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Insekten essen für den Klimaschutz

Insekten zu essen, das halten die meisten deutschen Konsumenten für eklig. Dagegen hilft nur geballte Marketing-Lyrik, findet die Firma Wuestengarnele.de, ein Online-Anbieter von Insektennahrung.

Das Ergebnis klingt dann so: „Das nussige Aroma der gerösteten Mehlwürmer harmoniert sehr gut mit der Vollmilchschokolade und erzeugt im Mund einen leichten Knuspereffekt. Abgerundet wird das Geschmacksabenteuer mit einem Hauch Meersalz.“ So sinnlich preisen die Werbetexter von Wuestengarnele.de ihr Produkt „Dschungelade“ an, die 50-Gramm-Tafel für stolze 3,99 Euro.

Doch menschliche Nahrung auf Basis von Grillen, Fliegenlarven, Würmern & Co. soll bald mehr sein als eine Party-Mutprobe. Schon jetzt ist sie auf dem besten Weg, bewährte Grundnahrungsmittel von der Kartoffel bis zum Steak zu ergänzen.

„Wer in Deutschland Speiseinsekten oder insektenhaltige Lebensmittel kaufen möchte, wird immer leichter fündig“, notierte kürzlich die Bundeszentrale für Ernährung. Auf der Grünen Woche in Berlin konnten Besucher jüngst am Stand des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) Insekten verkosten. „Sie können als proteinreiches Superfood einen wichtigen Beitrag leisten, den Hunger in der Welt zu mindern“, lautete die Begründung.

Nun rückt ein weiterer Aspekt in den Vordergrund: Die Produktion von Essen auf der Basis von Kerbtieren entlastet das Weltklima im Vergleich zur Fleischerzeugung mit konventionellen Nutztieren. Auch deshalb hat die EU-Kommission weitere Insekten-Produkte zugelassen. Die entsprechende Verordnung trat am 24. Januar in Kraft.

Mehl aus getrockneten Hausgrillen darf in Lebensmitteln in der EU jetzt verwendet werden

Mehl aus getrockneten Hausgrillen darf in Lebensmitteln in der EU jetzt verwendet werden

Quelle: dpa/Visarut Sankham

Zu Pulver vermahlene Hausgrillen („Heimchen“) und Larven des Getreideschimmelkäfers („Buffalowürmer“) gelten – wie schon länger in der Schweiz – jetzt auch in der Union als gesundheitlich unbedenklich.

Sie dürfen in Mengenanteilen bis zu zehn Prozent Backwaren, Pasta, Soßen oder Fleischersatzprodukten beigemischt werden. Einige andere Krabbeltiere wie Mehlwürmer und Heuschrecken sind schon seit fünf Jahren zugelassen.

Insektennahrung als klimaschonende Alternative

Auch weil die Weltbevölkerung nach UN-Prognosen bis zur Mitte dieses Jahrhunderts um zwei Milliarden auf zehn Milliarden Menschen wachsen wird, suchen Agrarwissenschaftler und Politik verstärkt nach klimaschonenden Alternativen zu den herkömmlichen Nahrungsquellen. Neben Insekten zählen dazu etwa Fleischersatz auf Pflanzenbasis und Retortenfleisch.

Bei der Produktion von einem Kilo Rindfleisch entstehen nach einer Studie des Umweltbundesamtes Treibhausgas-Emissionen, die mehr als 30 Kilogramm CO₂ entsprechen – vor allem, weil die Wiederkäuer beim Verdauen relativ große Mengen des hochwirksamen Treibhausgases Methan in die Atmosphäre entlassen.

Für Geflügel beträgt diese Ziffer denn auch nur 4,3 Kilogramm, in der Schweineproduktion fallen 4,1 Kilogramm an. Ein Kilogramm Fleischersatz auf Insektenbasis lässt sich nach Berechnung der Experten mit einem Ausstoß von lediglich drei Kilogramm CO₂ herstellen. Nur Pflanzen schneiden in dieser Disziplin noch etwas besser ab.

Ausgewachsene Hausgrillen (auch Heimchen genannt) krabbeln in der Fabrik Cricket Lab des Tschechen Husek auf ihren Boxen

Ausgewachsene Hausgrillen (auch Heimchen genannt) krabbeln in der Fabrik Cricket Lab auf ihren Boxen

Quelle: dpa/Visarut Sankham

Klimabilanz von Nahrung mit Insektenzusatz

Die Kerbtiere sind nicht zuletzt wegen ihrer enormen Bio-Produktivität im Vorteil. Ein Weibchen der Schwarzen Soldatenfliege legt während ihres nur wenige Wochen kurzen Lebens bis zu 500 Eier. Die daraus schlüpfenden Larven werden sechs Kilogramm schwer. Daraus lassen sich zwei Kilo Larvenmehl gewinnen, die Hälfte davon reines Protein.

Dazu kommt: Bei Insekten beträgt der essbare Anteil am Körpergewicht meist zwischen 85 und 100 Prozent. Bei Rind, Schwein und Geflügel trifft dies lediglich auf 50 bis 55 Prozent zu – der Rest entfällt auf Schlachtabfälle wie Knochen, Hufe oder Innereien.

Zugleich sind Insekten besonders genügsam. Für die Züchtung essbarer Grillen ist laut Experten nur ein Zwölftel der Futtermenge erforderlich wie für Rindfleisch. Bei Wasserverbrauch und Platzbedarf schneiden die Kleintiere ähnlich vorteilhaft ab.

Die Umwelt-Rechnung geht aber nur auf, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Aufzuchtanlagen für Mehlwürmer müssen in unseren Breiten beheizt werden, da die wechselwarmen Kleintiere andernfalls nicht gedeihen. Das kostet viel Energie, wenn die Anlagen nicht optimal isoliert sind.

Füttern die Insektenzüchter ihre Kerbtiere mit Soja, das zuvor um den halben Erdball geschippert wurde, so fällt die Klimabilanz ebenfalls schlechter aus. Auch Fischmehl oder Getreide als Insektenfutter treiben den Ausstoß hoch.

Heimchen und Mehlwürmer benötigen immerhin 2,2 Kilogramm Nahrung, um ein Kilogramm an Gewicht zuzulegen. Zwar ist dies erheblich weniger ist als beim zwei- oder vierbeinigen Nutzvieh, dennoch kommen beträchtliche Mengen zusammen.

Quelle: Infografik WELT

Werden Insekten dagegen mit organischen Resten verköstigt, die sonst auf dem Kompost landen würden, ist der positive Effekt fürs Klima frappierend. „Es gibt großes Potenzial, die Insektenzucht durch Einsatz von Futtermitteln aus Abfall- oder Nebenprodukten zu optimieren“, heißt es in der Umweltamt-Analyse.

Mehlwürmer gedeihen danach besonders gut mit Abfällen aus der Lebensmittelindustrie. Grillen seien wählerischer bei der Nahrung, während einige Fliegenarten sich sogar auf Hausmüll oder Gülle stürzten. So gemästete Fliegenlarven eignen sich allerdings nicht mehr für die menschliche Ernährung. Doch die Tierfutter-Industrie hat Insekten als günstige Proteinquelle entdeckt.

Fleischalternativen besonders intensiv verarbeitet

Fachleute warnen allerdings vor überzogenen Erwartungen an Fleischalternativen. „Ich denke, dass Menschen, die des Klimas wegen auf Fleisch verzichten, ihren Beitrag überschätzen“, sagte die niederländische Agrar- und Ernährungswissenschaftlerin Louise Fresco dieser Tage der flämischen Wirtschaftszeitung „Tijd“.

Keine Methode der Nahrungsproduktion sei gänzlich klimaneutral. Die neuen Alternativ-Produkte würden zudem besonders intensiv verarbeitet, um Konsistenz und Geschmack anzupassen. Herkömmliches Fleisch könne derweil einen zusätzlichen Beitrag zur Versorgung der Menschen mit hochwertigen Nahrungsmitteln leisten, vor allem, wenn es auf Flächen erzeugt werde, auf denen kein Ackerbau möglich sei.

Im Punkt Nährstoffe schneidet auch Insektennahrung gut ab. Ernährungsexperten loben einen hohen Gehalt an wertvollen Inhaltsstoffen wie Eiweißen, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen wie Kupfer, Magnesium oder Zink. Die Welternährungsorganisation FAO bezeichnete Insekten-Food einmal als „Fleisch der Zukunft“.

Insektennahrung im Supermarkt

Und die Auswahl für die Konsumenten wächst. Obwohl gegen Ende vergangenen Jahres einige produzierende Start-ups aufgeben mussten, werden zahlreiche Varianten nicht nur online, sondern auch im Supermarktregal angeboten. Schon vor zwei Jahren zählten die deutschen Verbraucherzentralen drei Dutzend insektenhaltige Lebensmittel im stationären Handel, vom Protein-Riegel bis zum Burger mit 45 Prozent Buffalowurm.

Die seit 2018 geltende Novel-Food-Verordnung, die in der EU die Zulassung neuartiger Lebensmittel von exotischen Früchten bis zu Krabbeltieren regelt, stellt auch sicher, dass die Lebensmittelindustrie den Verbrauchern nicht unbemerkt – etwa aus Kostengründen – Insektenmehl in den Nudelteig mischt.

Zwar muss nicht unbedingt auffällig auf der Verpackung auf die Anwesenheit von Heimchen, Larve oder Wurm als Eiweißquelle hingewiesen werden. Doch spätestens ein Blick auf die Zutatenliste offenbart dies, denn Insekten müssen, wie auch alle anderen Inhaltsstoffe, nach bestimmten Regeln in der Zutatenliste aufgeführt werden.

Dabei ist das Herkunftstier mit deutschem und lateinischem Namen anzugeben. Der Text kann dann etwa lauten: „Enthält teilweise entfettetes Pulver aus Hausgrille/Acheta domesticus.“

Überempfindliche sollten darauf besonders achten. „Wer eine Allergie gegen Krebs- und Weichtiere wie Garnelen, Muscheln oder Schnecken oder gegen Hausstaubmilben hat, sollte bei Insekten-Lebensmitteln vorsichtig sein“, raten die Verbraucherzentralen.

Vom Grusel-Exoten zur Delikatesse

Speiseinsekten enthielten nämlich oft ähnliche Stoffe, die zu Kreuzreaktionen führen könnten. Je weiter Insektennahrung aus der winzigen Marktnische herauskommt, die sie im Moment noch in Europa einnimmt, um so unerlässlicher wird künftig der kritische Blick auf die Zutatenliste.

Die Mehrheit der Verbraucher verträgt den Stoff problemlos. In vielen Teilen der Erde stehen Insekten seit jeher auf den Speiseplänen. Auch in Deutschland könnte der Ekelfaktor schwinden, wenn die Esskultur sich wieder einmal wandelt.

Schon viele Lebensmittel haben eine Karriere vom Grusel-Exoten zur Delikatesse hingelegt. Noch vor der drei Jahrzehnten konnte sich beispielsweise kaum ein Deutscher vorstellen, jemals rohen Fisch zu essen. Heute findet sich in jedem besseren Edeka- oder Rewe-Markt ein Sushi-To-Go-Stand.

Quelle: KristinaVelickovic/Getty Images; Infografik WELT

Womöglich zählen auch Cracker aus Grillenmehl, Heuschrecken am Stiel oder Wodka „mit echten Mehlwürmern“ (Werbung) in ein paar Jahren hierzulande zum kulinarischen Alltag. Forscher und Industrie arbeiten daran.

„Man bringt die Menschen dazu, Insekten zu essen, indem man die Einstellung verbreitet, dass dies nichts komisches oder gar ekliges ist – dies ist die spontane Reaktion vieler Leute –, sondern dass es einen eigenen kulinarischen Wert hat“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Nanna Roos von der Uni Kopenhagen in einem Image-Video des europäischen Forschungsprojekts Susinchain.

Alles andere seien Vorurteile. Für Roos steht fest: „Wer Shrimps isst, kann genauso gut Grillen essen.“

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