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„Inzwischen wollen etwa 40 Prozent der Menschen länger hierbleiben“

Die Massenflucht von über einer Million Menschen aus der Ukraine stellt das ohnehin angespannte Schulsystem in Deutschland vor große Aufgaben. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs haben deutsche Schulen schon mehr als 200.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine aufgenommen.

Zahlenmäßig beschulen Nordrhein-Westfalen (38.000), Bayern (29.000) und Baden-Württemberg (29.000) die meisten ukrainischen Schüler. Im Verhältnis zur sonstigen Schülerzahl liegen Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen an der Spitze der aufnahmebereiten Bundesländer. Entsprechend aufbereitete Zahlen der Kultusministerkonferenz legte der Mediendienst Integration am Dienstag vor.

Für die Kultusminister sei es selbstverständlich gewesen, die Opfer des Angriffskriegs schnell aufzunehmen und in den Schulen zu integrieren, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Ressortchefin Karin Prien (CDU). Die Länder hätten dabei auf die Strukturen aus der vorigen Flüchtlingskrise zurückgreifen können. „Aufgrund unserer Erfahrungen aus den Jahren 2015/16 konnten wir hier sehr schnell reagieren. Wir haben über die Jahre viel an interkultureller Kompetenz aufgebaut.“

Anfangs hatten die meisten Bundesländer die geflüchteten Schüler zunächst in sogenannten Willkommens-, Vorbereitungs-, Brücken- oder Intensivklassen unterrichtet. Inzwischen sind aber viele Schulen dazu übergegangen, die Schüler in die Regelklassen zu integrieren, wenn sie ausreichend Deutsch sprechen, wie die Umfrage des Mediendienstes unter den Kultusministerien ergab. In Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen lernen die ukrainischen Schüler in diesem Schuljahr grundsätzlich gemeinsam mit den anderen in Regelklassen.

Die sechsjährige Yeva (l.) aus der Ukraine malt bei ihrer Einschulung in der Tempelherren-Grundschule im Berliner Stadtteil Tempelhof eine Schultüte aus

Die sechsjährige Yeva (l.) aus der Ukraine malt bei ihrer Einschulung in der Tempelherren-Grundschule im Berliner Stadtteil Tempelhof eine Schultüte aus

Quelle: picture alliance/dpa

In Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein werden sie zunächst überwiegend getrennt unterrichtet, haben aber gemeinsamen Unterricht in Fächern wie Musik, Sport oder Englisch. In Bayern, Berlin, NRW, Sachsen-Anhalt gibt es verschiedene Modelle. Bayern etwa integriert die jüngeren Kinder von Anfang an in Regelklassen, die älteren Schüler besuchen zunächst Brückenklassen.

Mangel an Schulplätzen, Personal und Räumen

Anfangs hätten viele Flüchtlinge auf gepackten Koffern gesessen und seien wenig interessiert gewesen, ihre Kinder in das deutsche Schulsystem zu integrieren, sagte Natalia Roesler, Sprecherin des Bundeselternnetzwerks der Migrantenorganisationen (bbt). Viele hätten deshalb parallel den Online-Unterricht in der Ukraine besucht. „Inzwischen wollen etwa 40 Prozent der Menschen länger hierbleiben. Die Bereitschaft zur Integration wächst.“ Dennoch würden trotz bestehender Schulpflicht immer noch viele Kinder nicht beschult, weil Schulplätze, Personal und Räume fehlten.

Laut Recherche des Mediendienstes Integration sind die Kapazitäten in einigen Bundesländern so überlastet, dass geflüchtete Kinder noch nicht die Schule besuchen können. In Nordrhein-Westfalen warteten Ende Oktober noch gut 1000 Kinder auf einen Schulplatz, Berlin fehlten 1600 Schulplätze. „Für fast alle Bundesländer ist die größte Herausforderung, dass Lehrkräfte fehlen“, hält der Bericht fest. „Teilweise fand Unterricht außerhalb der Schulen statt, oder Klassen wurden aufgestockt. In Brandenburg wurden beispielsweise Jugendclubs angemietet, um zusätzlichen Platz zur Verfügung zu haben.“ Mehrere Länder berichteten zudem, dass viele Kinder nachmittags zusätzlich ukrainischen Unterricht besuchen, was eine hohe Doppelbelastung für die Schüler sei. Zudem seien viele Kinder und Jugendliche psychisch durch den Krieg belastet und hätten Traumata.

Um die Kinder bestmöglich zu unterrichten, haben alle Bundesländer zusätzliches Personal eingestellt. Auch 3000 Ukrainer haben mittlerweile eine Stelle an Schulen gefunden – allerdings zumeist nicht als Lehrkräfte. Um ausgebildete Lehrer fit zu machen für das deutsche Schulsystem, bekommen sie jetzt Anpassungsqualifizierungskurse, sagte Prien.

Juliane Karakayali, Migrationsforscherin an der Evangelischen Hochschule Berlin, kritisierte hingegen den „Flickenteppich“ bei der Beschulung. „Hier ist es in den letzten Jahren nicht zu einer stärkeren Vereinheitlichung gekommen.“ Die Vorbereitungsklassen seien in vielen Bundesländern wenig formalisiert ohne festes Curriculum und stellten daher eine Art Parallelsystem innerhalb der Schule dar, was zu Separierung und Stigmatisierung führe. Hier sei seit 2015 viel zu wenig passiert, kritisierte Karakayali. „Dass wir immer wieder so massiv in einen Modus der ad-hoc-Lösungen verfallen müssen, die die Schüler dann ausbaden müssen, ist kaum akzeptabel.“

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