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Interview zu Taiwan-Konflikt: "Merkel ist offenbar falsch beraten worden"

Nicht nur der Ukraine-Krieg in direkter Nachbarschaft hält die EU in Atem. Im Südchinesischen Meer droht die nächste Invasion. Ob ein Angriff Pekings auf Taiwan bevorstehen könnte und welche Fehler Deutschland mit seinem China-Kurs gemacht hat, erklärt Europapolitiker Michael Gahler im Interview mit ntv.de. Gahler ist Leiter der Taiwan-Freundschaftsgruppe der EU, CDU-Mitglied und außenpolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP).

ntv.de: Die Drohgebärden Chinas gegenüber Taiwan nehmen zu, immer öfter wird vor einer Eskalation des Konflikts gewarnt. Stellt sich inzwischen nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann China Taiwan angreift?

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(Foto: Michael Gahler/Europäisches Parlament)

Michael Gahler: Ich denke, wir sollten die Drohungen von Xi Jinping als Parteichef der Kommunistischen Partei Chinas ernst nehmen. Und wir haben ja gehört, was er zu Taiwan gesagt hat. Natürlich sagt er, wir möchten lieber die friedliche "Wiedervereinigung", wie er sie nennt, denn Taiwan hat nie zur Volksrepublik gehört. Aber er hat Gewalt auch ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Ich glaube allerdings, dass eine Invasion nicht unmittelbar bevorsteht. Das Land ist noch in der Phase der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Pandemie. Zum anderen denke ich, werden die Chinesen einpreisen, wie der Westen auf Russlands Angriff auf die Ukraine reagiert. Ich hoffe, dass das so abschreckend ist, dass sie eine Invasion vermeiden. Aber ich bin mir bei Xi nicht sicher. Wir sollten hundertprozentig ernst nehmen, was er gesagt hat - so wie wir Putin ernst nehmen sollten oder vor Beginn des Krieges hätten ernst nehmen sollen.

Chinas Präsident Xi demonstrierte bei seinem Besuch in Moskau erneut den Schulterschluss mit seinem russischen Amtskollegen. Hat Peking ein Interesse daran, dass Moskau den Angriffskrieg gegen die Ukraine fortführt?

Nein, das sehe ich ein bisschen anders. Denn die Effekte, die der Krieg auf die Weltwirtschaft hat, sind auch negativ für China. Peking ist zwar damit einverstanden, dass Russland durch den Krieg politisch und wirtschaftlich abhängiger von China wird. Und es hat auch kein Interesse, dass Russland diesen Krieg verliert, im Gegenteil. Aber wenn der Krieg in irgendeiner Weise schnell beendet werden kann und Russland dann geographisch in einer besseren Position ist, als es vorher war, wäre Xi das lieber, als ein langer Krieg, der den Welthandel und das Verhältnis zum Westen weiter belastet.

Stockt China seinen Wehretat zurzeit so kräftig auf, um sich auf die Invasion Taiwans vorzubereiten?

Ich glaube, wir sollten nicht viel auf die offiziellen Haushaltszahlen zum Wehretat geben. Gerade in Diktaturen ist intransparent, was zum Militär gezählt wird und was nicht. Aber in der Tat brauchen die Chinesen die Erhöhung des Wehretats, nicht nur wegen Taiwan. Sie haben eine sehr offensive Strategie im gesamten Südchinesischen Meer. Diese wollen sie absichern durch Präsenz. Dafür braucht man zumindest Schiffe. Das kostet einiges.

Wie groß ist momentan die Angst in Taiwan?

Der Konflikt mit China ist für die Taiwanesen eine ständige Situation über Jahrzehnte gewesen. Es gab Zeiten, in denen die Insel Kinmen, die zu Taiwan gehört, von Peking beschossen wurde, da sie unmittelbar vor der Küste des Festlands liegt. Daher sind sich die Taiwanesen der Gefahr bewusst. Sie reagieren darauf und erhöhen die Widerstandsfähigkeit. Sie sind also einerseits aufmerksam, andererseits gelassen.

China hat in Europa kräftig investiert, auch in kritische Infrastruktur in Deutschland. Nun prüft die Bundesregierung bei 5G-Mobilfunknetzen, ob sie Bauteile des Konzerns Huawei wieder ausbauen muss. Ihr Parteikollege Norbert Röttgen hatte Angela Merkel zu ihrer Amtszeit als Kanzlerin zu mehr Unabhängigkeit von China aufgefordert. Hat Merkel zu wenig getan?

Ich unterstütze eher Norbert Röttgens Kurs. Die Debatte hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern wie Großbritannien und den USA stattgefunden. Weil es eine unmittelbare Konkurrenzsituation mit chinesischen Produkten gibt. Ich bin auch der Auffassung, dass wir in den Bereichen der kritischen Infrastruktur alles Chinesische vermeiden sollten, was wir können. Wir sollten bei politischen Entscheidungen europäische Alternativen berücksichtigen. Wir hätten früher etwa Ericsson und Nokia in den Bereichen, in denen sie damals unterwegs waren, so fördern sollen, dass unsere europäischen Produkte, im Vergleich zu amerikanischen, einen eigenen Stand haben. Das haben wir insbesondere bei der Handytechnologie versäumt.

Also würden Sie sagen, Merkel hat es damals versäumt, für mehr Unabhängigkeit zu sorgen?

Ja. Dabei ist Merkel offenbar falsch beraten worden, wie auch bei Nord Stream 2. Das ist ganz deutlich.

Hat sich die CDU von Merkels Chinakurs abgewandt? Sieht sie das Land heute als Partner oder Rivalen?

Nicht nur in der CDU, sondern in der gesamten EU vertreten wir eine Art Dreiklang. Erstens kann und muss China in bestimmten Bereichen Partner sein. Beim globalen Klimaschutz müssen wir partnerschaftlich schauen, dass wir vorankommen. China ist zweitens Konkurrent in vielen wirtschaftlichen Bereichen, und drittens ein systemischer Rivale, wenn es darum geht, wie die Welt gestaltet wird und wer sie dominiert. Wir müssen uns im Angesicht von China und Russland in eine große Allianz der Demokratien einreihen, um dafür zu sorgen, dass sowohl in Fragen des Welthandels als auch in Fragen der Sicherheit unsere Standards gelten. Die Diktatoren dieser Welt sollten nicht die Dominanz erringen können.

Kann China denn auf Dauer gleichzeitig Partner, Konkurrent und Rivale sein? Müssen wir uns nicht irgendwann entscheiden?

Wenn wir uns entscheiden müssen, sollten wir uns für die Allianz der Freiheit entscheiden. Ich denke an den Spruch von Konrad Adenauer: "Wir wählen die Freiheit." Das ist klar. Aber momentan geht es nicht nur um das Entweder, Oder. Es geht nicht darum, die Handelsbeziehungen einzufrieren. Aber wenn es um allgemeine Sicherheit und die Sicherung von Handelswegen geht, müssen wir uns verteidigen. Da haben wir außerhalb der EU mehrere Partner, zum Beispiel Indien, die ein Interesse haben, dass der Welthandel offen und sicher bleibt. Das müssen wir als Europäer gemeinsam angehen, denn Deutschland allein ist zu klein. Wir brauchen auch die Gemeinschaft mit uns wirtschaftlich enger verbundenen Staaten wie den USA, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland und Südkorea.

Falls es aufgrund einer Invasion Taiwans zu einem Wirtschaftskrieg mit Sanktionen kommt - wer würde darunter mehr leiden, die EU oder China?

Zunächst einmal würde sich ein Angriff auf Taiwan nicht nur auf einen Handelskrieg beschränken, sondern die USA würden China angemessen antworten. Das würde den Welthandel zwar nicht zum Erliegen bringen, aber den großen Handelspartner China ausklammern mit kolossalen negativen Folgen hätte das nicht nur für China, sondern die gesamte Weltwirtschaft. Wir sollten jetzt die Zeit nutzen, um zu diversifizieren und intensiv nach weiteren Optionen bei Bezugsquellen suchen, um im worst case gewappnet zu sein. Aber China würde mit einer Invasion auch den Pakt mit der eigenen Bevölkerung riskieren, der nicht funktioniert, wenn die Wirtschaft zusammenbricht. Dieser Pakt heißt: das Volk überlässt der Kommunistischen Partei die Politik und die sorgt dafür, dass es den Menschen immer besser geht. Dann würde sich auch in einem Land wie China, ähnlich wie wir das in der Sowjetunion erlebt haben, die Bevölkerung gegen ein solches Regime erheben.

In Taiwan finden im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen statt. Könnte sich das Verhältnis zwischen Taipeh und Peking entspannen, wenn mit der Kuomintang eine Partei gewinnt, die offen für eine Annäherung an China ist?

Ich war zu der Zeit erstmals in Taiwan, als die Kuomintang noch regiert hat mit Ma Ying-jeou als Präsident. Zu dieser Zeit war der Ton ein anderer. Noch kann ich nicht einschätzen, wie groß die Chance ist, dass die Kuomintang die Wahlen gewinnt, gerade weil sie eine Art Wiedervereinigung mit China im Programm hat. Im Falle eines Wahlsiegs würde dies von China aufgegriffen. Peking würde versuchen, die Kuomintang bei ihrem Programm zu packen, um auf eine Vereinigung hin zu arbeiten. Aber falls die Kuomintang die Wahl gewinnen würde, könnte sich daraus nicht ein automatisches Mandat ableiten, in Verhandlungen einzutreten, um die Eingliederung Taiwans in Festlandchina zu betreiben. Ich sehe nicht, dass die Kuomintang blauäugig das Risiko eingehen würde zu sagen, wir bewegen uns aufs Festland zu und hoffen mal das Beste.

Aufgrund der Ein-China-Politik scheuen die meisten Länder diplomatische Bindungen mit Taiwan. Auf Besuchen von Regierungsvertretern in Taipeh reagiert Peking pikiert, wie zuletzt auch auf die Reise der Bundesbildungsministerin. Wie gestalten Sie als Leiter der Taiwan-Freundschaftsgruppe trotz dieser Hürden die Beziehungen?

Die Chinesen reden von dem Ein-China-Prinzip, das aus ihrer Sicht ausschließt, Kontakte mit der Regierung in Taiwan zu pflegen. Das sehen wir nicht so, wir reden von der Ein-China-Politik. Wenn wir sie beim Wort nehmen, wenn es heißt, ein Land, zwei Systeme, dann müssen wir mit beiden Systemen Kontakt haben können. Mein Punkt ist, dass wir politisch ein Interesse haben, dass diese demokratische Insel im Südchinesischen Meer in Ruhe gelassen wird. Alles außer formeller diplomatischer Anerkennung, also unterhalb dessen, dass wir Botschafter austauschen und Taiwans Unabhängigkeit anerkennen würden, können wir alles unternehmen. Wir sollten die Spielräume nutzen.

Was macht die EU momentan, um die Beziehung zu Taiwan zu pflegen?

Das Europäische Parlament fordert etwa ein bilaterales Investitionsschutzabkommen mit Taiwan. Vor mehr als zehn Jahren haben wir nicht für Festlandchina, sondern nur für Taiwan Visumsfreiheit eingeführt. Wir haben auch ein Interesse daran, dass die Halbleitertechnologie, die dort so dominant ist und von der wir abhängen, erhalten bleibt. Dafür gibt es zwei Wege. Zunächst müssen wir mit unseren Firmen dort hingehen und investieren. Umgekehrt sollten wir die Leute, die in Taiwan wirtschaftlich tätig sind, zu uns einladen, damit sie bei uns investieren. Dann hätten wir im schlimmsten Fall immer noch Halbleiter, um nicht in eine zusätzliche Abhängigkeit von China zu fallen.

Mit Michael Gahler sprach Lea Verstl