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Industrie: Einsparungen und Produktionsstopps: Warum die Industrie weniger Gas verbraucht

Die Situation auf dem Gasmarkt ist schwierig, Robert Habeck ruft zu drastischen Sparmaßnahmen auf – mit Erfolg: Die Industrie verbraucht sehr viel weniger Gas. Zugleich warnt sie jedoch: Das sei kein Erfolg, sondern Ausdruck eines massiven Problems

Erst die Frühwarnstufe, dann die Alarmstufe: Wirtschaftsminister Robert Habeck zieht seit März eine Reißleine nach der anderen. Als nächstes droht die dritte Stufe des „Notfallplan Gas“. Dann würde die Bundesnetzagentur eingreifen und die Verteilung von Gas regulieren. Um das zu verhindern, muss die Industrie so viel wie möglich sparen. Sonst „wird es im Winter wirklich eng“, sagte Habeck bereits im Juni. Nun ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen: Laut Bundesnetzagentur hat die Industrie im Juli 21,3 Prozent und August 22 Prozent des Gasverbrauches im Vergleich zum Durchschnittswert der letzten drei Jahre eingespart.

BDI warnt vor falschen Rückschlüssen

Das klingt zunächst nach einem Erfolg – die Gas-Speicher sind zudem gut gefüllt. Doch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schlägt Alarm und warnt davor, falsche Schlüsse zu ziehen. Denn hinter den Einsparungen stünden „oft keine Effizienzgewinne, sondern ein dramatischer Produktionsrückgang. Das ist kein Erfolg, sondern Ausdruck eines massiven Problems“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm .

„Ganz so einfach ist es nicht“, sagt allerdings Martin Gornig, Forschungsdirektor für Industriepolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Es gäbe derzeit keine repräsentativen Daten darüber, wie genau die Gaseinsparungen der Industrie zustande gekommen seien. Was es gibt, sind Zahlen über den Rückgang der Produktion in Deutschland. Das Statistische Bundesamt rechnet damit, dass die Industrieproduktion im Juli um 1,6 Prozent niedriger war als im Vorjahresmonat. Im energieintensiven Sektor wurden im Juli 5,7 Prozent weniger produziert als im Juli 2021.

„Der Produktionsrückgang allein erklärt die massiven Gaseinsparungen nicht“, erklärt Gornig. Auch wenn der energieintensive Sektor tatsächlich viel Gas verbraucht, machten rund sechs Prozent Produktionsrückgang nicht fast 22 Prozent Einsparung aus. „Es muss neben Produktionsdrosselungen also noch etwas anderes passiert sein.“ Dazu zählt der Branchenexperte einen Rohstoffwechsel und die Einführung von Effizienzmaßnahmen.

Öl und Kohle geben ein Comeback

Ersteres versucht gerade Mercedes-Benz, wie Vorstandschef Ola Källenius dem „Spiegel“ sagte. Strom aus Gasverbrennung soll möglichst häufig durch Elektrizität aus erneuerbaren Quellen abgelöst werden. Der Pharma- und Chemiekonzern Merck bereitet auch einen Brennstoffwechsel vor: „Wir sind darauf vorbereitet, unsere Produktionsprozesse unter anderem auf Erdöl zu verlagern“, sagte Chefin Belén Garijo der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Auch die Glasindustrie, die besonders abhängig von Erdgas ist, hat Lösungen gefunden. So will beispielsweise das Unternehmen Weigand Glas seine Schmelzwannen mit leichtem Heizöl statt mit Erdgas beheizen, wie die Zeit berichtet. Und der Spezialglashersteller Schott hat sich Propangas angeschafft, um die Produktion im Notfall aufrechterhalten zu können.

Doch ein Brennstoffwechsel ist nicht so einfach. „Viele Unternehmen haben nicht die Möglichkeit, kurzfristig umzusteigen“, sagt Malte Küper, Energieexperte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Manche Unternehmen könnten zwar auf Kohle- oder Ölöfen zurückgreifen, in vielen Fällen sei ein Umstieg aber nur langfristig darstellbar. Und: „Vor allem die großen Gasverbraucher in der chemischen Industrie nutzen Gas nicht nur als Energie, sondern auch als Rohstoff“, so Küper weiter.

Die Industrie hat in den letzten Jahren auf Gas umgestellt – der Kohleausstieg rückt näher und das umweltschädliche Öl ist nicht mehr zeitgemäß. Gas hätte die Brücke sein sollen, bis ein grüner Wasserstoff zur Verfügung steht. Doch inzwischen ist der Gaspreis auf Rekordhöhen geschossen.

Der Anreiz, einen alternativen Brennstoff zu nutzen, ist also extrem hoch. Trotzdem sind laut einer nicht-repräsentativen BDI-Umfrage 37 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland auf Erdgas angewiesen. Es gibt aber durchaus einen Teil der Branche, der den Umstieg probiert: Fünf Prozent steigen laut der Umfrage derzeit auf Strom um, zehn Prozent auf Öl. Welchen Anteil diese 15 Prozent am Energieverbrauch der Branche ausmachen, ist schwer zu sagen. Zumindest ein kleiner Teil der 22 Prozent wird es sein.

Preise erzwingen Effizienz

Während etwa Mercedes und Merck versuchen, alternative Energiequellen zu finden, versuchen andere Unternehmen, das Problem der hohen Gas- und Strompreise durch Effizienzmaßnahmen zu verbessern. Bei einigen Unternehmen mögen solche Maßnahmen zu Einsparungen geführt haben. Experte Küper vom IW sieht Effizienzmaßnahmen vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen als Teil der Lösung, warnt aber vor allzu großen Erwartungen. Denn die Energiepreise in Deutschland waren in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich ohnehin sehr hoch. „Effizienzmaßnahmen haben sich auch in den letzten Jahren schon ausgezahlt“, sagt er. Die beispiellos hohen Preise lassen vielleicht doch noch die eine oder andere innovative Lösung finden.

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In der Stahl- und Aluminiumindustrie ist das offenbar der Fall. Normalerweise nutzen diese Fabriken erneuerbare Energien zur Stromerzeugung und lassen nur nachts oder bei Windflaute Gaskraftwerke einspringen. Die teuren Gaspreise zwingen die Industrie nun zu neuen Effizienzmaßnahmen: „Stahl- und Aluminiumhersteller reagieren darauf, indem sie beispielsweise eine Schicht ausfallen lassen, wenn der Strom besonders teuer ist“, sagte Oliver Ruhnau, Energiemarktexperte von der Hertie School in Berlin, dem „Spiegel“. Stattdessen wird zu anderen Zeiten mehr produziert. Auf diese Weise sparen die Fabriken Gas, ohne die Produktion herunterzufahren.

Einfach runterfahren

Am meisten Gas spart, was Habeck auch von den privaten Verbrauchern fordert: die Heizung gar nicht erst aufzudrehen. Und das ist die große Befürchtung des BDI: Dass die Produktion in diesem Winter heruntergefahren wird. Nach Angaben des Wirtschaftsverbandes haben neun Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland ihre Produktion gedrosselt oder ganz eingestellt. Das sind allerdings nur zwei Prozent mehr als im Februar 2022 – auch damals waren die Energiekosten hoch, aber bei weitem nicht so hoch wie heute.

Ein Teil der Einsparungen wird sicherlich durch die Einstellung der Produktion zustande gekommen sein. Das zeigt sich allein im Chemiesektor. Die Chemieproduktion ist im Juni gegenüber Dezember 2021 um acht Prozent gesunken, wobei vor allem die energieintensive Produktion von Ammoniak einen massiven Rückgang verzeichnete.

Ob die aktuelle Krise zu einer Deindustrialisierung führt, „werden wir erst ein paar Jahre nach der Krise wissen“, sagt Küper. „Die Signale aus der Wirtschaft sind allerdings alarmierend und es liegt jetzt an der Politik, die Unternehmen gut durch die Krise zu bringen und eine Deindustrialisierung mit allen Mitteln zu verhindern.“

Dieser Artikel ist zuerst auf n-tv.de erschienen.

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