber-Kreis: Was die Bauern vom Agrarminister erwarten können

Politiker brauchen ein dickes Fell, ein Bundeslandwirtschaftsminister allemal. Und erst recht, wenn er als  bekennender Vegetarier Hunderten von Viehhaltern und Ackerbauern gegenübersteht, die ihrer Enttäuschung über die Politik lautstark und emotionsgeladen Ausdruck verleihen. Insofern war die Diskussionsveranstaltung, zu der der Grünen-Kreisverband Main-Tauber in die alte Turnhalle von Niederstetten eingeladen hatte, für Cem Özdemir der sprichwörtliche Gang in die Löwengrube. Viele der knapp 100 Traktoren, die rund um die Halle geparkt waren, trugen Würzburger, Ochsenfurter und mittelfränkische Kennzeichen, was erkennen lässt, dass das Interesse am Auftritt des Ministers weit über die nahe Landesgrenze hinausreichte.

Es gab Pfiffe und Buh-Rufe

Rund 250 Landwirtinnen und Landwirte sind angereist, um den Minister vor der Halle mit Trommelschlag und Sirenengeheule zu empfangen. "Landwirtschaftsvernichtungsminister" steht auf einem der Transparente. Özedmir stellt sich der Diskussion. Als er später in der mit rund 450 Besuchern voll besetzten Halle auf die Bühne tritt, tönen ihm Pfiffe und Buh-Rufe entgegen. Sie gehen von einer kleinen, aber lautstarken Minderheit im hinteren Hallendrittel aus.

Es bleiben nicht die einzigen aggressiven Zwischenrufe an diesem Abend, beirren können sie den Minister nicht.  "Ich hab mich schon mit Erdogan angelegt, mir macht das null Komma nix aus", sagt er. Auch aus den Reihen derer, die an sachlicher Information interessiert sind, schlägt den Störern grummelnder Missmut entgegen. Schließlich gelingt es dem Esslinger Bundestagsabgeordneten Sebastian Schäfer und der Grünen-Kreisvorsitzenden Birgit Väth, in die Diskussion einzuführen.

Schulterschluss zwischen Politik und Landwirtschaft

Cem Özdemir wirbt um den Schulterschluss zwischen Politik, Bauern und Verbrauchern. Der komme bereits in den Ergebnissen der von der Vorgängerregierung eingesetzten Zukunftskommission Landwirtschaft und der sogenannten Borchert-Kommission zum Ausdruck. In diesen Kommissionen haben sich Fachleute aus Wissenschaft, Agrar- und Umweltverbänden auf Konzepte für eine nachhaltige Landwirtschaft und eine humane Nutztierhaltung verständigt. "Die Ergebnisse waren gut, nur sind die Konzepte in der alten Legislaturperiode liegengeblieben und verstaubt", sagt Özdemir. Er habe die beiden Kommissionen deshalb wieder eingesetzt und baue auch künftig auf ihre Expertise.

Auch wenn der Minister eine klare Ansprache wählt, sind seine Ausführungen manchem im Publikum zu theoretisch. Ein Landwirt will stattdessen wissen,  was die weitere Reglementierung des Düngemitteleinsatzes zum Schutz des Grundwassers konkret für die Fruchtbarkeit seiner Äcker bedeutet. Andere Länder setzten die Vorgaben der EU weitaus praxistauglicher um als Deutschland, behauptet er. So seien etwa für das Grundwasser-Monitoring hierzulande vorwiegend Problemstandorte benannt worden und gäben deshalb die Nitratbelastung insgesamt nicht repräsentativ wieder . 

"Ich kann Vergangenes nicht rückgängig machen, aber ich kann's in Zukunft besser machen."

Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister

Özdemir verweist darauf, dass die Vorgängerregierung die EU-Vorgaben jahrelang ignoriert und damit hohe Strafzahlungen riskiert habe. Deshalb gelte es für ihn, in Brüssel erst wieder Vertrauen in die deutsche Agrarpolitik aufzubauen, um dann im Konsens mit der Landwirtschaft zu praxistauglichen Lösungen zu kommen. "Ich kann Vergangenes nicht rückgängig machen, aber ich kann's in Zukunft besser machen", sagt er.

Dem Kreisobmann des Bauernverbands im Main-Tauber-Kreis, Reinhard Friedrich, bereiten die Pläne der EU zur Verschärfung des Pflanzenschutzrechts Sorgen. Nach dem vorliegenden Richtlinienentwurf soll der Einsatz von Pestiziden auf die Hälfte reduziert und in Schutzgebieten gänzlich ausgeschlossen werden, sagt Friedrich. Weinbau wäre an vielen Standorten dann überhaupt nicht mehr möglich, weil selbst für Ökolandbau zugelassene Spritzmittel unter die Regelung fallen würden. 

Grundsätzlich hält Minister Özdemir die angestrebte Reduzierung für richtig. Nur dürften dadurch nicht diejenigen benachteiligt werden, die bisher schon ein Minimum an Chemie eingesetzt haben. Er setze stattdessen in den Verhandlungen mit der EU auf integrierten Pflanzenschutz, der den Einsatz von Pestiziden als letztes Mittel nicht grundsätzlich ausschließt.

In der Nutztierhaltung ist derzeit vor allem die Schweinemast durch schlechte Preise gebeutelt. Es gibt die Befürchtung, dass die Produktionskosten durch strengere Tierschutzauflagen weiter in die Höhe getrieben werden. Auch hier zeigt Cem Özdemir Verständnis und weist darauf hin, dass für Investitionen in neue Stallanlagen und zum Ausgleich für höhere Betriebskosten im Bundeshaushalt bereits ein Betrag von einer Milliarde Euro bereitgestellt wurde.

Haltungskennzeichnung für bessere Preise

Langfristig soll eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung dazu beitragen, im Einzelhandel höhere Preise für tiergerecht erzeugtes Fleisch durchzusetzen. Ob die Verbraucherinnen und Verbraucher aber tatsächlich bereit sind, für höherwertig produzierte Lebensmittel mehr Geld auszugeben – wie in vielen Umfragen behauptet – daran haben die meisten Landwirtinnen und Landwirte ihre Zweifel. 

Bauernobmann Friedrich ist zufrieden mit dem Abend. "Es ist gut, dass der Minister hergekommen ist und sich den Fragen gestellt hat", sagt er. Bewerten lasse sich seine Arbeit aber erst, wenn den Worten Taten folgen.