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Im Baltikum spürt Scholz den Unmut über seine Zögerlichkeit

Nicht immer haben sich deutsche Spitzenpolitiker so oft mit ihren baltischen Pendants getroffen, wie sie es seit Russlands Angriff auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022 tun. Außenministerin Annalena Baerbock reiste im vergangenen Jahr nach Litauen, im Sommer Olaf Scholz; soeben kam der Kanzler in Estland mit den estnischen und lettischen Regierungschefs und dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda zusammen. Am Montag nun soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Litauen stationierte Bundeswehr-Soldaten treffen.

Das kleine Litauen, ein Nato- und EU-Mitglied, ist zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und dem mit Moskau verbündeten Belarus eingeklemmt. Lediglich fünfzig Kilometer trennen an dieser Stelle die Territorien der beiden Länder voneinander. Diese sogenannte Suwalki-Lücke gilt als Schwachstelle der Nato. Die Sorge der Militärstrategen: Sollte Russland hier angreifen, könnte es in kürzester Zeit das komplette Baltikum vom übrigen Nato-Gebiet abschneiden.

An genau diesem Ort ist die Bundeswehr stationiert. Es ist der Grund für die Aufmerksamkeit, die die deutsche Politik dem Baltikum und speziell Litauen zuteilwerden lässt. Denn im Ernstfall wären deutsche Soldaten die erste Verteidigungslinie.

Hier entscheidet sich die von Kanzler Scholz konstatierte Zeitenwende. Hier zeigt sich, ob die Deutschen aus ihrer gescheiterten Russlandpolitik gelernt haben. Seit 2017 ist Deutschland die Führungsnation der Nato-Mission Enhanced Forward Presence (EFP) in Litauen.

Die Bundeswehr ist der größte Truppensteller eines Kampfverbands, bestehend aus etwa 1500 Soldaten. Die Idee hinter der Stationierung war lange eine „Stolperdrahttaktik“: Im Angriffsfall sollten die Soldaten russische Truppen so lange aufhalten, bis Verstärkung eintrifft. Im Nato-Jargon spricht man von „Abschreckung durch Vergeltung“.

Nach dem russischen Überfall, spätestens, nachdem Nachrichten von systematischen russischen Kriegsverbrechen um die Welt gegangen waren, halten die Balten das nicht mehr für angemessen. Denn jener Taktik liegt zugrunde, dass erst mal Territorium aufgegeben wird, bis Hilfe eintrifft.

Nach Erschießungen und Vergewaltigungen von ukrainischen Zivilisten will man es darauf aber nicht mehr ankommen lassen. Die aktuelle Maßgabe lautet: „Abschreckung durch Verweigerung“. Die Russen sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, dass sie litauisches Territorium besetzen könnten.

„Das Problem ist, dass wir keine strategische Tiefe haben“, sagt Laurynas Kasciunas, Vorsitzender des Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung im litauischen Parlament, WELT AM SONNTAG. Das unterscheide Litauen von der Ukraine. „Wenn wir kein Butscha wollen, brauchen wir eine ‚Vorwärtsverteidigung‘, mehr Truppen für einen Abschreckungseffekt“, so Kaciunas in Anspielung auf den ukrainischen Ort, der wie kein anderer für russische Massaker an der Zivilbevölkerung steht.

Wachsender Frust über Deutschland

Scholz hat Präsident Nauseda eine Aufstockung des Bundeswehr-Kontingents im Land auf bis zu 5000 Soldaten versprochen, am 7. Juni 2022 unterzeichneten die beiden Politiker ein entsprechendes Kommuniqué. Doch passiert ist seitdem wenig.

Die Litauer sind gespalten: Einerseits loben sie die Bundesregierung, so wie Nauseda Ende April in einer Rede vor einem Treffen mit Scholz in Berlin; andrerseits sind litauische Diplomaten in Hintergrundgesprächen zunehmend frustriert und fragen sich, ob die Deutschen überhaupt die veränderte Bedrohungslage begreifen.

„Alle in Litauen wollen mehr deutsche Soldaten, und zwar möglichst bald. Einige Politiker, wie Außenminister Gabrielius Landsbergis denken, dass man dieses Ziel schneller erreicht, wenn man fordernd, laut und kritisch auftritt“, erklärt Vaidotas Beniusis, Chefredakteur des litauischen Nachrichtenportals „15min“, im Gespräch mit WELT AM SONNTAG.

Verteidigungspolitiker Kasciunas äußert sich selbstkritisch: „Wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen, müssen Trainingsflächen und Unterkünfte vorbereiten“, sagt er. „Wir werden 2026 bereit sein, eine deutsche Brigade unterzubringen. Aber Deutschland sollte auch seine Hausaufgaben machen, die Bundeswehr muss stärker werden. Wegen des Rotationsprinzips braucht es mindestens drei einsatzfähige Brigaden.“

Bislang hat die Bundeswehr nur ein Kommandoelement aus weniger als vierzig Personen nach Litauen entsandt. Weitere Soldaten sollen im Konfliktfall nachgeschickt werden. Das entspricht nicht dem Wunsch der Litauer, die sich auf das Kanzler-Kommuniqué berufen, in dem es heißt, Deutschland sei bereit, eine „robuste und kampfbereite Brigade in Litauen zu führen“. Wann das passieren wird, ist offen.

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